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(c) Pester Lloyd / 21 - 2013   NACHRICHTEN 22.05.2013

 

Jubel und Flucht

Nachrichten der Woche aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft in Ungarn

Erneute Steuererhöhungen für Energiekonzerne, Banken, Finanztransaktionen, neue Steuer auf Anzeigen - Oppositionsführer verspricht Geringverdienern 35.- EUR mehr im Monat - Roma in Ungarn weiter gefährdet, AI-Bericht aber unvollständig und fehlerhaft - Oppositionelle verweigern Strafzahlung wegen unbotmäßigen Verhaltens - Fidesz plant Jubelkampagne durchs ganze Land - Außenminister lässt EU-Zwänge beklagen - MSZP bekommt Ärger mit dem Datenschutz - Auswanderung in die EU um 60% gestiegen

Unser täglich Brot... und Dein Wille geschehe... Orbán bei einer folkloristisch umrahmten “strategischen Kooperation”szeremonie mit einem Unternehmen...

Steuererhöhungen für: Energiekonzerne, Banken, Anzeigen, Finanztransaktionen

Am Mittwoch gestand auch die ungarische Regierung ein, dass ihre vor zwei Wochen angekündigten Budgetanpassungen wohl nicht reichen werden, um die EU zu einer Beendigung dese Defizitverfahrens zu bewegen. Der Steuerstaatssekretär Gábor Orbán legte den Abgeordneten ein erneutes Steuerpakte mit den Worten vor, dass dieses nötig sei, "um die EU-Kommission und den Rat der Regierungschefs von der harten Arbeit der ungarischen Bürger zu überzeugen.", auch wenn man "die makroökonomischen Vorgaben nicht anerkennen" könne. Der Brief mit den neuen Maßnahmen sei schon nach Brüssel verschickt worden und müsste die EU nun endgültig überzeugen, "wenn die Regeln der Mathematik noch gültig sind", so Premier Orbán.

Angehoben werden die Transaktionssteuer, die mit ihren Einnahmen in den ersten vier Monaten mehr als 60% hinter den Erwarungen zurückblieb, vor allem weil sich die großen Unternehmen durch Auslagerung der meisten Buchungen in Ungarn entzogen, auch die Banken"sonder"steuer, die längst in ein dauerhaftes Modell angehoben wurde, wird angehoben, ebenso die Extrasteuer auf Profite der Energieanbieter. Neu eingeführt wird eine Steuer auf Anzeigen in Zeitungen und im TV.

Einzig die Sondersteuer auf Telekomunternehmen rührte man nicht nochmals an, sie liegt derzeit zur Prüfung vor dem EU-Gericht und wird wahrscheinlich als nicht rechtens kassiert werden, eine Rückzahlung wird das Land weitere 0,8% des BIP bzw. rund 800 Mio. EUR kosten, was ein Fall für weitere Steuererhöhungen wäre, zumal das Defizit in den ersten vier Monaten des Jahres, saisonbereinigt, schon 60% erreicht hat. Orbán promotet das neue Steuerpaket so, dass er "keinesfalls" die Steuerlast für die Bürger, sondern nur die für "die Multis" anzuheben gedenkt. Allerdings zahlen die Bürger bzw. Konsumenten letztlich natürlich diese Zeche, wenn auch nicht immer gleich und in voller Höhe.

Oppositionsführer verspricht Ärmsten 35.- EUR mehr im Monat

Langsam merken auch die politischen Herausforderer, dass ein Machtwechsel in Ungarn kaum über demokratiepolitische Gemeinplätze, sondern über die Brieftasche der Wähler läuft. Ob das Angebot Bajnais jedoch genügt, die rund 50% Nichtwähler hinter dem kalten Ofen hervorzulocken? Die Mitte-Links-Wahlallianz "Gemeinsam 2014" um Ex-Premier Gordon Bajnai will bei einer Regierungsübernahme nach den Wahlen 2014 für ein "gerechteres Steuerregime" sorgen. Bei einer Präsentation am Mittwoch in Komárom bezichtigte Bajnai Premier Orbán, nur die "obersten 12%" der Einkommensskala durch seine Flat tax zu bevorteilen, während der Rest durch immer neue und höhere Verbrauchssteuern überproportional viele Lasten zu tragen hat.

Er werde dafür sorgen, dass all jene, die nur den gesetzlichen Mindestlohn oder leicht darüber, künftig 8000 bis 10.000 Forint (also bis 35.- EUR) monatlich mehr in der Tasche haben werden. "Unser anvisiertes System der Lastenteilung wird jene mit den höchsten Einkommen nicht aussparen". Fidesz antwortete wie gewohnt, ohne auf die Zahlen selbst einzugehen: Bajnai kündige "brutale Steuererhöhungen" an, will die "niedrigste Einkommenssteuer Europas" abschaffen und damit 2 Millionen Menschen schaden.

Roma in Ungarn weiter gefährdet, AI-Bericht unvollständig und fehlerhaft

Apropos unterste Einkommenssichten. Ein Auszug aus dem Länderbericht von AI zum Thema Roma: "Trotz einiger Zusagen der Regierung, Einschüchterung zu unterbinden, sind Roma in Ungarn fortgesetzt Opfer rassistischer, auch gewalttätiger Angriffe. Der Prozess gegen die Verdächtigen einer Mordserie 2008/2009 (bei der sechs Menschen, darunter ein Kleinkind getötet wurden) wurde verzögert. Einer der Anwälte der Angeklagten legte im Oktober sein Mandat nieder, nach dem bekannt wurde, dass er der Sohn eines am Prozess beteiligten Richters ist. Im März legte ein Parlamentskomitee einen Bericht zu den Vorgängen in Gyöngyöspata im März 2011 vor. Der Bericht vermied eine Auswertung des langsamen und inadäquaten Handles seitens der Autoritäten gegen die Bedrohungen und Angriffe seitens der "patroullierenden Bürgerwehren", die fast einen Monat den Ort kontrollierten. Im August hielt die rechtsextreme Partei Jobbik und einige "Bürgerwehren" einen Marsch in Devecser ab, dabei wurden Wurfgeschosse auf Häuser von Roma geworfen. Die Polizei griff nicht ein, um die Angriffe zu stoppen. Die Regierung erklärte im Anschluss daran, dass man "jede Art von Übergriffen gegen Minderheiten nicht tolerieren werde". Kurz darauf griffen "Bürgerwehren" Roma in Cegléd an (18. August). Dabei drangen mehrere in schwarze Uniformen gekleidete Gruppen in die von Roma bewohnte Siedlung ein, riefen Hassparolen und stießen Morddrohungen aus. Die Polizei verhinderte diese Attacken nicht, sondern wies die Roma an, in ihren Häusern zu bleiben. Die "Bürgerwehren" blieben für zwei Tage in dem Ort. Die Polizei stufte die Vorgehen als "öffentliches Ärgernis" ein, nicht aber als "Angriff auf Mitglieder einer Minderheit". Am 17. Oktober marschierten mehrere tausend Anhänger der Jobbik durch ein Viertel in Miskolc mit hohem Romaanteil, hunderte Roma hielten eine friedliche Gegenkundgebung. NGO´s bescheinigten der Polizei angemessenes Verhalten, um beide Gruppen zu trennen."

Der Bericht von AI ist unvollständig und in manchen Punkten fehlerhaft bzw. ungenau. Was völlig fehlt sind die Diskriminierungen im alltäglichen Bereich, schulische Segregation, mangelnde Zugänge zum Gesundheitswesen, zu Rechtshilfe sowie die offene Diskriminierung durch die Handhabung der Kommunalen Beschäftigungsprogramme. Diese Aspekte aber sind es, deren Veränderung strukturell eine Verbesserung der Lage der größten ethnischen Minderheit hervorrufen kann, während die aufgezählten Aufmärsche nur ein Symtpom für wachsenden Rassismus darstellen. Der AI-Bericht lenkt zwar das Augenmerk der Weltöffentlichkeit auf den Hot Spot, wird aber der Lage der Betroffenen nicht gerecht und zeichnet durch seine Beschränkung auf direkte Konfrontationen kein realistisches Bild.

Oppositionelle verweigern Strafzahlung wegen unbotmäßigen Verhaltens

Die drei von Parlamentspräsident Kövér wegen ungebührlichen Verhaltens zu Geldstrafen verurteilten Abgeordneten der Partei "Dialog für Ungarn" bzw. der MSZP weigern sich, die Buße zu zahlen, weil sie darin eine "Einschränkung ihres Rechtes auf freie Meinungsäußerung" sehen, die dem Parlamentspräsidenten nicht zusteht. Das Präsidium antwortete, dass man den drei Abgeordneten rate, die Summe binnen 15 Tagen einzuzahlen, sonst werde man sie ihnen von der nächsten Gehaltszahlung abziehen. Die Drei sind wegen "obszöner Gesten" (der MSZP-Mann zeigte Richtung Jobbik den Mittelfinger) bzw. dem Zeigen eines "beleidigenden Transparentes" (die Grünen zeigten ein Fidesz-Logo mit der Aufschrift: ihr klaut, ihr betrügt und lügt...") verurteilt worden. Grundlage sind die neuen Hausregeln, woraufhin "Äußerungen, die die Würde des Hauses schmälern" sanktioniert werden müssen. Die tagtäglichen Herabwürdigungen seitens der Neonazis wurden bisher übrigens kaum geahndet. Die Abgeordneten wollen die Sache nun vor Gericht ausfechten und werden die Strafbeträge (je rund 300-400 EUR) so lange auf ein Anderkonto hinterlegen.

Fidesz plant Jubelkampagne durchs ganze Land

Die ungarische Regierungspartei Fidesz will ihre "Errungenschaften" durch eine Serie von Konferenzen im ganzen Land feiern lassen. Die "Road Show" wird natürlich unter das offizielle Regierungsmotto "Ungarn macht´s besser!" gestellt, sagte der mit der Durchführung betraute Abgeordnete Zsolt Nyitrai am Mittwoch. Dabei sollen Minister und Staatssekretäre "durch das ganze Land reisen", starten werde man im äußersten Nordosten, in Nyíregyháza und Ende Juni in Budapest das Finale haben. Derweil habe man bereits 1,7 Millionen Unterschriften für die Kürzung der Wohnnebenkosten (Energie, Abwasser etc.) gesammelt, was ein eindrücklicher Beweis für die Unterstützung der Regierungspolitik seitens der Bevölkerung sei.

Außenminister lässt EU-Zwänge beklagen

Eine Konferenz der eigenen Art ließ Außenminister János Martonyi abhalten. Sie hatte den Titel: "Die Erzwingung von EU-Recht gegen Mitgliedsstaaten". Dabei wollte der Minister zum Ausdruck bringen, dass die "EU die Gleichheit der Mitgliedsländer und ihrer nationalen Identität wie auch ihrer politischen und verfassungsmäßigen Ordnung zu respektieren habe". Ohne diesen Respekt könne "die Integration nicht funktionieren", daher müsse eine "neue Balance bei der Tätigkeit der verschiedenen EU-Institutionen" gefunden werden. Die Konferenz, die man im Internet verfolgen konnte und sehr dünn besucht war, diente dem Zweck, die Ursache der "Konflikte mit Brüssel" beim "Missbrauch der EU-Institutionen" seitens einer "linksliberalen Kampagne" zu benennen. Sprich: was immer Orbán und seine Mehrheit im Lande auch tun, fällt unter "nationale Identität" und ist nicht kritisierbar. Auch Martonyi arbeitet also - linientreu - weiter daran, die EU als Gegner der Bedrüfnisse der Ungarn zu diffamieren und so vom tatsächlich von der Regierung vorgenommenen Grundrechte- und Rechtsstaatsabbau abzulenken. Eine Taktik, die sich übrigens nicht nur in Ungarn wachsender Beliebtheit bei im Nationalen grasenden Politikern erfreut.

MSZP bekommt Ärger mit dem Datenschutz

Die neue ungarischen Datenschutzbehörde hat Ermittlungen gegen eine Unterschriftenkampagne der oppositionellen MSZP eingeleitet, mit der sich die Partei Unterstützung für die Absenkung der Mehrwertsteuersätze auf Lebensmittel (derzeit 18 und 27%) holte. Eine "Privatperson" habe Beschwerde eingelegt, weil sie den Verdacht hegt, die MSZP könnte durch die Sammlungsaktion eine Datenbank mit Informationen über die politischen Sympathien der Walhberechtigten anlegen. Dies wäre in Ungarn illegal, wurde aber, bereits belegt, von Fidesz schon betrieben. Die dahingehende Anzeige liegt seit Monaten bei der Staatsanwaltschaft, ohne dass Konsequenzen erkennbar wären.

Margareteninsel in Budapest per Dekret vom XIII. Bezirk auf Hauptstadt übertragen

Die letzte rote Insel in Budapest wird orange: Per Dekret des Ministers für Öffentliche Verwaltung und Justiz, Navracsics, soll die Margareteninsel im Herzen Budapests, vom 13. Bezirk auf die Stadt Budapest übertragen werden. Ohne Details zu nennen, sagte eine Sprecherin des Rathauses, dass dieser administrative Besitzerwechsel der Stadtentwicklung diene, ein entsprechender Entwicklungsplan sei bereits fertig ausgearbeitet. Der Bezirksbürgermeister des XIII., der einzige verbliebene MSZP-Bezirksbürgermeister der Stadt, József Tóth nannte das Vorgehen "unbegründet und illegal", sowohl nach dem alten wie dem neuen Kommunalgesetz müsse die Übertragung von Bezirksliegenschaften oder -territorien an andere Strukturen durch eine Volksabstimmung legitimiert werden. Das Justizministerium will diesen Punkt durch Einreichung eines Sondergesetzes umgehen. Das Rathaus ließ Tóth ausrichten, seine "dumme, politische Attacke" werde "vom Leben widerlegt" werden... Dieser erwiderte nochmals: "Die Zukunft wird zeigen, ob die Margareteninsel ein Eeholungsgebiet oder eine Art Off-Shore-Insel werden wird." In letzter Zeit häuften sich Meldungen über das Ableiten von staatlichen und EU-Fördergeldern an Firmen mit Off-Shore-Hintergründen (obwohl laut Gesetz nicht erlaubt).

Auswanderung aus Ungarn um 60% gestiegen

 

Die Abstimmung mit den Füßen über die ökonomischen und politischen "Errungenschaften" der Regierung findet derweil still, aber ungebremst statt: Nach den offiziellen Zahlen des Statistischen Zentralamtes in Budapest, KSH, lebten im Jahre 2012 230.000 Ungarn in anderen europäischen Ländern und somit rund 60% mehr als vor dem Regierungswechsel 2010 und fast 80% mehr als vor Ausbruch der Finanzkrise 2008. Der Anstieg zwischen 2011 und 2012 ist der höchste seit der Wende 1989. Ein Drittel der Auswanderer leben danach in Deutschland, 20% in Großbritannien und 13% in Österreich, das, relativ zur eigenen Einwohnerzahl, damit den größten Anteil der Zuwanderung abbekam. Allerdings sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen, da längst nicht alle, die im Ausland studieren oder arbeiten, ihren Hauptwohnsitz in Ungarn abmelden. Inofizielle Zahlen des Nationalwirtschaftsministeriums sprechen von einer Abwanderung seit 2010 von rund 400.000 Personen, die Opposition spricht von "über eine halbe Million".

red. / a.l. / cs.sz.

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