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(c) Pester Lloyd / 47 - 2014   POLITIK   20.11.2014

 

"Ungarn ist koscher": Orbán will Autobahnen bauen, aber keinen Krieg

Die ungarische Regierung setzt ihre Schaukelpolitik zwischen Bündnistreue und Annäherung an Russland fort. Premier Orbán markierte auf dem Jahrestreffen der Auslandsungarn mit teils absurden Gedankengängen einmal mehr den "starken Mann." Derweil sprach sein Außenminister in Moskau vor. Richtung Ukraine - und damit Richtung USA - sandte man auch ein Signal der Entspannung.

Orbán betonte bei dem Jahrestreffen des ultranationalistischen “Rates der Diaspora-Ungarn”, dass "wir loyal zu unseren Verbündeten sein werden", Ungarn aber auch "kein Interesse an einem neuen Kalten Krieg" habe. Dass Ungarn "pro-russisch" sei, ist "Unsinn", man sei “einzig pro-ungarisch", wiederholte er. Die Beziehungen zu Ländern außerhalb der EU seien in erster Linie energiepolitischer und ökonomischer Natur. Ein guter Europäer sei "niemand, der alles schluckt", sondern einer, der für "seine nationalen Interessen einstehe". In diesem Sinne habe er "wirtschaftliche Selbstbestimmung" wiederhergestellt und "den EU-Mantel neu geknöpft"...

 

"Der Zweidrittel-Sieg von 2010 ermächtigt die Regierung das System des öffentlichen Rechtes und die Regeln des politischen Spiels (!) zu reformieren", fügte er, laut MTI, hinzu. Ungarns neue Verfassung sei "koscher", denn sie ist "die einzige Verfassung (eines Mitgliedsstaates, Anm.), die von der EU durchleutet wurde". Ungarn ökonomisch erfolgreich zu machen, ist "der einzige Weg, gegen die negativen Einschätzungen unseres intellektuellen Ansatzes vorzugehen" (!!!). Die ungarische Regierung sieht "viele Dinge anders als der westliche Mainstream", daher sei es "ein hoffnungsloses Unterfangen, die verbeulte internationale Reputation wiederherstellen zu wollen".

Er gehe lieber weiter seinen Weg, in den kommenden Jahren plane er das "größte Wirtschaftswachstumsprogramm aller Zeiten", die "Staatreform II". Das Resultat dessen wird sein, dass "bis 2018 jede ungarische Autobahn an eine Landesgrenze führt" und "bis 2018 jedes ungarische Heim mit dem Breitbandinternet verbunden sein wird". Ebenfalls bis 2018 gibt es "gute Chancen, Vollbeschäftigung erreicht zu haben." "Wir werden den flexibelsten Arbeitsmarkt Europas entwickeln". Gleichzeitig arbeite man - "wie Deutschland" - auf ein Nulldefizit hin. Dabei wird das "System der nationalen Konsultation" sicherstellen, dass "Bürger ein Wort mitzureden haben".

Im Fokus stehe auch die "demographische Frage", die letztlich "über die Existenz einer Nation entscheidet" (in einer früheren Rede: ist sie nicht in der Lage, sich biologisch zu reproduzieren, ist sie nicht Wert, zu überleben...). Er habe viele Anreize geschaffen für Ehe und Kinder, man solle das aber noch intensiver betreiben. Dazu gehört auch, dass man Immigration, "die nur Probleme schafft" nicht als Lösung für Bevölkerungsschwund betrachten sollte. Das Geld, das man Flüchtlingen gibt, steckt man besser in eine "Stärkung der Kontinente, wo diese Leute herkommen." Orbán forderte bereits mehrfach einen totalen Einwanderungsstopp für Europa und schlug vor, für "Arbeiten, die niemand machen will", die "europäischen Roma" heranzuziehen.

Den im "Allungarischen Kongress" zusammengeschlossenen Auslandsungarn versprach er für kommendes Jahr rund 5 Mio. EUR für Kulturgutpflege und den Ausbau einer "Datenbank aller Ungarn in der Welt", einem Lieblingsprojekt seines Vizepremiers Semjén.

Am Mittwoch wurde Außenminister Péter Szijjártó, aus der Türkei kommend, in Moskau von Amtskollegen Sergei Lavrov empfangen. Eine deutliche Geste, nachdem der neue Minister kürzlich in Washington wie ein Pizzabote abgefertigt wurde. Er sei "froh, dass wir zusammenarbeiten können, um die Energiesicherheit der Region zu erhöhen", sagte der Gast auf. Er hoffe, dass sich eine "praktische und nützliche Kooperation" zwischen Russland und der EU wiederaufbauen lassen. Lavrov lobte die Ambitionen Ungarns, neben "der Erfüllung seiner Bündnispflichten" "seine eigenen Interessen zu schützen." Nicht ganz so zurückhaltend die Regierungsmedien, wo Ungarn längst als "unser Land in der EU" gehandelt wird. Ein putinnaher Politik"wissenschaftler" unterstellte Ungarn bereits Ambitionen auf die westliche Karpatoukraine. Ob über die Themen der US-Einreiseverbote gesprochen wurde, ging aus den offiziellen Statements nicht hervor.

Szijjártó bestätigte Lavrov, dass Ungarn die South Stream Pipeline bauen wird, unabhängig davon, was die EU dazu sagt. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind geschaffen. Russland werde aber trotzdem zusehen, dass die "Verhandlungen mit der EU" bald weitergehen, erwiderte das Gegenüber. Ungarn hatte Gaslieferungen an die Ukraine kürzlich einseitig und abrupt eingestellt, um die eigenen (vorher durch dubiose Kanäle halbleerverkauften) Lager für den Winter aufzufüllen. Gleichzeitig verkaufte man ein Erdgaslager (700 Mio. m3) auf eigenem Territorium an Gazprom.

Energiestaatssekretär András Aradszki ließ aus Budapest zeitgleich verlauten, dass man "nächsten Monat" die Lieferungen in die Ukraine wieder aufnehmen könne, sobald die russischen Lieferungen abgeschlossen sind. "Die Ukrainer müssten uns nur fragen." Dass es russischen Druck für den Lieferstopp gegeben habe, leugnet er, das sei ein "rein technischese Problem" gewesen.

 

Mit einer gewissen Erleichterung hatte Außenminsiter Szijjártó zuvor in Brüssel zur Kenntnis genommen, dass die italienische EU-Ratspräsidentschaft Ambitionen einiger Mitgliedsländer und Strömungen im EU-Parlament nach Etablierung eines "Grundrechtemechanismus", also eines verbindlichen Monitoring- und Sanktionssystems für Grund- und Menschenrechte bei den Mitgliedsländern, an den Rat der Regierungschefs delegiert hat und vorschlug, auch dort allfällige Vorkommnisse zu behandeln und bewerten zu lassen. (Der eigentliche Vorschlag war eine Ansiedlung bei der Kommission bzw. eine eigene Behörde). "Jeder Mitgliedsstaat müsse gleich behandelt und Doppelstandards müssen vermieden werden", sagte der Außenminister, was übersetzt bedeutet, dass sich möglichst gar nichts an der Zahnlosigkeit der EU auf diesem Gebiet zu ändern hat.

Hintergrund:

Beginnender Kontrollverlust: Orbán und Ungarn am Scheideweg

Der Fetzen: Orbán bleibt auf Konfrontationskurs zu den USA

Hintergründe in der Volltextsuche. z.B.: South-Stream, Ukraine, Russland, Orbán Rede

 

red. Foto: MTI

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