THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 15 - 2014   POLITIK 10.04.2014

 

Selbstaufgabe

Ruhmloses Ende für das Oppositionsbündnis "Regierungswechsel" in Ungarn

3 Jahre hat es gebraucht, bis sie sich fanden, 3 Tage, bis sie verschwanden: Ex-Premier Bajnai wird sein Parlamentsmandat abgeben, der Vorstand von "Dialog für Ungarn" tritt zurück, Milla-Aktivisten erklären das "Ende der Bewegung" und es wird keine gemeinsame Fraktion geben. Der MSZP steht nach der Europawahl eine Zerreißprobe bevor. Wer soll Orbáns Machtrausch 2.0 Paroli bieten? Die LMP? - Nur Einer hat im linken Lager die Wahl scheinbar unbeschadet überstanden: Ex-Premier, Stehaufmännchen und Sektenguru Gyurcsány. Ausgerechnet. Orbán muss derzeit auf Niemanden Rücksicht nehmen, - außer auf die Neonazis....


Bajnai, Mesterházy, Gyurcsány, Fodor

Der Chef der Mitte-Links-Allianz "Gemeinsam 2014 - Dialog für Ungarn" (E2014-PM) und Ex-Premier Gordon Bajnai hat angekündigt sein Parlamentsmandat nicht ausüben zu wollen. Zwar werde er sich als Abgeordneter vereidigen zu lassen, um den Sitz nicht verfallen zu lassen, das Mandat danach aber zurücklegen, also einem Nachrücker aus seiner Partei überlassen. Als Nachfolger kommen Victor Szigetvári, Chef von Bajnais Think tank "Heimat und Fortschritt oder Gábor Scheiring, Vertreter von PM in Frage.

Als Grund für den umgehenden Rückzug gab Bajnai gegenüber Journalisten an, dass die demokratische Opposition sich vollständig neu erfinden müsse und er das auf außerparlamentarischem Wege begleiten möchte, für ihn hat die Arbeit im Parlament unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen, nach den Erfahrungen mit der Orbán Regierung hinsichtlich mangelnder Dialog- und Kompromissbereitschaft sowie wegen der neuen Hausordnung wenig Sinn, er will seine Energie lieber in den Aufbau einer wahlfähigen Opposition stecken, die Orbán von außen unter Druck setzt.

Allerdings ist nicht ganz klar, ob Bajnai sich nun so ohne weiteres wieder als Führungsfigur der Linksopposition außerhalb der MSZP durchsetzen können wird, zumal, wenn eine weitere programmatische und personelle Öffnung zur Mitte angestrebt wird. Der Ex-Premier wird intern für den fatalen Schachzug verantwoertlich gemacht, seinen Vorgänger Gyurcsány mit ins Oppositionsbündis geholt zuhaben und steht als ausgesprochener Linkspolitiker im Sinne der Vorgängerregierungen nicht unbedingt im Ruf ein Mann der Mitte - gesehen auf die gesamte Bevölkerung - zu sein.

Am Mittwoch wurde auch klar, was sich bereits andeutete, nämlich, dass von den fünf Partein des Wahlbündnisses "Regierungswechsel" nur die MSZP eine eigene Fraktion mit ihren 29 Abgeordneten bilden wird, die ehemaligen Mitstreiter der DK (4), E2014-PM (4) und Fodors MLP (1) als unabhängige Abgeordnete firmieren werden.

Die von Bajnai angekündigte Runderneuerung und Positionsbestimmung in seiner Allianz, zu der auch die übergewerkschaftliche Szolidaritás sowie die Bürgerrechtsgruppe Milla gehört, wird, so Bajnai, nach den Europawahlen eingeleitet. Dann solle es "reinen Tisch" geben. Er wolle sich jetzt ganz dem Wahlkampf dafür widmen. Zwar wird Bajnai die Europawahlliste des linken Wahlbündnisses für die EP-Wahlen Ende Mai anführen (im Gegensatz zur nationalen Wahl, das war MSZP-Chef Mesterházy der gemeinsame Spitzenkandidat), das ungarische Recht verbietet es jedoch ehemaligen Regierungschefs ein Mandat im Europaparlament anzunehmen. Eine Regelung, die übrigens umstritten ist, da das Mandat schließlich vom Souverän direkt erteilt wird, was auch Bajnais Rückzug von seinem nationalen Mandat in einem nicht gerade aufrichtigen Licht erscheinen lässt.

Der Schritt Bajnais wird erst der Anfang grundlegender struktureller Umwälzungen im Lager der fragmentierten demokratischen Opposition sein. Zuvor musste sich der Gründer der Facebook-Initiative "Eine Million Menschen für die Pressefreiheit", kurz Milla, Péter Juhász zu Gerüchten über die Auflösung seiner Initiative äußern, nach dem ein Dutzend Mistreiter ohne Absprache oder Autorisierung auf der Facebook-Seite das Ende der Bewegung verkündet hatten. Das führte zu dem absurden Vorgang, dass die Streiter für die Meinungsfreiheit ihre eigene Webseite zensieren mussten. Auch für Bajnais Partner-Partei "Dialog für Ungarn", eine Abspaltung von der LMP (Grün-Liberale), stellt sich die Richtungs- und Existenzfrage, der komplette Vorstand hat seinen Rücktritt angeboten.

Die MSZP-Führung indes scheint erst einmal so weiter machen zu wollen wie bisher, Parteichef Mesterházy hat jede Rücktrittsfrage vehement abgewiesen, auch wenn seine Partei - die ungefähren Stimmenanteile der Partener DK und E2014 - herausgerechnet, praktisch das gleiche katatsrophale Ergebnis wie vor vier Jahren einfuhr und immer offensichtlicher wird, dass die alten Granden im Hintergrund der Partei Mesterházy noch immer an den Strippen führen. Ganz allmählich aber wird in einigen Parteiorganisationen der Unmut über die Funktionärsriege in Budapest immer lauter, auch hier könnte es noch zum Big Bang kommen, - bis zur Europawahl freilich herrscht Burgfrieden, der Sache wegen.

Noch fest im Sattel sitzt Ex-Premier und DK-Chef Gyurcsány. Er hatte durch seine politische wie taktische Performance wesentlichen Anteil daran, dass Orbán 2010 überhaupt einen derartigen Erdrutschsieg einfahren konnte, spaltete dann in einem eineinhalbjährigen Kleinkrieg seine eigene Partei, um kurz vor Wahlkampfschluss mit seiner sektenähnlich anmutenden "Demokratischen Koalition" doch noch handstreichartig wieder in das Oppositionsbündnis zu stoßen. Viele halten ihn für den effizientesten, inoffiziellen Wahlhelfer des Fidesz. Schon vor der Wahl deutete er zwischen Interviewzeilen mehrfach an, dass die erwartbare Niederlage ihm ein guter Ansatzpunkt für die Rückeroberung der Führerschaft im linken Lager sein könnte. Seine Anhängerschaft würde seine Führungsrolle nie in Frage stellen, sie verehrt den Vorsitzenden fast wie einen Propheten, weshalb die Betitelung "Orbán der Linken" zumindest was den Hegemonialanspruch angeht, nicht zu weit hergeholt scheint.

Bis die nur noch so genannte Linke in Ungarn zur Besinnung kommt, also die Einsicht siegt, dass es weder dem Land noch für Wahlsiege genügt nur die andere Seite ein und derselben Medaille zu sein und bis die MSZP endlich bereit ist, sich über das Wesen sozialdemokratischer Politik im Post-Blair-Schröder-Zeitalter klar zu werden und die entsprechenden Konsequenzen zeiht, bis dahin kann eigentlich nur die grün-bürgerlich-liberale LMP mit ihren fünf Abgeordneten als seriöse Opposition angesehen werden. Doch auch dort ist innerparteilicher Streit schon vorprogrammiert, denn nicht alle Kritiker der Strategie der unbedingten Abgrenzung nach links und rechts sind nach der Parteispaltung verschwunden, auch hier wird es zu einer Richtungs- und Personaldebatte kommen.

 

Als ernstzunehmende und beängstigend erstarkte Kraft haben die Orbán-Truppen am Beginn ihres zweiten Machtrausches eigentlich nur auf Jobbik und deren Anhängerschaft Rücksicht zu nehmen. Doch mit den Neonazis - und ja, es sind Neonazis - hat man sich schon früher bestens arrangiert, etwas Blut-und-Boden-Rhetorik hier, ein wenig Geschichtsrevisionismus da und als Draufgabe etwas Zigeuner-Law-and-Order und Augenzudrücken bei Gardeaufmärschen - schon ist der Wind erst einmal aus den Segeln und hat ein Jeder, was er will. Dass sich diese gefährliche Konstellation, der eine ansteigende Strudelwirkung innewohnt, derart etablieren konnte, ist nicht nur eine Folge der äußeren (Krisen)-Umstände und des geschickten Machtkalküls Orbáns, sondern eine Folge des Versagens der demokratischen Kräfte. Das Preis zahlt das Land und seine Bürger.

red. / cs.sz. / l.á.

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