THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 39 - 2013   POLITIK   26.09.2013

 

Wer ist Mr. 20 Prozent?

Korruptionsvorwürfe gegen hohen Vertreter der Regierungspartei in Ungarn

Die Aufregung ist groß: ein Orbán recht nahestehender Hardliner der Regierungspartei soll in seiner Funktion als Bezirksbürgermeister kräftig bei Auftragsvergaben mitkassiert haben. Ein Gesprächsmitschnitt soll das belegen. Der Beschuldigte wittert einen Komplott, die Parteifreunde fallen nun in hässlichster Art übereinander her. Die Opposition fordert vom Staatsanwalt umgehend Ermittlungen und die Aufhebung der parlamentarischen Immunität. Sie hat ja Erfahrung mit dem Prozedere.

Am Dienstag tauchte im Internet der Mitschnitt eines Gespräches zwischen dem Vizebezirksbürgermeister von Zugló, Budapests XIV. Bezirk und einem Bauunternehmer über einen öffentlichen Auftrag auf, der in dem Satz des Letzteren gipfelt, dass "für jede Unterschrift unter einen Auftrag 20% des Auftragswertes zurückgezahlt werden müssen." Weitere Andeutungen auf kick-back-Zahlungen weisen auf ein System, das bis in die höchsten Regierungskreise verankert zu sein scheint. Öffentliche Aufträge in Bezirken werden grundsätzlich vom Bürgermeister abgezeichnet. Der heißt im Falle des XIV. Bezirks (Zúglo), Ferenc Papcsák, der uns kürzlich schon als
Auftraggeber für eine schmucke Privattoilette im Rathaus auffiel.

Papcsák, auch Parlamentsabgeordneter, fanatischer Orbán-Fan und als echter Fidesz-Hardliner Teil des "inneren Kreises", früher - wie ironisch - Regierungskommissar für die Aufdeckung von Korruption und Amtsmissbrauch der Vorgängerregierungen, ist nicht gerade als Mann der feinen Klinge bekannt und ging auch sofort in die Gegenoffensive. Er sprach von einem gezielten Coup seines Vizebürgermeister, István Ferdinandy, der dieses Gespräch offenbar aus "persönlichen Interessen arrangiert" habe.

Ferdinandy, auch Fidesz, verteidigt sich und sagte: er habe als Verantwortlicher für Soziales und Bildung des Bezirkes mit öffentlichen Beschaffungs- und Baumaßnahmen nichts zu tun, das sei seit Jahren ausschließliches Betätigungsfeld des Bürgermeisters. Papcsák sei der einzige, der in den letzten Jahren hier Entscheidungen getroffen habe und auch der einzige, der in die Finanzflüsse Einblick hatte, schließlich sei Papcsák selbst auch der Vorstandschef des bezirkseigenen Baubetriebs und Liegenschaftsamtes. Der Unternehmer sprach direkt von Kick-back-Zahlungen im Zusammenhang mit einem konkreten Auftrag, die an “Papcsáks Leute” zu zahlen gewesen seien, das Volumen betrug dabei rund 100 Mio. HUF, rund 330.000 EUR, nur für diesen Auftrag.

Der Bürgermeister hofft nun sich aus der Affäre ziehen zu können, indem er Anzeige gegen Unbekannt erstattet hat. Es sei ja denkbar, so die Strategie, dass es kriminelle Aktivitäten im Umfeld der öffentlichen Beschaffung gäbe, nur habe er damit nichts zu tun, daher müsse man das eben untersuchen lassen. Im übrigen werde er alle verklagen, die die Vorwürfe "unkritisch" übernommen hätten, also auch Medien. Die gestellte Aufnahme belege klar, dass sich hier zwei Personen treffen, deren Interessen geschädigt worden seien, richtete Papcsák über MTI aus, denn er habe dafür gesorgt, dass sie sich nicht am Bezirkseigentum vergreifen konnten.

Die illegalen Machenschaften des Unternehmers habe er, Papcsák, durch Einführung eines neuen Controlling-Systems "beendet" und sein Vize wurde von "mir im Frühjahr entmachtet", denn gegen ihn ist eine "interne Ermittlung" im Gange, weil er "den Linken durch seine Handlungen manchmal geholfen hat", heißt es in der schriftlichen Aussendung Papcsáks, der sich binnen 12 Stunden vom kleinen Gauner zum Chefermittler wandelte.

Der Opposition reicht das nicht ganz, "Gemeinsam 2014" ließ ausrichten, dass man hier offenbar den Beleg für die Aktivitäten der "Fidesz Mafia" vorliegen habe und Zugló unter dem Regiment der Rechtlosigkeit stehe. Die LMP wird nicht nur Anzeige wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit erstatten, sondern auch wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung (Mafiaparagraph). Dazu gehöre, dass die Glaubwürdigkeit der Aufnahme schnellstens festgestellt wird. Wird diese bestätigt, ist festzustellen, dass "die Regierungspartei als Mafiaorganisation auftritt", so LMP-Chef András Schiffer. Man gehe auch deshalb direkt an den Oberstaatasanwalt, weil das Band "Bezüge zu Premier Orbán" enthalte. Schiffer sagte, dass der Bauunternehmer über ein Problem bei einem Geschäft rede, "dass er nichtmal mit Viktor diskutieren könne".

Auch die Jobbik ruft nach Polizei und Staatsanwalt und dass man Papcsáks Wohlstand einmal hinterfragen solle. Die Demokratische Koalition, Partei von Ex-Premier Gyurcsány, kann sich "kaum vorstellen", dass Papcsák von der 20%-Kick-back-Praxis so gar nichts gewusst haben soll (lies: alle Welt weiß es in Ungarn, wir haben das ja auch gemacht...). Die MSZP-Sozialisten wollen selbst Anzeige erstatten und erwarten auch eine Reaktion des Ministerpräsidenten.

 

Sie könnten vielleicht auch noch bei der Wettbewerbsaufsicht beschweren, denn in gewisser Weise hat Fidesz in Zugló eine Art Räuber-Copyright verletzt, denn die oben geschilderten Vorgänge sind, wenn nicht die "Erfindung", so doch eine Spezialität der Vorgängerregierungen, meist MSZP/SZDSZ gewesen, die noch immer von Gerichten aufgearbeitet werden. Es ist also festzuhalten, dass Fidesz spätestens jetzt auch da angekommen ist, wo die MSZP 2010 längst schoen war, allerdings hat sich die Orbán-Truppe mit Tabakkonzessionen, staatlicher Bodenverpachtung, Auftragsvergaben im Oligarchenumfeld, EU-Geldern an umsatzfreie Firmen, noch mehrer eigene Geschäftsfelder erschaffen und mit einer legislativen Chuzpe unterfüttert, die selbst die Sozis blass werden lässt.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte am Mittwoch, dass ihm noch keine "relevanten Berichte" für diesen Fall vorlägen.

Am Donnerstagnachmittag betonte der Fidesz-Parteisprecher Kocsis, dass man “kein Pardon” kenne, sollten sich Vorwürfe von Amtsmissbrauch bestätigen. Leute, die das täten hätten in öffentlichen Ämtern nichts zu suchen, “das gilt auch für Fidesz-Politiker”. Kocsis schloss sich jedoch sogleich der Version von Papcsák an und woll das Ergebnis der Ermittlungen gegen “Unbekannt” abwarten.

red.

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