Hauptmenü

 

KLEINANZEIGEN für UNGARN und OSTEUROPA ab 35.- EUR / 30 Tage!

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 21 - 2013   WIRTSCHAFT 21.05.2013

 

Faule Kredite, fauler Staat

Kreditausfälle in Ungarn erreichen neues Allzeithoch, Schuldner bleiben sich selbst überlassen

Die aktuellen Zahlen zu den notleidenden Haushaltskrediten (NPL, non-performing loans), die von der Ungarischen Nationalbank, MNB, vorgelegt werden, sind erschütternd. Im ersten Quartal 2013 stieg der Anteil der faulen Kredite, also all jener Darlehen, deren Raten bereits mehr als 90 Tage überfällig sind von 15 auf 18% im Schnitt aller in Ungarn lizensierten Banken, bei Hypothekenkrediten liegt die Quote über 26%. Doch die Regierung zieht daraus keine Schlüsse, denn Schuld an dem Zustand sind ja die Banken und die Sozis. Dabei tat Orbán viel dafür, dass den Ärmsten die Luft knapp wird.

Proteste gegen Zwangsräumungen - und die Umstände, die zu selbigen führen (!) sind in Ungarn - im Unterschied z.B. zu Spanien - noch eher zaghaft, die Problemlage ist aber genauso akut und verschlechtert sich seit 2008 permanent

Ausfall von Forintkrediten noch höher als bei Forex-Krediten

Ende März schuldeten die privaten Haushalte den Banken in Summe 6.892 Milliarden Forint (heute rund 23,7 bzw. 23% des BIP), 1.240 Mrd. davon, also rund 4,2 Mrd. gelten als "non performing", also seit mehr als drei Monaten und mit mindestens je über 315.- EUR im Rückstand, der höchste Stand, der je gemessen wurde. Besonders problematisch ist die Quote bei den Krediten für Wohneigentum, hier ist schon jeder vierte Kredit, genau 25,1% als faul eingeschätzt. Totalausfälle hier haben den nicht unwesentlichen Nebeneffekt, dass die Schuldner nicht nur auf Jahre in der Schuldenfalle hängen, sondern auch noch ihre Bleibe verlieren und damit auch die einzige, traditionelle und verlässliche Altersvorsorge neben der im europäischen Vergleich eher geringen Rente. Hier straucheln aber nicht nur die Forex-Schuldner, denen man gerne einmal vorwirft, blauäugig auf die Verpsrechungen niedriger Zinsen hereingefallen zu sein, auch die Forint-Kredite in diesem Segment werden immer weniger bezahlt, die Ausfallquote in der Heimwährung liegt mit 27,6% sogar noch höher.

Rechnet man die Zahlen für notleidende Kredite, die unter 90 Tage überfällig sind, zur obigen Quote hinzu, ergibt sich, dass derzeit nur 64,1% aller Kredite an Privathaushalte bedient bzw. pünktlich werden, noch mal knapp 1 Prozentpunkt weniger als vor einem Jahr. Anfang 2009, als die Lehmann-Krise einen ersten Höhepunkt erreichte, stand die Quote der pünktlichen Zahler noch bei 82,7%, ein Hinweis darauf, dass auch der Mitte der Einkommensgesellschaft immer mehr die finanzielle Puste ausgeht.

Immer weniger real verfügbares Einkommen

Die Gründe für die sich stets verschlechternde Lage der Schuldner sind vielfältig:

> der Forint war gegenüber Euro und Schweizer Franken in den ersten 3 Monaten knapp 4% schwächer als im Vorjahreszeitraum, was Forex-Kredite entsprechend verteuerte und die Rückzahler noch mehr unter Druck brachte

> die Umtauschprogramme für Forex in Forintkredite zu einem bevorzugten Wechselkurs greifen nicht, weil die finanzielle Belastung nur prolongiert, nicht aber vermindert wird, zwar wechseln viele ihre notleidenden Franken-Kredite in Forint-Kredite, um dann festzustellen, dass sie diese genausowenig bezahlen können

> im Schnitt hatten die Ungarn 2012 5,4% Reallohnverlust hinzunehmen, die unteren Einkommensgruppen sind durch erhöhte Verbrauchssteuern noch stärker belastet, viele können ihre Raten daher noch schlechter bedienen als zuvor

Punktuelle Pseudosozialpolitik gegen ein strukturelles Problem

Nach der Verlängerung des o.g. 2. Umtauschmodells verkündete ein Regierungssprecher, dass "keine weiteren Maßnahmen" zur Hilfe für Forex-Schuldner "notwendig sind". Eine Wiederholung des
1. Umtauschmodells (wo Schuldner ihre Kredite auf einen Schlag gegen ca. 25% Rabatt loswerden konnten) wird es nicht geben, die damit bediente Klientel, nämlich jene, die Geld oder Zugang dazu hatte, ist ausgeschöpft, für den Durchschnittsschuldner taugte es ohnehin nicht. Zwei Sozialprogramme legte die Regierung auf, für diejenigen, die direkt der Zwangsräumung ins Auge sehen: den Abkauf der überschuldeten Immobilie von der Bank und Rückvermietung an den Ex-Besitzer durch die Kommune; den Bau einer "Armensiedlung" mit Sozialbauten am Rande der Hauptstadt. Während das erste Programm rund 3.000 Menschen (geplant waren mal mehr als doppelt so viele) vor der Obdachlosigkeit bewahrt, wenn ihre Kommune bereit ist das Geld und die Gnade für diese Umschreibung locker zu machen, kommen im "Wohnpark Ócsa" rund 500 Familien unter. Als "Flüchtlingslager für Frankenopfer" bezeichnete es der Schweizer Tagesanzeiger in einer sehr lesenswerten Reportage, in der auch über die Auswahlkriterien, Lebensbedingungen und "Perspektiven" der Bewohner berichtet wird. Wer nicht den "Kriterien" für eine Notrettung entspricht, wird "delogiert", das Moratorium gegen Zwangsauktionen und -räumungen ließ die Regierung nämlich sanft auslaufen, als Zugeständnis an die Banken für deren höhere Steuerbelastung. Insgesamt gelten derzeit 170.000 Menschen als vom Verlust der Bleibe bedroht.

Viele Schuldige entschuldigen nicht die heutige Asozialität

Die Zahlen belegen, dass sich die Situation der Betroffenen in Ungarn unter der Orbán-Regierung verschlechtert hat und sie nicht, wie von der Regierung behauptet, "mehr Geld in der Tasche" haben. Die Zahlen belegen auch, dass es sich nicht um ein Fremdwährungs- sondern ein allgemeines Schuldenproblem handelt. Dass die Ursachen für die hohe Verschuldung und die geringe Zahlungsfähigkeit bei den Vorgängerrregierungen - wie auch bei völlig entfesselt agierenden Banken im skrupellosen Ringen um Marktanteile - zu finden ist, stimmt, ent-schuldigt aber die asoziale Ständestaatsspolitik Orbáns nicht. Seine klientelorientierte Umverteilungspolitik über die Flat tax, die erhöhten Verbrauchssteuern, das Forex-Ablösemodell, verbunden mit parteilicher Vetternwirtschaft von EU-getragenen Großaufträgen bis hinunter zum letzten dörflichen Zigarettenladen, hat die Gesellschaft ökonomisch und sozial weiter gespalten, mehr als ein Drittel ist dauerhaft in einer prekären Lage und kämpft um die nackte Existenz, ein weiteres Drittel kommt gerade so über die Runden. Der Rest lebt auf deren Kosten und wird von der Regierung dabei protegiert.

 

Doch nicht nur beim Einkommen, auch beim Wohnraum selbst verfehlt die Politik jedes Minimum an Verantwortung: es gibt bedeutende Leerstände auf kommunaler, städtischer und staatlicher Ebene, die schnell in Sozialwohnungen umfunktioniert werden könnten, einen geförderten Wohnungsbau über kleine individuelle Beihilfen für Mittelstandsfamilien hinaus, gibt es überhaupt nicht.

Bisher kanalisierte sich der Protest, der direkt von der Insolvenz und / oder Räumung Betroffenen, in einer Bewegung "gegen die Banken", mit nicht kleinem nationalistischen Einschlag. Dass die Regierung ihre Legende von der Fremdschuld an der sozial-ökonomischen Misere des Landes aber noch lange aufrecht erhalten kann, darf bezweifelt werden. Die Kreditausfälle treffen aber nicht nur die Banken, sondern, über Kapitalabzug und Steuerausfälle wegen Ertragsverlusten auch wieder den Staat und seine Bürger, der auch für seine Obdachlosen verantwortlich ist. Doch wie er dieses Problem "löst", ist hinfällig bekannt. Sie werden einfach verboten.

red. / cs.sz.

Möchten Sie den Pester Lloyd unterstützen?