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(c) Pester Lloyd / 49 - 2012   GESELLSCHAFT 04.12.2012

 

Rette sich, wer kann...

Der Armutsbericht der EU ist ein echtes Armutszeugnis

Jeder vierte Europäer ist arm oder von Armut bzw. sozialer Ausgrenzung bedroht. Im Jahr 2011 gehörten 119,6 Millionen Personen bzw. 24,2% der Bevölkerung in der EU27 zu diesen Kategorien, wie der aktuellste Eurostat-Bericht zeigt. Das sind nochmals rund 7% mehr als in den Jahren 2008 und 2010. Kernziel der "Europa 2020 Strategie" ist die Zurückdrängung der Armut, doch Bankenrettungen und Gläubigerschutz haben Priorität, ein existentiell bedrohlicher System-Fehler.

Im Jahr 2011 wurden die höchsten Anteile von Personen, die in Armut leben oder von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht waren, in Bulgarien (49%), Rumänien und Lettland (je 40%), Litauen (33%), Griechenland und Ungarn (je 31% bzw. 3,1 Millionen Menschen) verzeichnet. Dass die niedrigsten Anteile nicht nur in den Niederlanden und Schweden (je 16%) sowie in Luxemburg und Österreich (je 17%), sondern sogar in der Tschechischen Republik (15%) gemessen wurden, lässt aufhorchen. Entweder lässt die nationale Erhebung der Daten einen unkontrollierten Spielraum oder es gibt in Osteuropa tatsächlich Länder, die die Krisen für die Mehrheit besser lösen können.

Letzte Station der Armut: Obdachlosenheim in Budapest. Mehr zu diesem Thema.

Darauf verweisen auch die Entwicklungstendenzen in den einzelnen Ländern der Region. So ist die Entwicklung in Polen seit 2008 rückläufig. Gehörten 2008 noch 30,5% dem armen oder armutsgefährdeten Personenkreis an, waren es 2010 nurmehr 27,8, im letzten Jahr 27,2%, auch Rumänien entwickelt sich, zwar von hohem Niveau und langsam, so doch wenigstens in die richtige Richtung, von 44,2 auf 40,3%. Die Slowakei meldet seit vier Jahren die gleichen Werte, die mit 20,6% relativ niedrig liegen.

Andere Länder, andere Sitten?

Ungarn startete 2008 bei einem Wert von 28,2%, mit der Ablösung der Gyurcsány-Regierung stand man bei 29,9% und 2011, nach mehr als eineinhalb Jahren "Totalumbau", "Flat Tax", massiv erhöhten Verbrauchssteuern und einem neuen Arbeitsrecht mit Anklängen an das 19. Jahrhundert sowie anderen ständestaatlichen Strukturreformen, die Ungarn "auf die eigenen Füße" stellten sollten, bei beschämenden 31% und auf einer Stufe mit Griechenland.

Freilich, wie bereits erwähnt, kann man bei den Zahlen aus manchen Ländern stutzig werden, Italien und Irland lieferten gar keine und überhaupt ist die Objektivierung von "Armut" ein fast unmöglich Ding, doch womöglich ist eine gewisse Grundsicherung der elementarsten Lebensbedürfnisse der Menschen ein Thema, das bei anderen Regierungen in Osteuropa weiter oben auf der Agenda angesiedelt ist als im national"revolutionären" Ungarn.

Aktuelle Daten vom Arbeitsmarkt (mit Links zu Einkommen und anderen Daten)
Mehr zur Armutssituation in Ungarn
Zwischenbilanz der "Kommunalen Beschäftigungsprogramme"
Vertragsänderungen nach dem neuen Arbeitsrecht

Eurostat schlüsselt die Armut und die soziale Ausgrenzung noch nach Unterkategorien auf , nach Personen, die armutsgefährdet sind, auch nach Zahlung von Sozialleistungen; Personen zwischen 0-59 Jahren in Haushalten mit sehr niedriger Erwerbstätigkeit sowie nach Personen, die "unter erheblicher materieller Entbehrung" leiden.

Während Ungarn bei den ersten beiden Kategorien leicht unterdurchschnittlich abschneidet, sticht das Land bei letzterer, also denen, die wirklich so gut wie nichts haben heraus, auf 23,4% der Bevölkerung bzw. 2,34 Mio. Menschen trifft das zu, ist also lange nicht nur mit der Verelendung eines hohen Anteils der ca. 700.000 Roma im Lande zu erklären (die übrigens trotz "Nationalstrategie" ungelöst bleibt). Die Werte derjenigen, die von Eurstat als "Habenichtse" eingestuft werden müssen schwanken innerhalb der EU enorm, zwischen 1% in Luxemburg und Schweden bis 44% in Bulgarien und 31% in Lettland.

Ein europaweiter Politikwechsel muss her

 

Die einzig akzeptable Schlussfolgerung aus diesem Bericht kann, unabhängig von der notwendigen Korrektur von Fehlentwicklungen in den nationalen Politiken, nur ein grundlegender Pradigmenwechsel in der EU insgesamt sein. Die Zahlen belegen, dass Bankenrettung und Schutz der Interessen von Gläubigern der Staaten (denn nichts anderes sind die Geldspritzen nach Griechenland, Spanien etc.) eine bevorzugte Behandlung vor den Grundbedürfnissen der Mehrheit der Menschen erfahren. Ein Leben außerhalb von Armut muss ein Grundrecht in der EU sein. Das ist keine Frage der Leistbarkeit (ist es), sondern eine des Prinzips, denn welchen Wert hat eine "Gemeinschaft" überhaupt, wenn ein Viertel von ihr menschunwürdig darben muss.

Während für die "systemischen" Ansprüche komplexe Refinanzierungsmechanismen (mehr oder weniger) ausgeklügelt werden, ist das täglich Brot, die warme Wohnung, das saubere Wasser dem EU-Almosendienst oder der Gnade der Nationalregierungen ausgeliefert, frei nach dem Motto: Rette sich, wer (es selbst) kann... Es liegt dabei sogar im Interesse der Protagonisten des heutigen Finanz- und Wirtschaftssystems, hier bald und gründlich eine Balance zu finden, die den Prozess der weiteren Verarmung umkehrt, andernfalls folgen der sozialen Verelendung geradezu zwingend gewalttätige Entladungen, die unsere "Gemeinschaft" als solche vernichten können. Die Geschichte lehrte schmerzhaft, dass meist nichts Besseres nachkommt...

cs.sz. / red.

Die Zahlen von Eurostat im Detail, darin auch genauere Einstufungen,
wann jemand als arm, armutsgefährdet gilt etc.

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