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(c) Pester Lloyd / 42 - 2013   GESELLSCHAFT   14.10.2013

 

Chronik einer missbrauchten Demokratie

Das Ungarn-Buch der ORF-Journalisten Gelegs und Adrowitzer ist eine Warnung für ganz Europa

"Schöne Grüße aus dem Orbánland - Die rechte Revolution in Ungarn" ist die Chronik eines gesellschaftlichen Niedergangs, hervorgerufen durch eine Politik, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht. Das analytisch klare, verständlich geschriebene Werk, voll von Fakten und Erkenntnissen, ist eine eindringliche Warnung. Im von Orbán selbst gerade als "Labor" bezeichneten Ungarn geschieht, was anderen europäischen Ländern, - was uns allen blüht, wenn die Bürger und die durch Machtkämpfe und Parteienstreit gelähmten Institutionen Europas die "Lösung" der Krisen den Populisten und Autokraten überlassen.

Insiderwissen und Draufblick

Die Autoren: Roland Adrowitzer, bis 2006 Leiter des ORF-Studios in Brüssel und danach Chef-Auslandskorrespondent der Hauptnachrichtensendung des österreichischen Fernsehens (ZIB) und Ernst Gelegs, seit 1999 ORF-Korrespondent in Budapest, das er zur Drehscheibe des ORF-Osteuropastudios ausbaute. Sie dokumentieren und analysieren in dem am Sonntag in Wien vorgestellten Buch Ungarns Scheitern sachkundig, gleichermaßen mit Insiderwissen und Draufblick ausgestattet und ohne die häufig bei westlichen Journalisten anzutreffenden Ungenauigkeiten und Schlampereien. Ideologische Weisheiten und Belehrungen erspart sich das Duo, es spricht die Macht des Faktischen, doch auch die wird nicht genügen, um die üblichen weltverschwörerischen Diffamierungen aus dem Regierungslager zu verhindern.

Wie aus Ungarn "Orbánland" wurde...

Das Buch beginnt mit dem „David“ Medgyessy gegen den „Goliath“ Orbán und der unerwarteten und "traumatischen" Wahlniederlage des einst liberal-konservativen Orbán im Jahre 2002, folgt dem Aufstieg und Fall des Ferenc Gyurcsány, dessen Karriere und Performance besonders gut erläuteren, dass ein Orbán, die 2/3-Mehrheit des Fidesz und die "nationalkonservative Revolution" weder vom Himmel gefallen, noch aus der Hölle gefahren ist, sondern ein Vakuum füllte, das auch andere, hier die "Sozialisten", zu verantworten haben. Gerade diese Abschnitte und die Folgen, sollten von den europäischen "Sozialdemokraten" einmal gründlich und selbstkritisch studiert werden.

Mit dem Blick fürs Wesentliche und einer lesenswerten Mischung aus Fakten, Einordnungen und Anekdotischem, gewürzt mit O-Tönen von Regierungsseite und oppositionellen wie europäischen Stimmen, arbeiten Gelegs und Adrowitzer sich dann durch den Machtrausch der ersten drei Jahre der 2. "Ära Orbán": die Mediengesetze, die "unorthodoxe" Wirtschaftspolitik, die Verfassung mit ihrem "Geist des 19. Jahrhunderts", der "Unabhängigkeitskampf" gegen die EU und die zunehmende Selbstisolation, die Klientelwirtschaft daheim, die konfrontative Nationalitätenpolitik, die strukturelle Machtzementierung in allen Bereichen, kurz: die Umgestaltung Ungarns zum Orbánland, die unsere Leser auf diesen Seiten seit Jahren wie in einem alptraumhaften Live-Stream mitverfolgen.

Orbán hat sich rundum abgesichert

Das Buch führt ganz folgerichtig zu dem Schluss, das der seit fast einem Jahrzehnt andauernde Abstieg in ein wirtschaftlich labiles, geplündertes, politisch zerstrittenes, depressives Land zwangsläufig war, lediglich die Auswüchse und die Systematik, mit der Orbán die Sache "zu Ende" bringt, scheint noch für Überraschungen gut. Dabei, und auch das ist eine naheliegende Lehre aus dem Buch, gibt es für fast alle Vorgänge in Ungarn Entsprechungen in jedem anderen europäischen Land, nur eben nicht so komprimiert wie dort. Das macht das Buch wertvoll, auch außerhalb des pannonischen Einzugsgebietes, denn Anderswo retten meist nur stärkere wirtschaftliche Grundlagen und gewachsenes bürgerliches Selbstbewußtsein vor dem ungarischen Weg, eher selten ist es das Verantwortungsbewußtsein der Politik.

 

Viel Mut machen die Autoren dem Leser am Ende nicht: den Ausweg aus dem Dilemma, in dem ein Volk vom Souverän zum Erfüllungsgehilfen der Macht degradiert wurde und immer größere Teile der Bevölkerung materiell verarmt und idell ausgeliefert sind, den Ausweg aus diesem Drama kann das Volk letztlich nur selber finden, doch auch nicht ohne den europäischen Rückhalt, der den Menschen die Solidarität und der Regierung ihre Grenzen aufzeigt. Kurz: keine Demokratie ohne Demokraten.

Bis dahin, "bleibt Orbán in jedem Fall weiter an der Macht. Dank seiner Verfassung hat der Ministerpräsident ja ausreichend Vorsorge getroffen und seine Politik in allen Bereichen abgesichert, es kann in Ungarn politisch nichts passieren, was Viktor Orbán nicht gefällt. Alles ist in bester Ordnung!" Und den Autoren bleibt nur noch, "Schöne Grüße aus dem Orbánland" zu senden...

ms.

Roland Adrowitzer, Ernst Gelegs
Schöne Grüße aus dem Orbán-Land: Die rechte Revolution in Ungarn
Styria Premium, 2013, EUR 24,99

 

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