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(c) Pester Lloyd / 09 - 2013   WIRTSCHAFT 28.02.2013

 

Noch ein Monopol?

Ungarn baut Bahnnetz mit Milliarde aus China aus

Mit Hilfe eines Milliarden-Kredites aus China wird die Ungarische Staatsbahn MÁV ihre "größte Einzelinvestition seit 1948" tätigen, kündigte der für Außenbeziehungen zuständige Staatssekretär beim Amt des Ministerpräsidenten, Péter Szijjártó, am Mittwoch an. Das Projekt, das auf wachselnden Handel mit dem Balkan und dem Nahen wie Mittleren Osten spekuliert, könnte der Startschuss für ein neues Staatsmonopol bei der Eisenbahnfracht sein.

Das Projekt

Mit der Großinvestition soll ein neuer Schienenring für Frachttransporte um Budapest herum sowie die dazugehörigen Logistikeinrichtungen, wie Umschlagbahnhöfe und Lagerkapazitäten errichtet werden. Teil des Projektes ist auch eine Umgehung der Hauptstadt mit einer neuen Nord-Süd- bzw. Ost-West.Achse, die den Cargobetrieb konkurrenzfähiger machen soll, vor allem im Hinblick auf künftige Geschäfte mit den Balkanländern, der Türkei und dahinter. Bisher zentrieren sich sämtliche Schienenstränge in Ungarn derart auf Budapest, dass der Transit-Frachtverkehr oft nur nachts, aber auch dann, wegen der Lärmbelästigung nur unter bestimmten Bedingungen fließen kann. Frachtzüge, die Ungarn von Osten aus durchqueren, brauchen heute oft vier bis fünf Tage, um das Land zu durchfahren. Diese Zeitspanne soll auf einen Tag verringert werden. Insgesamt sollen 113 Kilometer zweispurige Schienenwege neu entstehen, Frachtzüge könnten die Umgehung dann mit bis zu 160 km/h benutzen. Das Projekt beinhaltet auch zwei neue Brücken über die Donau, ob diese auch anderen Verkehrsmitteln offen stehen, ist nicht bekannt gegeben worden. 2017 soll das Projekt übergabereif sein.

Alle Schienenwege führen nach Budapest. Noch. Das neue Projekt soll
einen Frachtumgehungsring um die Hauptstadt ermöglichen.

Die Kosten

Die Kosten des Projektes werden mit 360 Milliarden Forint, ca. 1,2 Mrd. EUR veranschlagt, die zum größten Teil aus einem 1 Mrd.-Kreditvolumen der Chinesen gedeckt werden sollen, der im Juni 2011 anlässlich des Besuches des damaligen Premiers Wen Jabao in Ungarn angestoßen und ein Jahr darauf fixiert wurde. Auch soll "geprüft werden", ob EU-Mittel für das Projekt, also Zuschüsse aus den Strukturfonds verwendbar sind. Aus welchen Mitteln die Rückzahlung des Kredites gestaltet werden soll bzw. ob der Betrieb des Systems wirtschaftlich machbar ist, bzw. die Chinesen daran beteiligt sein werden, sagte der Staatssekretär nicht, sondern bemerkte, dass man damit nicht nur die Wirtschaft fördern und Arbeitsplätze schaffen, sondern auch "Werte für kommende Generationen" kreieren wird. Szijjártó: "die geographisch Lage Ungarns ist eine der Hauptressorurcen, von denen Ungarn profitieren kann."

Die Strategie

Das Projekt kann auch im Zusammenhang mit dem kolportierten Wunsch der Regierung gesehen werden, die vor einigen Jahren - unter teils dubiosen Umständen - an die Österreicher (RCA, ÖBB-Tochter) verkaufte MÁV-Cargo wieder unter die Kontrolle des Staates zu bekommen. Von Seiten der Österreicher wurde bekannt, dass man "in Ungarn auf Partnersuche" sei, allzu viele mit nennenswerter Größe kommen abseits der MÁV dafür jedoch nicht in Frage. Die Rail Cargo Hungária erfüllt, wie von Fachleuten schon befürchtet, hinsichtlich der Erträge bei weitem nicht die Vorgaben aus der Zentrale des österreichischen Staatsbetriebes, zeitweise machte die MÁV es der neuen Konkurrenz auch durch Tarifanhebungen (Abfertigung, Schienennutzungsgebühren etc.) schwer. MÁV und RCH gemeinsam hätten quasi ein Monopol für Ungarn, daher ist es denkbar, dass Budapest Wien ein Angebot gemacht hat, das man kaum ablehnen kann... Mehr zu den Gerüchten und Links zu den Privatisierungsumständen: http://www.pesterlloyd.net/html/1305mavcargoruekc.html

Der Hintergrund

 

Der Frachtverkehr wäre, neben der Energiewirtschaft, der Telekommunikation, der kommunalen Dienstleistungen sowie - teilweise - der Finanzwirtschaft, eine der "nationalstrategisch" bedeutsamen Branchen, in denen die Orbán-Regierung die Kontrolle oder zumindest wesentliche Marktanteile übernehmen will. Allerdings übernimmt der Staat und der ihn finanzierende Bürger damit auch Ausfallrisiken und die Verantwortung für die Versorgungssicherheit, Aspekte, die in der Begeisterung im "Befreiungskampf gegen die Abhängigkeit von ausländischen Konzernen" oft zu kurz kommen, genauso wie der Umstand, dass die staatliche gelenkten Betriebe oft gar nicht über das notwendige Know how verfügen, um konkurrenzfähig zu sein, ganz abgesehen von den Gefahren, die aus der Verquickung von Beamtentum und Wirtschaft hinsichtlich Korruption und Amtsmissbrauch enstehen. Probleme, die man schon aus der realsozialistischen Zeit kennt, aus denen man aber wohl nicht genug Lehren gezogen hat.

Der Personenverkehr der ungarischen Staatsbahn MÁV wies im vergangenen Jahr seit langer Zeit wieder einen operativen Gewinn aus, allerdings ging dieser auf Kosten weiterhin aufgeschobener Investitionen, auch lasten Altschuldenberge auf dem Unternehmen, die, zumindest teilweise, von der Regierung übernommen, sprich ins steuerfinanzierte Budget überschrieben wurden.

cs.sz.

 

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