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(c) Pester Lloyd / 06 - 2013   RUMÄNIEN 08.02.2013

 

Zoff im Märchenland

Fahnenkrieg: Rumänien und Ungarn streiten sich im "nationalen Kindergarten"

"Die haben aber angefangen"... Der "Fahnenkrieg" zwischen der ungarischen Minderheit in Rumänien und den Zentralbehörden hat sich seit der öffentlichen Einmischung der ungarischen Regierung weiter verschärft und erinnert an den absurden Schlagabtausch mit der Slowakei rund um Staatsbürgerschaft und Sprachengesetz. Es ist immer der gleiche Ablauf: man provoziert den Nachbarn bis er platzt, um dann als Opfer zu lamentieren. Dieser fällt auch regelmäßig auf die Masche rein. Beide Länder demonstrieren ihre europoäische Infantilität.

Székler fordern alle Jahre wieder ihre “territoriale Autonomie”. Was soll das bedeuten? Zumindest steht fest: durch mehr kommunale und kulturelle Autonomie könnte Buakrest eine Menge Druck aus dem Kessel nehmen und gleichzeitig die Grenzen aufzeigen. Doch Ponta verharrt in zentralstaatlicher Sturheit.

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"Symbolische Aggression" vs. "Inakzeptable Einmischung"

Der rumänische Außenminister Titus Corlătean erklärte am Donnerstag im Fernsehen, dass der ungarische Botschafter des Landes, Oszkár Füzés, am "Rande der Ausweisung argumentiere", wenn er weiterhin seine "Unterstützung für eine territoriale Autonomie" der Székler, bzw. deren speratistische Bewegungen ausdrückt. Dies "überschreitet seine Zuständigkeiten" auf eine unzulässige Weise, so der Minister. Die Rergierung in Bukarest wies in gleicher Schärfe die Äußerungen des Außenstaatssekretärs Zsolt Németh zurück, der bei einer Székler-Flaggen-Solidaritätshissung in Budapest  von einer "symbolischen Aggression" Bukarests sprach. Némeths Äußerungen seien eine ebenso "inakzeptable Einmischung". Auch Premier Ponta äußerte sich, er werde "von niemandem Lektionen annehmen", wie in Rumänien Gesetze umzusetzen seien. Sein Land habe die höchsten europäische Standards bei Minderheitenrepräsentation bzw. lokalen Autonomierechten, behauptete Ponta weiter.

Überreaktion der rumänischen Behörden

Die Gouverneure von Kovaszna und Harghita verboten vor einigen Tagen das Hissen der Székler-Flagge an Amtsgebäuden. Die beiden Bezirke sind hinsichtlich der magyarischen Historie als Kern des Széklerlandes besonders mystifizert, sie liegen am Rande des von ethnischen Ungarn zahlreich bewohnten Siebenbürgens, das jahrhundertelang, bis Trianon vor 90 Jahren, Teil des Ungarischen Königreiches war und bis heute eine Art nationales Märchenland geblieben ist. Die Flagge der Székler ist auch auf Demonstrationen, Volksfesten und Sportveranstaltungen häufig präsent und dort auch erlaubt bzw. nicht explizit verboten. Allerdings erlauben die rumänischen Gesetze nicht erst seit gestern an Amtsgebäuden nur das Hissen von Flaggen "verfassungsmäßiger Strukturen" (Katalonien z.B. ist eine solche Struktur in Spanien, das Széklerland in Rumänien nicht) und internationalen Organisationen, in denen man Mitglied ist. Die Regelung wurde bisher kaum angewandt, aber nun von den Gouverneuren eingesetzt, um die Separatistenbewegungen an der optischen Übernahme von Rathäusern und Gemeindebauten zu hindern.

Überdreht der eine, verklemmt der andere. Körpersprache beim ersten Treffen
der beiden Premiers am Rande einer Regionalkonferenz.

Einmischung in die Angelegenheiten der Nachbarn ist Staatsräson

Die ungarische Regierung mischt sich seit 2010 aktiv in das politische Leben Rumäniens ein und versteht sich dabei als Schutzmacht für die rund 1 Mio. ethnische Ungarn des Landes. Allerdings gehen die Ambitionen Budapests weit über den vordergründigen Schutz der Rumänienungarn hinaus, so wie das auch die Rumänen in Moldawien halten. Durch organisatorische Spaltung, ideologische Polarisierung, die großzügige Vergabe von ungarischen Pässen sowie diverse "Förderungen" an besonders separatistisch agierende politische Strömungen, erhofft sich die nationalistisch-konservative Regierungspartei Fidesz eine breitere Wählerbasis für die Parlamentswahlen im Inland. Durch die vereinfachte Staatsbürgerschaft kommen bis 2014 rund 400.000 Wahlberechtigte (für Zweitstimmen) hinzu, deren Sympathien für Fidesz mutmaßlich deutlich über jenen für die MSZP oder andere nicht explizit nationalistische Gruppen liegen.

Orbán erweist den Landsleuten einen Bärendienst

Ein Höhepunkt dieser Politik fand jedoch noch unter der Vorgängerregierung statt, es war die Irrfahrt des damaligen Präsidenten Sólyom 2009, dem für eine Reise am ungarischen Nationalfeiertag die Landerechte verweigert worden waren. Mit der offenen Wahlempfehlung Orbáns für Präsident Basescu beim kürzlichen Referendum machte sich dieser den neuen Premier Ponta jedoch ohne Not zum Feind. Die offensive Politik der Orbán-Regierung hatte zur Folge, das sich die Anzahl der Sitze der gemäßigten Rumänienungarnpartei RMDSZ (in den Nachbarländern gibt es - im Gegensatz zu Ungarn - parlamentarische Vertreter für ethnische Minderheiten) im Parlament halbiert hat, womit auch der Einfluss auf die Politik der Regierung in Bukarest schwand.

Während die RMDSZ jahrelang Mehrheitsbeschaffer von Regierungen und auch Koalitionspartner war und sogar Minister stellte, ist ihre Bedeutung wegen der forcierten Spaltung deutlich gesunken und damit auch ihre Chancen, sich gegen den nicht minder starken rumänischen Nationalismus durch Kompromisse und Präsenz Gehör zu verschaffen. Genauso lief es auch in der Slowakei. Schuld daran waren natürlich die Slowaken, niemals Orbán. Der Streit während der erste Fico-Regierung führte zu einer langen Eiszeit, fast wie im kalten Krieg, nur ganz langsam entspannt sich das Verhältnis wieder - bis zum nächsten Knall.

Märchenhafte Schönheit, nationale Überhöhung.
Poskartenidyllen aus dem Szeklerland / Székelyföld / Ţinutul Secuiesc


Bukarest geht es nicht um ein Symbol, sondern ums Prinzip

Der ungarische Außenminister Martonyi stellte nun im typischen Kindergartenduktus klar, dass "Ungarn den Flaggenkrieg" nicht begonnen habe. Er forderte Bukarest auf, nicht so weit zu gehen, die Beflaggung mit "regionalen" Symbolen als Straftat zu ahnden und nannte das Vorgehen der Bezirksbehörden eine "negative Geste". Das Recht einer Gemeinschaft, ihre Symbole zeigen zu dürfen, sei ein "europäisches Minimum". Die rumänische Seite stößt sich jedoch in erster Linie daran, dass diese "Gemeinschaft" mit dieser Flagge mehrfach die "territoriale Autonomie" ausgerufen hat, die Gruppe also aus Bukarester Sicht verfassungsfeindliche Akte beging.

Wunden wurden mit Salz und Pfeffer offengehalten

Aus verbreiteter ungarischer Sicht ist das unverständlich, hält man doch Siebenbürgen mehrheitlich weiter für ein fremdbesetztes, ungarische Territorium, das 1921 durch den Trianon-Vertrag an Rumänien gelangte, 1940 von Horthy "heimgeholt" wurde, um dann 1945 endgültig und - völkerrechtlich auch von Ungarn anerkannt - Rumänien zugeschlagen zu werden. Die Wunden blieben offen, sie wurden offen gehalten, notfalls durch Salz und Pfeffer. Die Anerkennung der Realtiät ist ohnehin keine Spezialität dieses Landes.

Die Umsetzung des “Europas der Regionen” wären mit Bedeutungsverlusten national argumentierender Politiker verbunden, daher wird sie unterbunden.
 

Ein Paradebeispiel aggressiver, dummer Politik war der Auftritt des ungarischen Parlamentspräsidenten László Kövér im Vorjahr in eben diesem Széklerland, um dort anlässlich einer von ihm mitfinanzierten Urnenumbettung für den völkisch bis antisemitischen Schriftsteller und Politiker der faschistischen Pfeilkreuzlerpartei, József Nyirö, den Vorbildcharakter dieses vermeintlichen Helden für die ungarische Jugend zu betonen. Das israelische Parlament lud Kövér deshalb von einer Feierstunde für Raoul Wallenberg aus, Rumänien, damals in einer Staatskrise, merkte sich den Vorfall vor...

Beide Seiten ignorieren die europäische Realität

Es mag in Budapest also bitte niemand so tun, als wäre der “Fahnenkrieg” aus heiterem Himmel gefallen. Beide Seiten ignorieren seit Jahren die europäische Realität und euorpäische Möglichkeiten von Reise-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit bis hin zur Sozialunion, die solche nationalistischen Kleinkriege eigentlich überflüssig machen müsste, zumal das "Europa der Regionen" ein vielfach geförderter Anspruch der Gemeinschaft darstellt. Die smarte Umsetzung wäre jedoch mit dem Bedeutungsrückgang bis -verlust national argumentierender Politiker verbunden, daher wird sie unterbunden. Kooperation und Kompromiss gehör nicht ins Vokabular nationalistischer Politiker, weder in Budapest, noch in Bukarest. Europa wäre dann die Schutzmacht. Für unsere karpathischen Kaliber ebenso inakzeptabel.

 

Mit nationalistischer Argumentation, ob über Opferlegenden oder zentralstaatliche Sturheit, lässt sich in der Region noch Macht über Wählerstimmen gewinnen, daher bleibt Nationalsmus im Kindergarten Europas noch lange Teil der Politik. Beide Beteiligten disqualifizieren sich auf diese Weise als Europäer. Auffällig ist, dass Ungarn immer wieder zu den Beteiligten dieser Scharmützel gehört. Bukarest könnte den "Krieg" mit einer risikofreien Geste entspannt gewinnen und die hauptamtlichen ungarischen "Nationenschützer" mit der Freigabe der Beflaggung und der Anerkennung des Széklerlandes als historisch schützenswerter Region regelrecht entwaffnen. Rumänien würde daran nicht auseinanderfallen, sondern wachsen und in Ungarn würde mancher wach werden...

red. / ms.

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