Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

Das Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 12 - 2013   WIRTSCHAFT 22.03.2013

 

Zurück in der Gefahrenzone

Zahltag im Kartenhaus: Schulden bringen Ungarn wieder ins trudeln

Die ungarische Staatsverschuldung hat im Februar ein neues Allzeithoch erreicht. Das staatliche Schuldenamt ÁKK meldete Verbindlichkeiten in Höhe von 21,6 Billionen Forint (rund 70,3 Mrd. EUR), 200 Milliarden mehr als November 2011, dem letzten Rekordstand. Die Staatsschuldenquote liegt mit 80,5% des BIP leicht unter der damaligen Marke von 81,8%, ist jedoch fast doppelt so hoch wie in Tschechien und deutlich höher als in jedem anderen Land der Region. In einem Monat ist damit der große Schuldenabbau rückgängig gemacht, den die Regierung aller Orten als ihre größte Leistung verkauft hat.

Allein im Januar kamen 468 (1,5 Mrd. EUR), im Februar nochmals 442 Milliarden Forint Staatsschulden hinzu. Auf Devisen lautende Schuldentitel, die 42% der Gesamtschulden ausmachen (9 Bio. HUF, 29,3 Mrd. EUR), wuchsen absolut um 570 Milliarden im Februar, Grund dafür ist sowohl die Aufnahme einer Dollaranleihe über 3,25 Mrd. USD als auch der schwächer werdende Forint, der die Bedienung der fälligen Zinsen und Anleihen entsprechend verteuert. Wenn man betrachtet, dass der Forint erst im März so richtig abbaute, werden sich die Zahlen im kommenden Monat weiter verschlechtern.

Preis des “Befreiungskampfes”

Ungarn hätte die Möglichkeit gehabt, einen Milliardenkredit vom IWF auszuhandeln, der nur 2% gekostet hätte, wollte dafür aber den politischen Preis nicht bezahlen, der in Zugeständnissen hinsichtlich einer berechenbareren und "konzernfreundlicheren" Steuer- und Wirtschaftspolitik bestanden hätte sowie in dem Eingeständnis gegenüber den eigenen Bürgern, auf fremde Hilfe angewiesen sein zu müssen. Den IWF hatte man jedoch zuvor schon als einen der Hauptfeinde im postulierten "Befreiungskampf" identifiziert, weshalb die wesentlich teurere US-Anleihe - absurderweise - politisch besser zu verkaufen war.

Letzte Reserve

Hinzu kommt, dass auch der Staatshaushalt unter weiteren Druck gerät, zwar sind Defizitquoten von 60-80% des Jahreszieles schon im Januar oder Februar, aufgrund nicht linearer Steuereinhebungen nichts ungewöhnliches, doch zeichnen sich in diesem Jahr ungewöhnlich hohe Steuerausfälle aufgrund falscher Konjunkturprognosen ab. Zudem spielt auch hierin der Forint eine Rolle, ist das Budget 2013 doch auf einen Durchschnittskurs von 283,4 Forint je Euro aufgebaut, während ein Jahresschnitt von über 300 bereits als unvermeidbar gilt. Auch auf der Ausgabenseite gibt es eine Reihe Unwägbarkeiten, so dürfte der - immer noch geheim gehaltene - Kaufpreis für die E.ON-Gastöchter deutlich über den budgetierten 875 EUR, womöglich bei bis zu 1,2 Mrd. EUR liegen. Bisher schützt das Land noch eine Budgetreserve von nominal rund 2.000 Mrd. Forint, die aber aufgrund der Verwerfungen nun schneller aufgebraucht werden könnte als geplant. Und: es ist die letzte Reserve, außerhalb der Devisenreserven der Nationalbank. Doch diese anzutasten, würde alle Dämme brechen lassen.

Der neue Wirtschaftsminister Varga versuchte zwar leise Andeutungen darüber, Haushaltskorrekturen vorzunehmen, doch wurde er von Premier Orbán zurückgepfiffen, der seine Legende vom "auf den eigenen Beinen stehen" unter allen Umständen aufrecht erhalten will. Dies bedeutet auch, dass die nächste EU-Prognose über das Defizit weiter von den Zahlen aus Budapest abweiche wird, was die eigentlich politisch geplante Einstellung des Exzessiven Defizitverfahrens gefährdet.

 

Machtrausch stellt Orbán selbst ein Bein

Aber es kommt noch eine andere Malaise ins Blickfeld: es ist möglich, dass sich die Regierung mit ihren Konstrukten des Machterhaltes nun selbst ein Bein stellt. Orbán erschuf nämlich einen neuen Haushaltsrat, der ein Vetorecht gegen das Budget hat, wenn bestimmte Daten bei der Verschuldung oder auch Termine beim Abschluss nicht eingehalten werden. Sollte Orbán nun, aus Rechthaberei, auf dem jetzigen Haushalt bestehen, könnte das Veto des Haushaltsrates selbigen zu Fall bringen. Der Präsident müsste aber - auch das eine Regelung des "neuen Ungarn", wenn bis zu einem bestimmten Termin kein rechtlich einwandfreies Budget vorliegt, das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen. Ein Mechanismus, mit dem man für den Fall vorsorgen wollte, dass es einmal wieder eine andere Mehrheit wagen sollte, das Land regieren zu wollen. Aushebeln kann er diese Falle dann wieder nur durch umfassende Verfassungsänderungen.

Forint weiter unter Druck - Anleihen werden teurer werden

Die Märkte reagieren auf diese Daten und Hintergründe: der Forint, der sich in den letzten Tagen, nach Ausflügen an die 310er Grenze wieder bei 305 und darunter gefangen hatte, lag Freitagvormittag schon wieder bei 307,9/EUR (Stand 11:07 Uhr). Analysten gehen davon aus, dass nun auch massiv auf eine Erhöhung der Risikoaufschläge auf die Zinsen bei Staatsanleihen gewettet und spekuliert wird, Ungarn gilt hier in letzter Zeit als zu gnädig behandelt, Verzinsungen von 4,1 bis 4,8% - einem Niedrigststand seit Jahren - spiegelten nicht das Risiko für Zahlungsausfälle. Das ganze geht mit einer erneuten Infragestellung der Bonität des Landes durch die Ratingagenturen einher, einzelne Banken wurden bereits herabgestuft, S&P hat den Ausblick fürs Land auf negativ gestuft.

Fremdschuldthesen bringen kein Geld in die Kasse

Wie immer, übt sich die ungarische Regierung in Ablenkung und pflegt - wie in der Politik - so auch bei den Wirtschaftsfragen Fremdschuldthesen. So sei für die Forintabwertung das Zypernproblem, für die Schwierigkeiten der ungarischen Wirtschaft insgesamt die "Schwäche der Eurozone" verantwortlich. Eine eigene Verantwortung lehnt die Regierung in jedem Falle ab, wirtschaftspolitische Maßnahmen werden von Wünschen und Hoffnungen, statt von Fakten und Möglichkeiten diktiert, was - zusammen mit planwirtschaftlichen Eingriffen in die Marktwirtschaft, sprunghafter und teils irrationaler Steuerpolitik, einer Gleichschaltung der Nationalbank, den sozialen Frieden gefährdenden Schieflagen - das Investorenvertrauen im In- wie Ausland erschüttert hat. Einen Überblick über das Orbán-System zwischen Wunsch und Wirklichkeit erhalten Sie u.a. im Beitrag "Gulaschwirtschaft" oder in den Rubriken des Wirtschaftsressorts (siehe Navigation oben).

Ungarn könnte bald wieder dort stehen, wo es 2008 stand

Fakt ist, dass die Phase relativer Ruhe durch Duldung der Märkte für die ungarischen Staatsfinanzen vorbei ist und das Land nun mit seiner eigenen Realität konfrontiert wird, die u.a. darin besteht, dass Orbáns "Revolution" keinen Kurswechsel hin zu mehr ökonomischer Stabilität gebracht hat und auch die Voraussetzungen für Wachstum von innen heraus nicht verbessert wurden. Auch die “Ostöffnung” brachte bisher mehr politische Irritation als Zählbares.

Nun ist Zahltag im Kartenhaus. Je schneller die Regierung diese Realität zur Kenntnis nimmt und die entsprechenden Gegenmaßnahmen einleitet, die in nicht viel mehr als in der Einsicht in Notwendigkeiten eines Schuldnerlandes bestehen müssen, kann Ungarn in eine gefährliche Abwärtsspirale trudeln, die das Land in eine Situation führt, wie man sie Ende 2008 schon einmal erleben musste, als das Land unmittelbar vor der Pleite stand und es nur durch äußere Hilfe seine Zahlungsfähigkeit aufrecht erhalten konnte. Dass Orbán deswegen seine ideologische Sandburg verlässt, ist zu bezweifeln.

Den Stand des Realitätsbewußtseins der Regierung demonstrierte gerade Regierungssprecher Giro-Szász eindrücklich: er unterstellte den Kritikern, sie könnten nicht rechnen, sei doch nachweislich die Verschuldung immer noch um einen halben Prozentpunkt niedriger als unter den Sozis. Man beeilte sich, diese Aussage auch schnell ins Englische zu übersetzen und auf der Webseite der Regierung zu veröffentlichen.

cs.sz.

 

Möchten Sie den Pester Lloyd unterstützen?