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(c) Pester Lloyd / 30 - 2013   WIRTSCHAFT 22.07.2013

 

Im Sturzflug zum Himmel?

Ein Falke macht noch keinen Sommer: Ungarn und seine neue "nationale" Airline

Noch am Tag der Pleite der nationalen Fluglinie Malév vor eineinhalb Jahren kündigte Premier Orbán trotzig an, dass bald wieder rot-weiß-grün getünchte Flieger den Himmel bevölkern werden. Am 20. August, dem wichtigsten Nationalfeiertag des Landes, soll es nun endlich so weit sein. Eine wilde Mischung aus arabischen Investoren und gut vernetzten, ungarischen Unternehmern will unter dem Namen “Solyom Hungarian Airways” den Himmel erobern.

Es sollen Investoren aus dem Oman (offenbar der staatliche Industriebeteilungsfonds) und "ein Finanzinvestor" aus den Vereinigten Arabischen Emiraten sein, die sich mit "drei ungarischen Geschäftsmännern" am 13. Juni zusammengetan haben, um mit der "Solyom Hungarian Airways" eine "Full-Service"-Airline zu gründen, die jene Marktlücke schließen soll, die durch die Pleite der Malév im Vorjahr entstanden sei. So meldet es zumindest die renommierte Nachrichtenagentur Reuters, um damit ein weiteres Statement westlicher Ahnungslosigkeit über osteuropäische, hier ungarische Verhältnisse abzuliefern.
 

Sólyom (sprich: Schoijom) heißt Falke. Das mag kernig und angriffslustig klingen, hat aber neben der Unaussprechlichkeit einen kleinen Schönheitsfehler, denn der vor allem in der arabischen Welt geschätzte Raubvogel vollführt seine Attacken bevorzugt im Sturzflug, was nicht eben das angemessene Manöver für die zivile Luftfahrt darstellen dürfte. Es ist auch allgemein bekannt, dass die Jagd mit Falken ein sehr teures Hobby der Herrschenden in arabischen Ländern ist. Doch dieser PR-Lapsus erscheint gering, im Vergleich zu den sich stellenden ökonomischen und politischen Überlegungen und Fragen hinter diesem Abenteuer.

Der Ostöffnung Flügel verleihen

Denn weder entstand durch die Malév-Pleite (die eigentlich schon vor sechs bis sieben Jahren stattfand, allerdings erst im vorigen Februar vollzogen wurde) eine nennenswerte Marktlücke, die sich gar eineinhalb Jahre offen hielt, noch besteht auf dem Weltmarkt irgendein Bedarf nach noch einer "Full-Service"- oder sonst einer Airline und schon gar nicht handelt es sich bei den "drei ungarischen Geschäftsmännern" nur um Geschäftsmänner. Der als Vorstandschef vorgestellte József Vágó ist ein ehemaliger Verkaufsdirektor und Vorstand bei der Malév und hat bei Solyom eher die Position eines inoffiziellen Regierungskommissars inne.

Eine weitere Spielwiese für die Falken der Politwirtschaft

Sein Auftrag: der Politik der "Ostöffnung", die seitens der Orbán-Regierung als Konkurrenzmodell zur "Abhängigkeit von Europa" installiert wurde, Flügel zu verleihen. Der Deal: Ungarn verkauft seinen Zugang zu EU-Start- und Landelizenzen an arabische Investoren, die sich für diese Einladung zu einem Verdrängungswettbewerb auf dem europäischen Flugverkehrsmarkt mit dem Kauf von Staatsanleihen und Direktinvestitionen sowie günstigen Energielieferungen bedanken werden.

Das "Joint venture" dient der Regierungspartei gleichzeitig dazu, einen weiteren strategischen Machtpfeiler in die ungarische Erde zu rammen, Günstlinge zu positionieren und den Falken der ungarischen Politwirtschaft eine neue Spielwiese mit hohem Cash flow-Potential bereitzustellen. Dabei kann man die Filetstücke der Malév-Konkursmasse für die Zukunft gewinnbringend der richtigen "Partei" zuordnen und gleichzeitig Orbáns Ego, das man gar nicht überschätzen kann, befriedigen, der nun zu Staatsbesuchen und EU-Gipfeln endlich wieder mit einer "eigenen" Airline anreisen kann.

Dem Volk alte / neue Größe vorgaukeln...

Nicht zuletzt bedient die Neugründung auch den Regierungsanspruch, dem Volk neue Größe vorzugaukeln, das - unter dieser Führung - wieder auf eigenen Beinen steht, und dem sogar Flügel wachsen. Die Regierungsgazette "Magyar Nemzet" und andere Blättchen sprechen daher stolz von der "neuen Malév", die Kommentare der Leser geben sich wie bei allen großen Taten dieser Regierung entzückt, wenn auch, wie Kinder, mit großen fragenden Augen und ebenso ähnlich wie Kinder, ohne die Hintergründe und Konsequenzen so richtig zu erfassen. Die stetig nörgelnde liberale Fraktion entfaltet im Internet reichlich Spott. Da wird der Falke zur gestopften Gans oder zum Aasgeier, die neue Airline als königliche Ballonflotte karikiert, Orbáns Konterfei auf das Leitwerk ikonisiert. Offiziell freilich ist von einer Verquickung zwischen Politik und diesem Investement nichts zu hören. Wie auch.

Ein weiterer Entwurf, der im Internet kursiert, der einzige Ort, an dem die Falken bisher fliegen...
Schon lange geisterte eine Ankündigung durch den Äther, doch die “Hungarian World Airways” wurde zur reinen Lachnummer. Doch die “Falken” stellen sich die gleichen Ziele wie die “Air Illusion”
http://www.pesterlloyd.net/html/1236airillusion.html (darin auch die Links zur Malév-Pleite etc.)

Über schwächelnde Osteuropäer einen Fuß in den EU-Markt zu bekommen, ist gerade eine Mode asiatischer Investoren: Korean Air hat sich Anfang des Jahres mit knapp 45% bei der Czech Airlines eingekauft, die polnische Regierung versucht die LOT, bzw. einen Teil davon zu Geld zu machen, Verhandlungen gibt es u.a. mit Kuwait. Die Ethiad Airlines aus Saudi Arabien haben sich vorsorglich einen Anteil an der serbischen JAT gesichert. Der Unterschied ist jedoch, dass diese Beteiligungen alle noch im Geschäft sind, während die Malév seit eineinhalb Jahren eingemottet ist. Da stellt sich schon die Frage, ob so ein Projekt in Ungarn überhaupt gewinnbringend betrieben werden kann.

8 Millionen Fluggäste und 3000 Mitarbeiter?

Möglich und denkbar wäre, dass die arabischen Investoren eine ihrer anderen Fluglinien in der neuen aufgehen lassen, um sie in eine "europäische" zu verwandeln. Der vereinfachte Marktzugang und damit eine strategische Marktverlagerung ist denn auch das einzig nachvollziehbare Argument für ein solches Engagement. Die Pläne von Sólyom sind indes nichts weniger als hochfliegend: Ende September - also 30 Tage nach Erstflug - sollen bereits 25 Maschinen regelmäßig in Dienst stehen, Ende 2014 sollen es schon 50 sein, darunter wenigstens 10 Großraumflugzeuge für Langstreckenflüge. 8 Millionen (!) Passagiere jährlich sind das ausgegebene Ziel, genauso viele wie pro Jahr in Budapest insgesamt abgefertigt werden. Der "Mittlere Osten, Nordafrika und die Ex-Sowjetunion" gibt Vágó als die Regionen aus, in denen eine "schnelle Expansion" stattfinden soll. Zunächst sollen 700 Menschen, in einem Jahr dann schon 3.000 einen Job bei den Falken haben. Und erst die Gewinne: mehrere Hundert Millionen Profit im Jahr werden anvisiert.

Weder Webseite, Flugplan noch Tickethotline

Mit Details spart das Sólyom-Management indes noch. Kein Wunder: zwar hatte man am vorigen Dienstag verkündet, in London Leasing-Verträge für sechs Flugzeuge (Airbus A320) unterzeichnet zu haben, am Mittwoch habe man sogar "eigene Büros" am Aiport Budapest bezogen, doch die "Falken" haben bisher weder eine Webseite, noch eine Bestellhotline, 1.600 Fans einer inoffiziellen Facebook-Seite fragen bisher ergebnislos, wo man denn bitte Tickets bestellen könnte. Eine vielleicht patriotische, aber doch sehr dumme Frage, denn bisher ist noch nicht einmal eine Destination bekannt gegeben worden, geschweige denn ein Flugplan, das einzige Foto von einem Falcon-Flieger entstand auf Photoshop. Dabei soll schon am 20. August, dem Tag des Heiligen Stephan, der erste Flieger, in rot-weiß-grün abheben. Orbán wird sicher dabei sein, abheben ist sein Ding.

Eine Skizze ist zu wenig: ein Papierflieger reicht nichtmal der ungarischen Flugbehörde für die Lizenzerteilung

Lizenz für Ultraleichtflieger

Allerdings werden bis dahin noch ein paar Telefonate mit den Fluggenehmigungsbehörden, möglicherweise auch ein Direktorenwechsel nötig sein, denn die erste Lizensierungsrunde brachte nur mäßigen Erfolg: die Nationale Transportbehörde verweigerte am Freitag die Erteilung einer kommerziellen Fluglizenz für den Personentransport. Sólyom wollte es sich leicht machen und kaufte einfach eine kleine Wald- und Wiesenfirma namens Avicraft auf, die eine Lizenz zum Betrieb von "Ultraleicht- und Segelflugzeugen" innehatte und bat die Behörde um "Ausdehnung auf den kommerziellen Betrieb". Die NKH antwortete, die Herren von Sólyom mögen sich dann bitte doch um eine neue Lizenz bemühen. Auch die Europäische Luftfahrtbehörde will noch gefragt werden.

Es gibt den behaupteten Markt gar nicht

Luftfahrtexperten und - logischerweise - die unmittelbare Konkurrenz, sehen den Falken schon vom Start weg - trotz der Nahverhältnisse zur Regierung - als lahme Ente und empfehlen Herrn CEO Vágó, er möge sich auf kräftige Verluste einstellen. Der Markt sei praktisch dicht, die Kostensituation fatal, die Ölpreise fast auf Rekordständen und die hohe Konkurrenz in Europa und der Umgebung habe die Margen pro Passagier in den Centbereich gedrückt. Ryanair und WizzAir (übrigens auch eine Gründung eines Ex-Malév-Mannes, die sich noch in diesem Jahr an der Börse London die Kriegskasse füllen lassen will) sowie ein paar andere, haben sich den Malév-Markt längst aufgeteilt, einige andere Airlines, auch aus dem Premium-Bereich, nutzten die amtliche Pleite für eine Rückkehr an den Flughafen Budapest.

Hybris wie bei der untergegangenen Malév

 

Doch für Vágó sind das alles keine Gegner, er argumentiert, dass die "Lücke, die Malév gelassen hat, gar nicht von Billigairlines aufgefüllt werden könne". Man wolle sich lieber im Business- und Firstclassbereich messen und außerdem habe er, Vágó, eine gänzlich "neue Art von Geschäftsplan entwickelt", der die "Profitabilität praktisch vom ersten Tag an garantiere", verkündete er mit der Selbtsgewissheit eines Beamten, der eine große Macht im Rücken weiß. Das erinnert alles sehr an die "unorthodoxen Maßnahmen" der Orbánschen Wirtschaftspolitik und die berüchtigten Auftritte von Ex-Wirtschaftsminister Matolcsy, der auch im verbalen Sturzflug den Himmel erobern wollte. Hinter allem steckt die gleiche realitätsferne Hybris, der institutionelle Größenwahn, der schon zur Pleite der Malév, das Land mehrmals an den ökonomischen Abgrund führte und es sozial bereits gründlichst ruinierte.

Ach ja, der Ticketverkauf für den Spaß beginnt übrigens im August, ergänzte Vágó auf seiner Pressekonferenz am 6. Juli. Wohin die Reise geht, sagte er aber immer noch nicht, das ist wohl Teil dieses großen, neuartigen Geschäftsplanes und eigentlich auch nichts Neues für geübte Ungarn.

cs.sz.

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