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(c) Pester Lloyd / 42 - 2013   GESELLSCHAFT   20.10.2013

 

Budapester Fooddrive

Studentennetzwerke in Ungarn lindern Not armer Familien

Die Zahl der Wohnungslosen, die Zahl der Menschen, die immer öfter hungrig ins Bett gehen müssen, steigt. In Ungarn stärker als anderswo in der EU. Es sind längst nicht nur die "untersten" Schichten, die den Anschluss, den sozialen Halt verlieren. Die Regierung ruft die "Arbeitsgesellschaft" aus und vertschüsst sich mit Zynismus aus der Verantwortung. Die Arbeit gibt’s nicht, dafür Strafen für die Ärmsten.- Bürgerinitiativen können die gewachsene Not immerhin lindern. Wir besuchten ein Projekt ausländischer Studenten in Budapest.

Ausländische Studentenverbände kooperieren

Zwangsräumungen nehmen sprunghaft zu, Obdachlose werden unter Strafandrohung "weggeräumt", die Verfassung duldet sie nicht mehr im Bild der Gesellschaft. Die staatlichen und kommunalen Hilfsangebote sind sporadisch, man ist abhängig von der Gnade der Bürokraten, es gibt keine einheitlichen Regeln mehr. Hier an dieser Stelle können nur noch private Initiativen einspringen, sie sind es, die Not lindern, aber eben nur lindern, nicht beseitigen können. Drei Vereinigungen in Ungarn Studierender, überwiegend Ausländer, ISAS (Semmelweis Medizin Uni), ERANUS und das McDaniel College haben sich zusammengeschlossen und sammeln unter der Losung: " „Donate A Can! Yes We Can!“ Spenden für Familien in Not. Care-Pakete. Mitten im Europa von 2013.

Die Aktivisten von ERANUS und ISAS bei ihrem guten Werk

Hilfe an Brennpunkten, Kooperation mit Familienhilfszentren

Im Sommer 2012 starteten sie das Projekt des "Fooddrives", in der vergangenen Woche sammelte man wieder an drei Standorten alles von Konserven, Kaffee- und Kakaopulver, über trockene Früchte bis zu Windeln. In einem nächsten Schritt werden die gestifteten Produkte an die Familien-Hilfe-Zentren im 7. sowie 8. Bezirk weitergegeben, die diese abschließend an die bedürftigen Familien verteilen. Den Kontakt zwischen Helfern und den Familien in Not stellt die Kommune in Kooperation mit den Zentren her, welche zunächst den materiellen Status prüft: „Wir möchten so vielen Menschen wie möglich helfen, jedoch sind unsere Hilfsmittel begrenzt“, heißt es von Seiten der ERANUS Organisation. „Und natürlich bleiben die Familien den Organisatoren“ unbekannt. Die Würde des Menschen soll so weit wie möglich gewahrt werden, wenn schon der Staat sie nicht mehr gewährt. Würde und Hunger, das geht nicht zusammen, findet Csilla Szauer von ERANUS. Mobilisiert wird über soziale Netzwerke wie Facebook und über Mundpropaganda, denn Geld für Plakate will man nicht ausgeben.

Sich beschleunigende Armutsspirale

Viele Menschen, die vor Jahren mit ihrem Einkommen gerade noch so über die Runden kamen, sehen sich nun als hilfsbedürftig, können nicht mehr aus eigener Kraft das Lebensnotwendige erwirtschaften. Steigende Schuldenlasten durch Forex-Kredite, Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, auf 3 Monate zusammengestrichenes Arbeitslosengeld, mangelnde Qualifizierungsangebote. Selbst wer sich in den "kommunalen" Beschäftigungsprogramme tagtäglich schwere, oft sinnfreie Arbeit antut, bekommt nicht mehr als 170.- EUR im Monat. All das kurbelt die Armutsspirale an.

Die von der Politik versprochenen Arbeitsplätze gibt es nicht, höchstens in der Statistik, weil die umdeklarierte Frührentner und im Ausland arbeitende Ungarn einfach mitzählt. Aber nicht alle wollen, nicht alle können gehen. Und so bleiben über 3 Millionen Menschen in Ungarn, zurück, so viele leben, nach seriösen Schätzungen in Armut oder am Rande davon, sie haben mindestens 40% weniger Einkommen als der Bevölkerungsschnitt. Über 250.000 Kinder sind nicht adäquat ernährt, rund 50.000 - wieder eine Schätzung - hungern. Noch eine Zahl: rund 300.000 Menschen leben in Ungarn - aus den verschiedensten Gründen - in einer außerstaatlichen Parallelwelt, sie bekommen nicht einmal das Minimum der Sozialhilfe, sie existieren praktisch nicht.

Orbáns “Sozialpolitik” hilft nur den Besitzenden

 

Der Staat hat sich aus der Verantwortung verabschiedet, Orbán deklarierte die "Arbeitsgesellschaft" und empfahl "ora et labora" als Losung und Lösung, samt Abschaffung des "Wohlfahrtsstaats", von dessen Existenz nur die wenigstens wussten. Staatlichen Benefiz sollte Jeder "nur nach dem bekommen, was er leistet". Das klingt einleuchtend, scheitert aber an der Realität fehlender Arbeitsplätze und einer auskömmlichen Bezahlung. Wer keine Arbeit findet, dem bliebe dann nur noch das Beten? Auch Orbáns Ungarn ist keine Leistungsgesellschaft, sondern eine Klientelwirtschaft, daran ändern auch die Energiepreissenkungen und ein paar angekündigte Steuererleichterungen für Familien mit Kindern nichts. Denn all das hilft nur jenen, die etwas zum ersparen haben. Wem diese Grundlagen fehlen, kann auch nicht von Erleichterungen darauf hoffen, sie gelten im Sinne der Fidezschen Staatsziele nicht als förderungswürdig. Selbst die Finanzierung von Hilfsorganisationen ist zum Politikum mutiert worden.

Einheimische sehen wir hier seltener...

Aktive Bürger-Eigeninitiativen als Gegenmodelle zur Kälte der Orbán-Regierung? Heloise Brun-Blackwell (auf dem Foto 3.v.r.), Initiatorin von „Donate A Can! Yes We Can!“ und Vorsitzende des ISAS Charity Komitees, freut sich jedenfalls, dass man „im Vergleich zum letzten Mal in diesem Jahr viel größere Erfolge feiern konnte. Wir haben erneut bewiesen, dass auch kleine Gruppen etwas bewegen können!“. Hinter den helfenden Händen verbergen sich primär die internationalen Studenten Budapests. Heloise Brun Blackwell, eine Französin mit amerikanischen Wurzeln, studiert in Budapest Medizin. Sie schwört auf das Potential der Stadt Budapest, mehr solcher Projekte starten zu können. Bedingt durch die Internationalität und die vielen Studierenden. „Diese nehmen allgemein derartige Aktionen positiver wahr, sie sind interessierter und engagierter. Einheimische sehen wir seltener spenden“, sagt sie.

Der nächste Fooddrive von „Donate A Can! Yes We Can“ startet bereits in der Weihnachtszeit. Wir hoffen, das einige unserer Leser dabei sein werden. Infos auf der Projektseite der ISAS http://isas.hu/?p=1464

Theresa Glöde / red.

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