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(c) Pester Lloyd / 08 - 2013   BULGARIEN 20.02.2013

 

Stromrevolte

Regierung von Bulgarien tritt zurück

Tagelang haben Massenproteste, eine regelrechte Revolte gegen überhöhte Strompreise und das Energiepreiskartell das Land in Atem gehalten. Die Lage eskalierte. Nun hat der Premier die Notbremse gezogen und trat mit dem gesamten Kabinett zurück. Er hofft, als neuer “Volksversteher” auf die Wiederwahl.

Bei den Demonstrationen, an denen zuletzt Zehntausende in praktisch jeder Stadt des Landes teilnahmen, gab es auch gewalttätige Ausschreitungen mit der Polizei, bei der etliche Demonstranten und auch Polizisten wurden, es gab willkürliche Verhaftungen auch von Unbeteiligten. Vermummte griffen Regierungsgebäude und Fahrzeuge von Energieversorgern an.

 

Der sonst eher robuste Ministerpräsident mit Türsteherqualitäten, Bojko Borissow, wurde am Mittwochmorgen weich und hat seinen Rücktritt angekündigt sowie den der gesamten sich als "bürgerlich" bezeichnenden Regierung. Er wolle nicht ein Land regieren, in dem "die Polizei die Bevölkerung schlägt, daher möge das Volk entscheiden." Am Dienstag kündigte er noch schnell eine Strompreissenkung um 8% an und hat dem tschechischen Stromkonzern CEZ die Lizenz entzogen, der neben der österreichischen EVN Hauptplayer auf dem Markt ist. Die deutsche E.ON zog sich Mitte dese Vorjahres über einen Verkauf vom Markt zurück. Die Maßnahmen Borissows - wie der Rücktritt selbst - sind als taktische Schritte für die Vorbereitung einer Wiederwahl zu sehen. Der Premier schwingt sich im letzten Moment zum Volksversteher auf und könnte so seine Wählerbasis sogar vergrößeren, an statt sich als "Vertreter der Konzerne" abstrafen zu lassen.

Die Stromrevolte in Bulgarien beruht auf - im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen - tatsächlich überproportionalen Energietarifen, so beträgt das Medianeinkommen einer dreiköpfigen Familie im Schnitt 350 EUR/ Monat, die Strom- und sonstigen Energiekosten machen davon schnell ein Drittel aus.

Das Volk fühlte sich von seinen Politikern, auch von dieser Regierung, an der Nase herumgeführt. Während die Energiepreise ständig weiter und existenzbedrohend stiegen, lenkte man mit einem Referendum zur Atomkraft ab, das die Parteien jedoch nur für ihre Wahlkampfzwecke interpretierten und an dem die Beteiligung sehr gering war. http://www.pesterlloyd.net/html/1306atomkraftwerkebulg.html Wo der Schuh wirklich drückte, teilte das Volk seinen “Herrschern” nun auf rabiatere Weise mit.

red

 

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