(c) Pester Lloyd / 12 - 2011
POLITIK 21.03.2011
KOMMENTARE
Schaukelpolitik
Nachlese zur politischen Woche in Ungarn
Die Schaukel I: Gaddafi muss weg, sein System darf aber bleiben - Präsident Schmitt in Berlin: Lammert beeindruckt von "Ungarns souveränem Umgang mit Kritik" -
Nachspiel zum 15. März: Botschafterfrau interpretiert Orbán - bezahlte Jubeljugend - Petöfi zensiert - Die Schaukel II: Ungarn skeptisch gegenüber "Europakt".
Die Schaukel I: Gadaffi muss weg, aber Systemwechsel ist nicht das Ziel
Die Haltung der ungarischen Regierung,
die derzeitig auch die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, bleibt bezüglich der Militäreinsätze gegen das libysche Regime, noch hinter der Position der deutschen Regierung
zurück und mehr als undurchsichtig.
Außenminister János Martonyi erklärte
zwar am Freitag, dass er den Beschluss des UN-Sicherheitsrats hinsichtlich des Schutzes der Zivilbevölkerung für „vollkommen richtig“ halte, teilte aber gleichzeitig mit, dass er das Ziel des
"militärischen Eingriffs in Libyen" nicht in der "Änderung des politischen Systems" sieht. Wie
er anders dauerhaft die Zivilbevölkerung schützen will, sagte er bei einer Pressekonferenz im Vorfeld einer ganzen Reihe von hochrangigen Sitzungen jedoch nicht. (Nächste Woche
treffen sich u.a. der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und jener für Auswärtige Angelegenheiten sowie der der Europäische Rates am 24. und 25. März.)
Martonyi weiter, „der Rücktritt Gaddafis wäre politisch sehr wünschenswert”, während er von den Deutschen, die sich
bei der Abstimmung im Sicherheitsrat der Stimme enthielten, eindringlich gefordert wird. Martonyi sagte, sich selbst widersprechend: „Wie sich die militärische Situation auch entwickeln
mag, dieses Regime muss auf jeden Fall verschwinden“, was ja zwangsläufig einer Systemänderung gleichkäme. Bereits zuvor erklärte Premier Orbán deutlich, dass "das christliche Europa
nichts im islamischen Nordafrika zu suchen habe" und lehnte militärische Interventionen strikt ab. Orbán war übrigens auch der letzte westliche Regierungschef der - am 24.
Februar, unmittelbar mit Ausbruch der Revolte - dem dann gestürzten ägyptischen Präsidenten Mubarak einen offiziellen Besuch abstattete.
Am Sonntag legte man dann eine “volle Unterstützung” für die ergriffenen Maßnahmen
nach, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass man die UN-Resolution als “teilweise sehr hart” ansieht, das Geschaukel geht also weiter. Man hofft, “dass Libyen durch das Eingreifen,
das Schicksal der ungarischen Nachbarn auf dem Balkan aus den Neunziger Jahren erspart bleibt”...
Der Außenminister teilte mit, dass die ungarische Botschaft in Tripolis auch weiterhin die
Vertretung der Europäischen Union versehe. Martonyi selbst reist am 22. März nach Ägypten, um sich an der libysch-ägyptischen Grenze über die Flüchtlingslage zu informieren
und Gespräche mit der Arabischen Liga zu führen.
Ungarische Unternehmen sind in Libyen hauptsächlich in der Ölförderung tätig (die
kroatische MOL-Tochter INA betreibt ein Joint venture für Exploration und Förderung in Libyen) sowie im Straßen- und Infrastrukturbereich, so erlangten ungarische Baufirmen im
Vorjahr einen staatlichen Auftrag für die Errichtung von Straßen, Abwassersystemen und Straßenbeleuchtung im Wert von mehreren hundert Millionen Euro.
Schmitt in Berlin: Lammert beeindruckt von "Ungarns souveränem Umgang mit Kritik"
Am vergangenen Mittwoch stattete der ungarische Präsident, Pál Schmitt, Deutschland einen medial sehr leisen Besuch ab, übrigens der erste Besuch beim
wichtigsten ungarischen Handelspartner seit seinem Amtsantritt im August 2010. Sein Amtskollege Christian Wulff (CDU) empfing ihn auf Schloss Bellevue mit militärischen
Ehren. Themen des anschließenden Gesprächs waren die bilateralen Beziehungen, Fragen der europäischen Einigung, des Euro, die Situation in Japan und die Lage in Nordafrika und
der arabischen Welt. Wulff wünschte dem ungarischen Gast "Mut, Beharrlichkeit und großen Erfolg." für die EU-Ratspräsidentschaft, die 2011, gemeinsam mit der
anschließenden polnischen Ratspräsidentschaft, zu einem "mitteleuropäischen Jahr" macht. Am 8. und 9. April ist Schmitt in Ungarn Gastgeber eines informellen Treffens von acht
europäischen Präsidenten in Budapest, zu dem auch Bundespräsident Wulff reisen wird.
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Präsident Schmitt trägt sich ins Gästebuch des Schlosses Bellevue ein. Wulff sollte die Orthographie
kontrollieren lassen. Wie die ewig sudernde, linksradikale Presse in Schmitts Heimat kolportierte und es
die höhnische Westpresse diesmal übernahm, hatten sich kürzlich in einen Gästebucheintrag Schmitts in
einem Wirtshaus in Hegyeshalom zwei peinliche Rechtschreibfehler eingeschlichen. Schmitt, seit Beginn
seiner präsidialen Amtszeit Zielscheibe oppositioneller Spötter (im Regierungslager ist der Humor
derzeit enden wollend), machte den “Schutz der ungarischen Sprache” zu seinem Steckenpferd. Bereits zum Thema Verfassung hat er viele Landsleute in orthographisch-semantisches Entsetzen gestürzt.
Schmitt nahm, zusammen mit Bundestagspräsident Nobert Lammert (CDU) auch an einer
Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) teil, bei der er zum Mediengesetz anmerkte: Die „vor sich gehende Gesetzgebung“ diene allein der „Stabilität, der
Wiederherstellung der Gesetzlichkeit und der moralischen Normen sowie der Selbstbeschränkung des Staates“. Sie stehe damit insgesamt im Kontext europäischer
Werte, für die Ungarn seit jeher engagiert eintreten würde. Schmitt verbreitete in seiner Rede die bekannten Standpunkte aus und wies auch auf das Epochale der neuen ungarischen Verfassung hin, ohne diesmal jedoch tiefer auf die folkloristischen Details einzugehen, wie er es sonst in Ungarn immer gerne tut.
Lammert empfand „manch ungerechte Kritik“ in der Diskussion um das neue Mediengestz
in Ungarn als “unglücklich”. "Die Tonlage sei dem Anliegen nicht angemessen gewesen." berichtet die Adenauer-Stiftung von Lammerts Äußerungen. Umso mehr beeindruckt habe
ihn der „souveräne Umgang“ Ungarns mit der Kritik. Hier ist Herrn Bundestagspräsidenten Lammert zuzustimmen. "Souverän", im substantivischen Sinne von „über allen stehend“
wäre durchaus ein ganz treffender Ausdruck dafür: Orbán hatte die Kritk an seinem Mediengesetz als "Angriff auf das ungarische Volk" gekennzeichnet, den man "erfolgreich
zurückgeschlagen" und in einen “umfassenden Sieg” verwandelt habe. (Alles dazu) Die
Regierungsseite sprach von einer konzertierten sozialistischen Kampagne, in der regierungsfreundlichen Presse gab es offen antisemitische Töne u.a. gegen im Ausland
lebende ungarische Schriftsteller und Künstler.
Erst einen Tag vor Schmitts Besuch in Deutschland, hatte Premier Orbán am ungarischen Nationalfeiertag davon gesprochen, dass man sich von "Brüssel nichts sagen lassen müsse",
im "Unterschied zu anderen Ländern", "waren weder unter den Erfindern des Kommunismus noch des Faschismus Ungarn" gewesen und ohnehin sei Ungarn das Land,
dass "am längsten und opferreichsten für Freiheit und Menschenrechte gekämpft" habe, merkte Orbán - ganz souverän - an.
Botschafterfrau interpretiert Orbán - bezahlte Jubeljugend - Petöfi zensiert
Apropos Bonmots: die Rede Orbáns am Nationalfiertag des 15. März hatte noch zwei Nachspiele, ein diplomatisches und ein mediales. Der ungarische Botschafter in Bukarest
wurde ins rumänische Außenministerium einbestellt, weil man dort ein paar Nachfragen zu einer Formulierung im Redemansukrupt Orbáns hatte, u.a. “... die ungarische Nation jetzt
ist auf dem Weg zur friedlichen Wiedervereinigung...” ist, nachdem eine “grausame Koalition einiger Länder” zur “Abtrennung Siebenbürgens” geführt hatte. Der Diplomat
musste eingestehen, dass es sich dabei um persönliche Ergänzungen seiner Gattin am Redemanusskript Orbáns gehandelt hatte, das man der rumänischen Regierung übersandte.
Allerdings sei auch darin nichts enthalten, was der rumänischen Seite Angst machen sollte, womit er Recht hatte, solche Sätze hatte Orbán nämlich zuvor schon gesagt. Die Rumänen
schaukelten die Sache aber nicht weiter auf, schließlich brauchen sie die rumänienungarische Partei UDMR derzeit dringender denn je zur Mehrheitsbeschaffung im
Parlament, wo es fast wöchentlich Mißtrauensanträge abzuwehren gibt.
Außerdem wurde bekannt, dass die Regierungspartei Fidesz ein paar hundert Studenten
und Schüler mit Bussen zur zentralen Versammlung vor dem Budapester Nationalmuseum gekarrt hatte und den jungen Leuten eine Aufwandsentschädigung von ca. 10 EUR
auszahlte, wohl, um auch ein paar jüngere Gesichter für die Fernsehkameras zu haben, wie einige Medien mutmaßten. Klar, den Sozialisten konnte das natürlich nicht passieren,
mit denen will man sich ja nicht mal mehr gegen Geld ablichten lassen. Den Medien war auch aufgefallen, dass ein Künstler, der vor den Fidesz-Anhängern ein Gedicht des
Revolutionsdichters und Nationalhelden Sándor Petöfi rezitierte, just diejenigen Strophen, die sich enthusiastisch mit der Pressefreiheit befassten, ausließ, - freilich nur deshalb, weil
sie in Ungarn längst Realität ist - und bleibt!
“Mr. Jein”, János Martonyi vor dem Europäischen Parlament
Die Schaukel II: Ungarn skeptisch gegenüber "Europakt"
Nirgendwo anecken zu wollen, denn man weiß ja nie, wie sich die Dinge entwickeln
könnten, ist zwar eine zwingende Erfordernis erfolgreicher Politik, in Ungarn aber besonders ausgeprägt, die Schaukelpolitik des Landes bereits aus anderen Epochen geradezu berüchtigt. Auch beim "Pakt für den Euro", einer Initiative von bisher neun
EU-Staaten zur Stabilisierung der Währung und Vereinheitlichung wirtschaftspolitischer Eckpunkte, ist sich Ungarn noch nicht sicher, ob es sich dem anschließen wird. "Im Moment
beobachten wir einmal, wer sich dem anschließt", so Außenminister und höchstes Schaukelpferd, Martonyi, vor Journalisten am Freitag.
Immerhin, so Martonyi, werden sich 3-5 der Nicht-Euro-Länder der Initiative wohl nicht
anschließen. Wie stets schaukelte sich der Minister auch hier wieder durch die Materie, in dem er anmerkte, dass "wir mit dem Text vollständig übereinstimmen", "aber wir mögen
Steuerharmonisierungen" eigentlich nicht. Zu Zeit versucht sich Ungarn duch sinkende Unternehmensstuern und eine Einkommens-Flat tax auf eine breitere Steuerbasis zu stellen
und wettbewerbsfähiger zu machen. Eine flat tax existiert schon seit Jahren beim nachbarlichen "Rivalen" Slowakei.
Er verwies auf die "Schuldensperre" in der kommenden neuen Verfassung von max. 50% des
BIP (derzeit ca. 78-80%), bei der aber noch gänzlich unklar wie und sie erreicht werden kann, denn selbst die Planungen der Regierung bauen auf 60-65% binnen der kommen fünf
Jahre. Martonyi findet es gut, dass der Europakt auf mehr Wettbewerbsfähgkeit der gesamten zukünftigen Eurozone hinarbeitet, auch "das Zurückfahren" "übergeneröser
Rentensysteme" hält er für eine gute Sache (bei der Ungarn ja DIE Vorreiterrole innehat) sowie die Kopplung der Lohnerhöhungen an die Produktivitätsentwicklung (nicht an die
Preise!), was vor allem die Gehaltsentwicklung im öffentlichen Dienst von Ungarn auf Jahrhunderte vorhersagbar machen würde. Allerdings verkündeten sowohl der Premier als
auch der Finanzminister bereits früher, dass sich Ungarn wohl kaum "vor 2020" den Euro zulegen wird.
Ganz anders bewertet Polen, Nachfolger Ungarns als EU-Ratspräsident, den "Pakt für den
Euro". Polens Finanzminister Jacek Rostowski sprach bei einer Konferenz von einem "massiven Durchbruch für Europa und Zeichen eines fundamentalen Politikwechsels." Er ist
sich mit dem deutschen Finanzminister Schäuble darin einig, dass man bei so wichtigen Entscheidungen nicht ständig auf die Sonderwünsche einzelner Staaten eingehen könne, bis
einmal eine Vertragsänderung vorangeht. "Um den Euro und die europäische Wirtschaft zu stärken, müssen die Regierungen daher über die bestehenden EU-Verträge hinaus gehen
und auf intergouvernementaler Basis kooperieren. Das ist sicher nicht mein Traum einer europäischen Zukunft, aber ich habe keine Zeit zu träumen", sagte Schäuble, laut einem
Bericht des Online-Portals Euractiv.de. Intergouvernementaler - ein Wort, das Präsident Schmitt ganz sicher gefallen würde...
red. / M.S.
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