THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 38 - 2014 NACHRICHTEN 16.09.2014

 

Europäischer Gerichtshof: Ungarn behindert Oppositionsarbeit. Ungarn: Macht damit weiter.

Der ungarische Parlamentspräsident muss sich von den Straßburger Richtern anhören, die politische Meinungsäußerung, das Recht der Abgeordneten und die Freiheit der Oppositionsarbeit unrechtmäßig beschränkt zu haben. In Orbáns Heimatort Felcsút, das Dorf mit dem großen Stadion, macht man das gründlicher: Hier wird die Opposition nicht eingeschränkt, sie wird gleich gar nicht zugelassen.

Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagten fünf Abgeordnete der grünen LMP sowie deren Abspaltung "Dialog für Ungarn", darunter die damaligen Parteisprecher bzw. Fraktionschefs Gergely Karacsóny und Bernadett Szél. Es ging um Proteste der Gruppe während einer Plenarsitzung im ungarischen Parlament im April und Mai 2013 zum Thema der Vergabe der Tabakhandelslizenzen, die sich alsbald als Paradestück parteilicher Günstlingswirtschaft erwiesen, allerdings nach wie vor wirksam ist.

 

Die Oppositionsabgeordneten hielten während der Sitzung und der Abstimmung Transparente hoch wie: "Hier arbeitet die nationale Tabakmafia" oder "Ihr stehlt, ihr betrügt und ihr lügt!" Daraufhin verhängte Parlamentspräsident Kövér, Fidesz, eine Ordnungsstrafe gegen die Querulanten wegen "Entwürdigung des Parlamentes" und entzog ihnen jeweils bis zu einem Drittel eines Monatsbezuges.

Das Gericht sieht darin eine "übertriebene Sanktion", die geeignet ist, die politische Meinungsäußerung, das Recht der Abgeordneten und die Freiheit der Oppositionsarbeit ungebührlich einzuschränken. Es wurden Verstöße gegen Artikel 10 (Meinungsfreiheit) und Artikel 13 (Einspruchsrechte) der Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt. Erschwerend kam für die Richter hinzu, dass der Parlamentspräsident die Strafen "ohne nachvollziehbare Begründung, ohne vorherige Warnung und ohne Anhörung der Beschuldigten" verhängte. Dass die Art der Sanktionierung längst Teil der regulären Hausordnung in Budapest ist, ging das Gericht in diesem Verfahren nichts an.

Ungarn wird nicht nur zur Rückzahlung der Strafen in Höhe von 170  bis 600 EUR an die Kläger verurteilt, sondern muss jedem weitere 3.000 EUR Entschädigung für finanzielle Schäden erstatten sowie in Summe 10.500 EUR Prozesskostenauslagen der Kläger tragen.

Klare Verhältnisse in Felcsút: rechts Orbáns Landhaus, links das Stadion. Da bleibt kein Platz mehr für Fragen oder Opposition. Weitere Links zum Thema hier.

Damit solche Zusammenstöße in Zukunft vermieden werden, hindert die Orbán-Regierung die Opposition am besten gleich ganz an der Meinungsäußerung, dachte sich offenbar der Bürgermeister von Orbáns Heimatgemeinde Felcsút, Mészáros und kreiert damit bereits die nächste Vorlage für eine Klage vor dem EGMR:

Er ließ der Oppositionskandidatin für die Kommunalwahlen am 12. Oktober, Judit Horváth, den Zugang zum Gemeindehaus für eine der üblichen Informationsveranstaltungen (Bürgerfragestunden) verwehren. Die Kandidatin hatte die Veranstaltung ordnungs- und fristgemäß angemeldet, am Tag selbst aber stieß sie auf verschlossene Türen und einen Hausmeister, der ihr ein Exemplar der gerade geänderten Gemeindesatzung aushändigte, in der - notariell beglaubigt - der Fidesz-Beschluss darüber zu lesen war, dass im Gemeindehaus fürderhin jede "parteipolitische Aktivität" verboten ist. Getreu dem Orbánschen Motto "Zur Heimat kann man nicht in Opposition sein."

Eine ähnlich gelagerte Veranstaltung vor ein paar Tagen konnte zwar noch irgendwie erzwungen werden, doch umstellten Angestellte der Baufirmen des Bürgermeisters (der hier alles baut, einschl. von Orbáns Privatstadion) und andere "anständige Bürger" das Gemeindehaus (das auch der Bürgermeister selbst gebaut hat), wurden Journalisten verjagt und die wenigen Bürger, die sich auf den Weg machten, "aufgeschrieben" und angemacht. Kandidatin Horváth ist überzeugt, dass viele den feudalen Größenwahn der Familien Orbán, Mészáros usw. sowie das Stadion ebenso verabscheuen, aber aus Angst vor Nachteilen in der 1.700-Seelen-Gemeinde lieber den Mund halten.

 

Judit Horváth ist schon seit längerem verhaltensauffällig: Sie hat einen kleinen bäuerlichen Betrieb im Ort, einen der wenigen, der noch nicht von den Höfen der neuen Gutsherren abhäng und war schon einmal mit dem Bürgermeister und Orbánschen Sachwalter zusammengestoßen: hatte sie es doch gewagt, sich um die Pacht von ein paar über den Nationalen Bodenfonds ausgeschriebene Flächen zu bewerben. Das ist jedoch ureigenstes Fidesz-Terrain, wie jeder in Ungarn heute weiß, Horváths Antrag wurde abgelehnt. Dabei hat sie noch Glück, es gibt Orte in Ungarn, in denen in die Fenster von Leuten, die es wagen, die Macht des jeweiligen Platzhirschen anzufechten - und sei es auf demokratischem Wege - Molotow Cocktails fliegen... Doch Horváth ist realistisch. Auf eine Journalistenfrage, was sie wohl tun würde, wenn sie - wider Erwarten - die Wahlen am 12.10. gewinnt, sagt sie: "Dann werden sie irgendein Gesetz erfinden, um mich wieder aus dem Amt zu entfernen..."

red.

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