Kleinanzeigen für
Ungarn und Osteuropa
ab 35.- EUR / 30 Tage

 

Hauptmenü

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 38 - 2012   FEUILLETON 21.09.2012

 

Volksweinstuben

Die gefährdete Welt der "Borozós" in Budapest

Menschen, die einem Buch Balzacs entsprungen sein könnten. Man fragt sich, was aus ihnen geworden ist, wo sind sie abgeblieben? Die Borozó gibt es noch, doch die Menschen sind fort, von ein paar Transportunfähigen abgesehen. Und der Wein schmeckt schaler als früher, teurer ist er natürlich auch. Man kam hierher, weil man sofort dazu gehörte und nicht nur der “werte Gast” war. Heute gibt es den Wein, doch es fehlt meist an der Seligkeit.

Tempi passati. Gefunden auf kep-ter.blogspot.com.

Die Budapester Variante des Heurigen in Wien, die Borozó, kommt in seiner authentischen Form deutlich bescheidener daher als der oft touristisch und mit ländlicher Noblesse aufgebrezelte Schwager in Grinzing oder Döbling. Ihr Publikum ist es auch, denn es besteht weder aus eventhungrigen Japanern, noch gestopften Wohlstandswienern, die ihren profanen Suff so unvergleichlich in edles Ambiente implantieren können, ohne ihn damit auch nur ein wenig zu verdecken.

Vom Aussterben bedrohte Soziotope

Nichts gegen die Kultur der Buschenschänken und Heurigen, nichts gegen angesoffene Döblinger, doch sie sind eine andere Welt. Die Borozó ähnelt eher den Trinkhallen oder Branntweinstuben aus den Arbeitervierteln und erfüllt auch nämlichen Zweck. Die Borozó ist meist nur ein größerer Kellerraum, der vor Hitze und der Welt da draußen schützt, mit einfachem Mobiliar und ebenso einfachen Menschen bestückt, die manchmal nicht vom Mobiliar zu unterscheiden sind. Vor allem sind sie vom Aussterben bedroht, die Borozós. Und die einfachen Menschen sowieso.

Das Soziotop Borozó erfordert niedrige Preisen und verträgt keine hohen Mieten. Doch da die Welt ist wie sie ist, ziehen in die Räume heute vornehmlich Klamottenläden oder Computerfachgeschäfte, eine 0815-Pizzeria oder im schlimmsten Falle kommt eines dieser gegelten Neureichenexemplare und versenkt sein Schwarzgeld in Form einer "Lounge" in die Untiefen der schnelllebigen Budapester Gastroszene. Manche ereilt auch die Retrowelle, wo das Ambiente der Zeit des Gulaschkommunismus dann wie an einem Filmset nachgestellt wird.

Wo es sie noch gibt, steht die Zeit still. Man spielt hier Karten, plaudert viel und mit zunehmender Zeit immer mehr, mancher schlägt auch nur die Zeit tot, bevor sie ihn totschlägt. Es gibt in den Borozós meist kein ausuferndes Buffet wie in Grinzing. Ein paar Schmalz- oder Liptauerbrote, vielleicht eine Brezel und Sauerzeug, ein paar Nüsse, das soll reichen. Gegessen wird meist zu Hause.

Dafür sind die Weine hier billig und gar nicht selten von sehr guter Qualität, kann der Wirt doch auf die jahrzehntelange Erfahrung seiner "Sommeliers", sprich Stammgäste setzen, die ihm einen schlechten Tropfen nur einmal verzeihen. Viele haben sich auf eine Weinregion spezialisiert, es gibt die Móri, die Egri, die Soproni Borozó, die Etyeki. Die Wirte holen den Wein in großen Gallonen selbst, das ist billiger und sicherer. Keiner schnüffelt hier an Korken, dekantiert oder “kaut” den Wein, den richtigen Riecher haben sie hier aber häufiger als die “Kenner” und “Liebhaber”.

Qualitätswein aus dem Aluminiumeimer

Eine dieser typischen weinseligen Einkehrpunkte war die Tokaji Borozó in der Falk Miksa utca 30, im selben Gebäude, wo diese Zeitung fabriziert wurde und in der Straße, die nach ihrem großen Chefredakteur Max Falk benannt ist. Ein Raum wie ein Weinfass, dunkles, massives Gestühl, vom Gebrauch fleckig geworden, an den Wänden Schnitzereien mit scheußlicher, immerhin indirekter Neonbeleuchtung und ein paar Stehtische.

Nur noch schemenhaft ist die Erinnerung an 24 Forint für den Deziliter Tokaj Szamordni (damals ca. 30 Pfennig), einem kräftigen, trockenen, würzig-goldenen Tropfen, den die belaibte Wirtin mit fröhlichem Schwung und einer kleinen Zote auf den Lippen mit einer Alukelle aus in die Schank eingelassenen Eimern schöpfte. In Glasbecher ohne Zier und Tadel. Der Wein war besser als in manch edlen Restaurants der Gegend. Wenn Bouletten-Tag war, roch man das schon vor der Tür, die Teilnahme war Ehrensache, die Tochter der Wirtin kam dann, mit einer Zote im Blick, herum und packte jedem, der wollte eine Fleischkugel auf den Tisch.

Wer zur Toilette musste, zwängte sich durch einen Holzverschlag halb in den Hof und konnte nur erahnen wo das Pissoir aufhörte und der Putzeimer begann. Obwohl offiziell ab 21 Uhr schließend, blieben und kamen bis weit nach Mitternacht die Gäste, die einem Sittengemälde Gyula Krúdys oder einem Buch Balzacs entsprungen sein konnten. Man fragt sich, was aus all diesen ganz normal wirkenden Menschen geworden ist, wo sind sie heute geblieben? Die Borozó gibt es noch, doch die Menschen sind fort, von ein paar transportunfähigen Kadavern abgesehen und der Wein schmeckt schaler als früher, teurer ist er natürlich auch und ihm fehlt die Seligkeit. Die Redakteure sind längst weitergezogen.

Für 10

Euro einmal durch die Getränkekarte

Ein paar dieser Unikate gibt es über die Stadt verstreut noch. In einigen dominieren Fußballübertragungen, in anderen Touristen oder bestimmte "Szenen", manche, mit denen man lieber nichts zu tun haben sollte. Nur selten noch findet man die gesunde Mischung aus angewurzeltem Stammpublikum mit seiner Typenschau, Mietern der Gegend, Gruppen junger Leute auf Durchreise und Zufallspublikum mit ungewissen Absichten. Mit dem Rauchverbot ist es so eine Sache. Eigentlich müsste es auch hier gelten, doch den Rauch brauchen Borozós wie die Luft zum atmen...

Nur wenige Gehminuten von der Andrássy út und dem Oktogon entfernt, in der Báthory utca 23, führt eine einfache Holztreppe den Besucher in die Báthory Borozó und damit eine dieser abgeschlossenen Welten (siehe Foto). Auch für die Einkehr hier besteht das Hauptargument in der Urigkeit und den vergleichsweise menschenfreundlichen Preisen. Für ein Glas Wein bezahlt man heute hier 180 HUF (64 Cent), das Bier gibt es ab 300 HUF (ca, 1,07€), für hochprozentigere Getränke muss man schon 450 HUF (ca. 1,60€) und 680 HUF (ca. 2,40€) einplanen, aber eigentlich braucht die keiner. Insgesamt, so sollen einige Stammgäste einmal ausgerechnet haben, könnte man für umgerechnet 10 Euro die gesamte Getränkeliste der Báthory Borozó durchprobieren. Man darf sicher sein, dass einige das regelmäßig auch tun.

 

So wie es sich in einer Borozó gehört, gibt es keine Bedienung. Der Gast bestellt und bezahlt sein Getränk direkt beim Wirt, was meist Antoß zu einem ersten kleinen Schwätzchen gibt, zwanglos. Hat der unvermeidliche Stammgast, der immmer hier steht, seinen Senf auch dazu gegeben, sucht mach sich einen Platz an einem der Tische und gehört schon dazu. Deshalb kamen und kommen die Menschen hierher, weil sie dazu gehören und nicht nur "werte Gäste" sind.

Kennen Sie noch urige Budapester Weinkeller / Borozós, die den Besuch lohnen? Schreiben Sie uns Ihre Tipps über die Kommentarfunktion.

ms. / eg.

___________________________________

Zwischenbericht in eigener Sache:
Spendenziel zu 75% erreicht - DANKE!!!
>>>
___________________________________