THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 21 - 2014   GESELLSCHAFT 21.05.2014

 

Straßburg urteilt, Orbán tobt: Lebenslange Haft ohne Prüfung in Ungarn menschenrechtswidrig

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Fall "Magyar gegen Ungarn" festgestellt, dass der ungarische Staat in zwei Punkten gegen die Europäische Menschenrechtscharta verstößt, in dem an der Praxis der "echten lebenslangen Haftstrafe ohne Aussicht auf Freilassung" festgehalten wird. Das Gericht qualifiziert dies als "inhumane Strafmaßnahme" und damit als Verstoß gegen Artikel 3 der Charta.

In Artikel 6 der Charta ist außerdem festgelegt, dass Häftlinge Kenntniss über die Verfahrenswege und Verhaltensnormen, die zu ihrer Freilassung führen könnten, haben müssen. Außerdem muss es rechtliche Grundlagen geben, die eine Überprüfung des Gefährdungsgrades des Häftlings ermöglichen. Auch diese sind in Ungarn nicht gegeben. Der Gerichtshof verurteilte Ungarn mit 6:1 Stimmen zur Zahlung von 2.000 EUR an den Antragsteller, einen des mehrfachen Mordes, Raubüberfalles an Rentnern lebenslänglich - ohne Aussicht auf Freilassung - Verurteilten sowie zur Begleichung von Verfahrenskosten und Auslagen in Höhe von über 4.000 EUR. Das Urteil ist nicht endgültig und kann beeinsprucht werden. Zusätzlich wurde Ungarn wegen der überlangen Verfahrenslänge im Fall Magyar von 2002 bis 2010 gerügt. Unterstützt wurde die Klage von einer NGO.

Ministerpräsident Orbán reagierte persönlich auf das Urteil, mit einer heftigen Tirade gegen "Brüssel", das allerdings mit dem Fall nichts zu tun hatte. Er nannte das Urteil "skandalös" und einen "weiteren Beweis, dass denen dort die Rechte der Verbrecher wichtiger" seien als die "Rechte unschuldiger Menschen und Opfer". Bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Lande, in dem sich seine Partei vor allem mit der neonazistischen Jobbik duelliert, betonte er, dass er "das Urteil ablehnt" und "dagegen kämpfen" werde, die "echte lebenslange Strafe" müsse "verteidigt werden", da sie einen "starken Abschreckungseffekt" habe (was längst widerlegt ist). Wer das Leben eines anderen nehme, gehöre "endgültig weggesperrt", das hätten auch 94% der Antworten einer "Nationalen Konsultation" (Briefwurfsendung) ergeben. Sein Amtsleiter Lázár hatte kürzlich "bedauert", dass "Ungarn die Todesstrafe nicht wieder einführen könne". Jobbik verlangt diese umstandslos.

 

Die Regierungspresse stellte das Urteil so dar, als müssten nun Straftäter in Ungarn nach spätestens 25 Jahren Haft auf freien Fuß gesetzt werden. Dabei hat Straßburg überhaupt keine Einwände z.B. gegen eine lebenslange Sicherheitsverwahrung, aber eben wenn die dafür nötigen Grundlagen der Überprüfung, also der Beleg der Notwendigkeit durch eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit erbracht wird. Auch der Kläger Magyar wird deshalb nicht freigelassen, doch erkämpfte er sich einen Anspruch auf Überprüfung des Falles nach Ablauf einer "einfachen, lebenslangen" Strafe, wie sich das in Rechtsstaaten gehört. Derzeit sind in Ungarn 46 Personen lebenslänglich verurteilt, 33 davon "endgültig".

Die Orbán-Regierung fährt seit 2010 eine deutliche Law-and-Order-Politik und stellt dabei das selbst interpretierte "Gerechtigkeitsempfinden" des Volkes über die Rechtsfindung der Justiz. Mehr zum Thema:
Tod dem Hühnerdieb...

Die ausführliche Pressemitteilung des Straßburger Menschengerichtshofes (pdf, eng.)

red

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