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(c) Pester Lloyd / 26 - 2013   POLITIK 26.06.2013

 

Politisiertes Federvieh

Hat Ungarn nur die Wahl zwischen “linker” und “rechter” Mafia?

Mit einer für die politische "Kultur" in Ungarn typischen propagandistischen Breitseite ging Fidesz-Parteisprecher Róbert Zsigó jetzt auf den zum Hauptgegner stilisierten Chef der Mitte-Links Wahlallianz Gemeinsam 2014, Ex-Premier Gordon Bajnai, los. Mit einem "Firmengeflecht" in Österreich soll sich dieser linke Mafiapate an der Nation vorbei bereichern. Bajnai sagt: stimmt nicht, er zahle alle Steuern in Ungarn und will den Fidesz-Mann nun verklagen.

Einer der “spontanen” Anti-Bajnai Demonstranten mit einem unmissverständlichen Symbol
des Protestes in Händen.

Maßgabe und Tenor der Fidesz-Volksaufklärung sind stets dieselben: Bajnai muss in einem Atemzug mit Ex-Premier Ferenc Gyurcsány und den "Off-Shore-Rittern" der "Gyurcsány-Bajnai"-Ära genannt werden. Gemeinsam bilden diese die "vereinigte linke Mafia", die nur ihren eigenen, egoistischen, sowie ausländischen (Konzern-, Finanzmarkt-)Interessen dienen. Grundsätzlich ist alles was Bajnai sagt - und sei es auch nur die Uhrzeit - eine Lüge, alles was er vorhat, schadet der Nation. Auf Detailkritik in den programmatischen Entwürfen lässt man sich lieber gar nicht erst ein.

 

Korruptions und Machtmissbrauch heißt das Lebenslied des Nachwendeungarn,
dem jede Regierung einige Strophen beifügt.

Soweit, so billig, allerdings entwickelt sich das Thema Off-Shore, Steuervermeidung, Missbrauch durch Zugang zu EU-Fördergeldern und staatlichen Subventionen, Durchsetzung von Klientel-, Partei- und Einzelinteressen immer mehr zu einem Bumerang für die Regierungsparteien, deren Sündenregister mittlerweile gleich dick wie das ihrer Vorgänger geworden ist. Es ist das Lebenslied des Nachwendeungarn, dem jede Regierung einige Strophen beifügt, nur die Instrumente und Besetzungen wechseln von Zeit zu Zeit. Daher ist es wichtig, dem noch treuen Wahlvolk immer wieder neue Munition hinsichtlich der Gegenseite zu liefern. Deren Schweinereien müssen in jedem Falle größer sein als die eigenen "kleinen" Sünden.

Bajnai hat eine Firma in Österreich - was beweist das?

Zsigó tat das durch eine Pressekonferenz, die von einer "Recherche" des Regierungsblattes "Heti Válasz" vorbereitet wurde und behauptete: dass "die Familie Bajnai" über eine Firma in Österreich Steuerzahlungen in Ungarn vermeidet. Ohne großen Aufwand lässt sich schnell folgendes verifizieren: Tatsächlich ist eine Firma, die Inverness GmbH, in der Ballgasse in Wien unter der Firmenbuchnummer: FN 356419 x registriert, laut Creditreform ist das Unternehmen mit "Projektabwicklung" befasst, Frau Bajnai Györgyne (Bajnais Mutter) fungiert als alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin, als Anteilseigner tauchen Bajnai György Laszlo (Vater) mit 5%, Bajnai Györgyne mit 55% und Bajnai György Gordon mit 40% auf. Es existiert auch eine Inverness Medical Deutschland und Switzerland, eine Verbindung über die Namensgleichheit hinaus, konnte aber nicht festgestellt werden.

Der Angegriffene zahlt angeblich alle Steuern in Ungarn

Für Fidesz reicht die schiere Existenz dieses Unternehmens aus, um Bajnai als Steuerflüchtling hinzustellen. Bajnai könnte nun diverse Banken in Österreich, der Schweiz, Bosnien, auf Zypern, den Cayman Inseln aufzählen, bei denen nicht nur seine Bekannten, sondern auch viele Fidesz-Spezis Konten und Interessen haben. Stattdessen will der Ex-Premier, der vor seiner Tätigkeit als Chef einer Minderheitsregierung (2009/2010) als Vorstandschef des Gemischtwarenlandes (Beteiligungsgesellschaft) Wallis Rt. tätig war, Zsigó verklagen. Vielleicht wäre es schlauer, sich als "Hoffnung der Opposition" in Ungarn transparent zu machen. Nicht weil Fidesz das verlangt, sondern, weil es der eigenen Glaubwürdigkeit dient. Er könnte die Firmenbücher offenlegen, seine Beteiligungen deklarieren, und publizieren wieviel Steuern er bezahlt und wieviel davon in Ungarn. Damit wäre dem Gegner der Wind aus den Segeln genommen, vorausgesetzt, es ist wirklich so, wie Bajnai erwidern ließ, dass er nämlich "Steuern auf sein Einkommen ausschließlich in Ungarn entrichtet", was ja nicht ausschließt, dass er Vermögen im Ausland vorhält.

Zsigó will weiterhin wissen, dass das "von Bajnai betriebene, österreichische Firmennetzwerk" (es muss immer gleich etwas mehr sein), in großem Stil "Geflügel aus Mitteleuropa in den Fernen Osten handelt." Das Unternehmen soll schon 1990 (da war Bajnai 21 und Student) gegründet worden sein und aus "dem Wiener Wallis-Zweig" entwachsen sein. Und da haben wir es auch schon: Während das Wallis-Bajnai-Familien-Geflügel-Business in Österreich floriert, ging die Hajdu Bet, damals eine der größten Geflügelfabriken Ungarns, zuletzt im Besitz der Wallis (unter Führung von Bajnai) unter, etliche verloren ihre Jobs, ein Dutzend Geflügelbauern nahmen sich das Leben, während "das Vermögen (der Hajdu Bet) heimlich zu Wallis transferiert" worden war.

Willkommen in Absurdistan...

Geflügelhandel gegen die Nation?

Die Hajdu-Bet Geschichte, eine von vielen im Nachgang der grauen Privatisierungen und durch das Zutun von "Finanzinvestoren" forcierten Pleiten in Ungarn, bei dem, neben ausländischen Unternehmungen, auch "sozialistische" Netzwerke - im Wortsinne federführend - beteiligt waren, wird von Fidesz als die Ursünde Bajnais promotet, die ihn für alle Zeiten unhaltbar und vor allem unwählbar machen soll. Die Gans ist sozusagen zum Wappentier der antisozialistischen Bewegung in Ungarn stilisiert worden.

Bajnai beteuerte stets, als Wallis-Chef gesetzeskonform gehandelt zu haben, auf moralische Fragen will er sich bei dem Thema verständlicherweise lieber nicht einlassen. Der späte Einstieg seines damaligen Unternehmens in eine offenbar marode Firma lässt immerhin einige Fragen offen. Auch die Finanzierung seines politischen Engagements, seiner Stiftung "Heimat und Fortschritt" und seine sonstigen geschäftlichen Aktivitäten harren noch weitgehend der Offenbarung.

Steuervermeidung vs. Steuergeldklau

Der Fidesz-Sprecher (Foto) erging sich, ganz nach dem Motto, irgendwas bleibt immer hängen, in Schätzungen, dass die "Familie Bajnai" das Land "möglicherweise Milliarden von Forint" koste und die "ganze Biografie dieses Politikers von Off-Shore-Konstrukten und Steuerfragwürdigkeiten" durchzogen sei. Auch wird es als ein Unding hingestellt, dass ein Ex-Premier und Oppositionspolitiker, der "heimischen Landwirtschaft vom Ausland aus Konkurrenz macht".

Bajnais Wahlallianz "Gemeinsam 2014" ließ ausrichten, dass "es einen großen Unterschied zwischen Bajnai und dem Orbán-Simicska Regime (Premier und ein einschlägig vernetzter Fidesz-Oligarch, Anm.) und den dahinterstehenden Kreisen gibt: Bajnais finanzielle Absicherung basiert auf international anerkannten geschäftlichen Erfolgen, während sie mit Hilfe politischen Einflusses öffentliche Mittel stehlen."

 

Wer, wie Fidesz, mit dem Begriff "linke Mafia" agiert, hat sich eigentlich schon selbst verraten, impliziert er ja, dass es auch eine "rechte" gibt, sonst reichte ja das Substantiv. Angesichts der Vielzahl der Skandale, die "linke" Seilschaften angehäuft haben und die nun zusehen müssen wie sie von den FIDESZ-"Freundeskreisen" auf vielen Gebieten (Landnahme, EU-Gelder, öffentliche Aufträge, Tabakhandel etc.) übertrumpft werden, ohne vom Wähler dafür abgestraft zu werden, bleibt für Bajnai, der sich ja als dritte Kraft etablieren will, nur ein sauberer Ausweg: er muss nachweisen, dass er mit beiden "Systemen" nichts zu tun hat. Kann er das nicht, ist auch er der falsche Mann für den angekündigten "Politikwechsel".

cs.sz.

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