Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

Das Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 05 - 2013   WIRTSCHAFT 29.01.2013

 

Uneinsichtig

Ungarn schlägt Empfehlungen von EU und IWF weiter in den Wind

Sowohl der IWF wie auch die EU halten - nach einer längeren Visite vor Ort in Budapest - die Anstrengungen der Regierung um einen mittelfristig gesunden Haushalt durch strukturelle Reformen für nicht ausreichend. Zudem verhindern sprunghafte Wirtschaftspolitik und fehlende Verlässlichkeit ein Wachstum, das es bei dem sich aufheiternden globalen und guten regionalen Umfeld viel leichter haben müsste. Die ungarische Seite leugnet alles und behauptet das Gegenteil.

Anfang des Jahres hielten sich sowohl eine Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) wie auch die fiskalpolitische Kommission der EU für etwa zwei Wochen in Ungarn auf, zu "regulären Konsultationen", die zwar nicht in direktem Zusammenhang mit einer denkbaren weiteren Kreditlinie stehen, für Verhandlungen darüber sowie die weiterer Bearbeitung des Defizitverfahrens (EDP) jedoch wichtige Anhaltspunkte lieferten. Mehr zum ungarischen Fahrplan in Brüssel.

Der IWF ist in Ungarn keine Frage ökonomischer Abwägung, sondern ein politisches Kampfmittel. “Die Familienebihilfe kürzen... - Nein, nein das erlauben wir dem IWF nicht...” Allerdings hatte der das gar nicht gefordert. Egal. Message delivered.

Selbst in günstigem Umfeld kein Wachstum

 

Der IWF fragt, wie es anhand des verbesserten globalen Umfeldes, das u.a. auch die Zins- und Schuldenlast Ungarns etwas erleichtert hat, eigentlich immer noch sein kann, dass die Wachstumsaussichten Ungarn weiter so schlecht sind, das Land 1,5% BIP-Minus 2012 hinnehmen musste. "Die Wirtschaft steckt tief in ihrer zweiten Rezession binnen vier Jahren, Konsum und Investitionen fallen weiter, die Arbeitslosigkeit bleibt hartnäckig hoch." so das Urteil des IWF. Um mittelfristig budgetäre Stabilität zu erreichen, ist "eine neue Politik notwendig". Immer wieder wird von Verlässlichkeit und Berechenbarkeit gesprochen, die sowohl für die Finanzmärkte als auch für Investoren (ausländische wie binnen) von entscheidender Bedeutung sind.

Bei Verwaltungsreform weit hinter den Nachbarn zurückgeblieben

Neben viel allgemeinen Hinweisen zur "finanziellen Stabilität", den üblichen Forderungen nach Schonung des Bankwesens werden auch einige konkrete Themenbereiche angesprochen. So verläuft vor allem der Umbau der öffentlichen Verwaltung, der eigentlich ein Abbau sein soll,  längst nicht so, wie er sollte, um wesentlich Mittel einzusparen und gleichzeitig effizienter zu arbeiten. Die Ausgaben für die öffentliche Verwaltung pro Kopf und gemessen am BIP sind nach wie vor fast die höchsten in der gesamten EU und auch im regionalen Vergleich viel zu hoch. Das Problem das die Regierungspartei Fidesz hat, ist, dass der Wille, möglichst alles und jeden bis ins letzte Dorf zu kontrollieren, seinen personellen und finanziellen Preis hat.

Warnung vor kurzfristigen "Wohltaten", die später teuer werden

Der IWF rechnet der Regierung weiter vor, dass die Anhebung der Mindestlöhne, das Forex-Kreditablösemodell sowie die Reduzierung der Energiekosten für Private und Kleinstbetriebe zwar vordergründig die Lage der Haushalte entspannt, aber - und das sei Folge einer undurchdachten Politik - Effekte auslösen, die letztlich all das Angedachte wieder negieren und sogar verschlimmern: die Höhe des Mindestlohnes bedeutet höhere Steuern und Abgaben für die untersten Einkommensschichten und damit einen Reallohnverlust sowie höhere Kosten für die Arbeitgeber, die Kosten der Forex-Ablöse (und die etlichen Sondersteuern) haben die Banken ihre Kreditätigkeit auch für KMU stark einschränken lassen, Milliarden wurden abgezogen, geringere Umsätze für Energieprovider wirken sich zwangsläufig auf Investitionen aus, was Arbeitsplätze kostet und später wieder zu deutlich höheren Kosten auch für die Konsumenten führen muss.

Die EU ergänzte noch, dass sich Ungarn doch bitte vor allem die sektoralen Sondersteuern nochmal hinsichtlich ihrer Effekte auf Arbeitsplätze und Auslandsinvestitionen anschauen sollte. Richtig niederschmetternd wird das IWF-Statement jedoch hinsichtlich der Vorhersage des Budgetdefizites von 3,25% in diesem und "über 3%" im folgenden Jahr, was eine Ausweitung bzw. Fortführung des EDP zur Folge hätte.

Die Entwicklung des Forint zum Euro seit Amtsantritt der Orbán-Regierung oder wie böse Zungen sagen: die Liste der Pressekonferenzen von Minister Matolcsy.

Antwort Ungarns: Läuft alles toll, die EU kann halt nicht rechnen

Das Nationalwirtschaftsministerium antwortete mit dem üblichen Verteidigungsreflex, wonach das "öffentliche Defizit 2011 und 2012 viel besser war als die IWF-EU-Vorhersagen". Minister Matolcsy beharrt darauf, dass es 2011 einen Überschuss gab (die EU verweigert die Anerkennung der enteigneten Rentenbeiträge aus der ehemaligen verpflichtenden Zusatzversicherung in Höhe von rund 10% des BIP als Einmaleffekt und kommt somit auf ein Defizit von ca. 6% für 2011) und man 2012 unter 3% geblieben sei. Bereits vor einigen Monaten meinte Matolcsy, dass die abgehobenen Beamten bei der EU ohnehin nicht rechnen könnten, alles seien nur Missverständnisse, Fehlinformationen oder - wenn das nicht genügt - böser Wille. Eine ähnliche Kommunikationsstrategie fährt die Regierung täglich auch im eigenen Land: ob Arbeitslosenstatistik, Konsum, Investitionen oder Produktion. Alle Staitstiken werden mit unzulässigen Bezügen, Tricks oder abwegigen Basisdaten als positiv oder zumindest "im EU-Schnitt" manipuliert.

Ob diese Einstellung Ungarn mit der IWF und der EU näher zusammenbringt, dürfte, trotz des politischen Willens der EU-Ratsmehrheit zweifelhaft sein. Dabei schneidet Ungarn auch im direkten Vergleich mit z.B. der Slowakei, Tschechien, Polen, in einigen Punkten sogar mit Rumänien schlechter ab.

Politische Instrumentalisierung der IWF-Frage

Die Debatte, ob Ungarn überhaupt weitere IWF-Milliarden braucht, ist in Ungarn ängst schon eine hochideologische geworden und wird von der Regierung wie "ihrem" Volk mehrheitlich mit "Wir wollen keine Kolonie sein!" beantwortet. Unter diesem Motto fand eigens ein "Friedensmarsch" Hunderttausender Regierungsanhäger statt, die Regierung schaltete Anti-IWF-Anzeigen und Plakate auf denen man Forderungen nach Sozialabbau und "Immobiliensteuern" etc. ablehnte, die der IWF jedoch so nie gestellt hatte. Eine fundamentale Kritik an der Politik der Institution als Bewahrer und Katalysator der nicht funktionierenden Art und Weise der Fremdfinanzierung von Staaten (Schuldenspirale) ist zwar durchaus angebracht, hat aber mit Ungarns konkreter Situation und den vorliegenden fachlichen Empfehlungen relativ wenige zu tun hat.

Aufgrund der wahltaktischen Instrumentalisierung des Themas haben pragmatische Stimmen, die raten, das so billige Geld (2%) doch einfach als Stabilitätsreserve in der Hinterhand zu halten, um die Anleihezinsen zu drücken und den Forint zu stabiliseren, zumal die in diesem Zusammenhang geforderten Reformen sowieso unumgänglich sind, kaum eine Chance. Die IWF-Frage wurde vom Regierungschef selbst zu einer Grundsatzfrage der ungarischen Unabhängigkeit erklärt, eine Position, die mittlerweile so verfestigt und überhöht wurde, dass Orbán aus ihre ohne Imageschaden bei den entsprechend gepolten Anhängern kaum wieder herauskommt. Und das Regierungsimage, das musste man seit 2010 lernen, hat in Ungarn immer Vorfahrt.

red.

Zum Thema:

Er will doch nur spielen... - Aktuelle Statements zur Wirtschafts- und Finanzpolitik

Zur politischen Instrumentalisierung: Will bzw. braucht Ungarn überhaupt einen neuen IWF-Kredit?

Die Gulaschwirtschaft - Orbán und der IWF: Wunsch und Wirklichkeit in Ungarn

Ungarn zahlte 2012 so viel Zinsen wie noch nie, Aufschläge leicht rückläufig

Der Forint auf Talfahrt, was steckt dahinter?

Aktuelle Wirtschaftsdaten des statistischen Amtes

Immer weniger Arbeitsplätze: - Wirtschaft verlor 36.000 Stellen in einem Jahr: neuer Trick in der Statistik

 

Möchten Sie den Pester Lloyd unterstützen?