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(c) Pester Lloyd / 13 - 2013   POLITIK 28.03.2013

 

Geheimniskrämereien

NGO´s in Ungarn verlangen Einblick in behördliche Dokumente

Unterlagen zu den IWF-Verhandlungen bleiben 10 Jahre unter Verschluss - AKW Paks muss per Gerichtsbeschluss einige Studien publizieren - Auftragsvergabe für AKW-Ausbau bleibt aber geheime Chefsache - auch E.ON-Deal bleibt im Nebel und das Finanzgebahren der "Friedensmärsche" sowie der Oppositionsstiftung "Heimat und Fortschritt" sind weiter unklar

Verschiedene Bürgerrechtsgruppen und Medien wie die TASZ und atlatszo.hu bemühen sich regelmäßig, über das sog. "Informationsfreiheitsgesetz" Einsicht in Dokumente und so Licht in die Aktivitäten staatlicher Behörden und Staatsbetriebe zu bekommen. Meist müssen dann erst Gerichte bemüht werden, um Zugang zu angefragten Dokumenten zu erhalten, weil die Behörden solch Begehr ignorieren oder mit Standardantworten abweisen, obwohl das Gesetz eigentlich vorschreibt, alle amtlichen Vorgänge, die nicht aus speziellen Gründen als Verschlußsache deklariert werden, öffentlich zugänglich zu machen. Atlatszo.hu bietet den Bürgern dazu entspr. vorbereitete Formulare an, der Staat wappnete sich dagegen mit Dienstanweisungen wie diese zu behandeln seien...

Eine dieser Anfrage betraf den Briefwechsel des damaligen IWF-Chefverhandlers Mihály Varga. Entsprechende Auskunftsbegehren blieben wirkungslos und das Gericht folgte der Linie des jetzige Nationalwirtschaftsministers, der argumentieren ließ, dass es sich bei dem Schriftwechsel um "Dokumente der internen Vorbereitung bzw. Prüfung" handelt, die daher nichts an der Öffentlichkeit zu suchen hätten. Die Anfragenden hätten gerne gewußt, mit welchen Argumenten und Fakten der Staat gegenüber dem IWF auftrat und welche Forderungen die potentiellen Geldgeber tatsächlich aufgestellt haben. Dazu haben sie nun - vielleicht - in zehn Jahren die Möglichkeit, so lange sollen die Akten dazu unter Verschluss bleiben. Atlatszo.hu kommentierte das Vorgehen sarkastisch: offenbar sollen die Bürger nur über Anzeigenkampagnen der Regierung erfahren, was auf internationaler Bühne gespielt wird.

Erfolgreicher agierten die NGO´s Energiaklub und TASZ vor dem Bezirksgericht in Szekszárd und erreichten, dass die Akten des sogenannten Teller-Projektes (Ede Teller, Nobelpreisträger und maßgeblich mitwirkend beim Bau der ersten Atombombe im Rahmen des Manhatten-Projektes) als öffentlich zugänglich eingestuft wurden. Damit muss das Atokmkraftwerk Paks, bzw. dessen Betreiber, der staatliche Energiekonzern MVM offenlegen, die Unterlagen offenlegen, die Auskunft über den Ausbau des einzigen Atomkraftwerkes in Ungarn geben. Dabei geht es sowohl um den Bau zwei neuer Reaktoren sowie auch die Modernisierung der alten aus den Achtziger Jahren, um deren Laufzeit - wesentlich - zu verlängern. Die Kosten für das Gesamtprojekt, so der Energiaklub, summieren sich auf mehrere Milliarden Euro, daher wüsste "das Volk" schon ganz gerne, was damit geschieht, wer die Aufträge erhält etc.

Das Szekszárder Gericht gab nun 6 der 7 angefragten Dokumente frei, eine Machbarkeitsstudie darf unter Verschluss bleiben, freigegeben werden u.a. eine Analyse der Managementberatung Accenture, zwei Finanzierungsszenarien der ING Bank, eine "Kommunikationsstudie" der technischen Universität Budapest, ein Strategieprojekt zur Atommüllagerung seitens der Som System GmbH sowie eine alternative Finanzierungsstudie einer Esplanade Consulting GmbH.

Zum Zustand der alten Blöcke des AKW Paks lohnt sich auch ein Blick in das sog. AGNES-Projekt, das bei der IAEA einsehbar war und das wir hier näher ausgewertet haben. http://www.pesterlloyd.net/2011_19/19atomAGNES/19atomagnes.html Es liefert interessante Interna darüber, für wie sicher die hauseigenen Ingenieure und Sicherheitsexperten ihr eigenese Kraftwerk bei Havarien halten...

Wer Informationen darüber haben will, wie die Auftragsvergabe für das Milliardengeschäft des Neubaus abläuft, sollte sich jedoch besser direkt an den Premier halten, der diese Dinge gerade in einem 4-Augen-Gespräch mit seinem Amtskollgen Putin besprach. Infos darüber gabs keine, auch die Anfragen dazu seitens von Parlamentariern blieben - in der Sache - unbeantwortet. Die gleiche gilt übrigens für den Deal mit dem die Regierung die Gastöchter der E.ON aufkaufte bzw. noch kauft. Wie bekannt wurde, verzögerte sich die Vertragsunterzeichnung über Wochen und der für MVM genehmigte Kaufpreis von rund 857 Mio. EUR wird offen in Frage gestellt, Insider berichten von einem Endpreis von über 1,1 Mrd. EUR, was sich aber aufgrund des Verschlusses der Dokumente nicht nachprüfen lässt.

Wie am Donnerstag bekannt wurde, ist der Verkauf der E.ON-Gastöchter an Ungarn am Donnerstag für 870 Mio. EUR über die Bühne gegangen, einschließlich der Übernahme der Verpflichtungen in nicht genannter Höhe, womit nicht ausgeschlossen ist, dass der tatsächliche Kaufpreis letztlich doch über der 1 Mrd. EUR-Grenze liegen könnte.

 

Der dritte Bereich aktueller Informationsbegehrlichkeiten nervender Bürger betrifft die beiden politischen Lobbyorganisationen "Heimat und Fortschritt" von Ex-Premier Bajnai (Gemeinsam 2014) sowie die hinter der "Bürger"-Bewegung CÖF, also den "Friedensmärschen" der Regierungstreuen stehende Stiftung (CÖKA). Atlatszo.hu stellte eine Anfrage an beide Organisationen und begründete das Auskunftsbegehr nach den Finanzquellen damit, dass beide maßgeblich im politischen Leben und bei der politischen Meinungsbildung im Lande engagiert sind. Von "Heimat und Fortschritt", einer politischen Stiftung, bei der neben Bajnai auch andere ehemalige Kabinettsmitglieder dabei sind, wollte man allgemein wissen, wie sie sich finanziert und wen sie mit Geldern unterstützt, von CÖKA wollte man auch konketere Auskunft haben, z.B. darüber, mit welchen Quellen diverse Plakatkampagnen gegen Bajnai etc. finanziert wurden, zumal die Aufträge an Außenwerbefirmen gingen, die im Besitz eines einschlägig bekannten Fidesz-Oligarchen bzw. der öffentlichen Verkehrsbetriebe sind.

Beide beantworteten die Anfragen zunächst nicht. László Csizmadia, Chef der CÖF und CÖKA und früherer Fidesz-Schatzmeister ließ dann ausrichten: "Dass in unseren Statuten geschrieben steht, dass die Beschlüsse des Vorstandes öffentlich gemacht werden müssen, bedeutet nicht, dass alle Beschlüsse öffentlich gemacht werden." Das ist natürlich auch eine Auskunft.

red.

 

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