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(c) Pester Lloyd / 46 - 2014   POLITIK   14.11.2014

 

Der Fetzen: Premier von Ungarn bleibt auf Konfrontationskurs zu den USA

In seiner zweiwöchentlichen Rundfunksendung "180 Minuten" im staatlichen Kossuth Rádió bezog Premier Orbán am Freitagmorgen wieder Stellung zu Themen der aktuellen Politik. Hinsichtlich der US-Einreiseverbote hält er an der Ursache-Wirkung-Umkehr fest und verleugnet jeden Hinweis auf amtlich geförderte Korruption. Dazu deckt er die Sanktionierten vorbehaltlos und schießt sich auf den US-Vertreter in Ungarn ein. Weitere, nichts- wie vielsagende Statments gab es zu South-Stream, Forex-Umtausch und Banken sowie zur Sonntagsöffnung.

Musste Orbán in der Sendung vor zwei Wochen (für seine Verhältnisse) kleinlaut die Internetsteuer als “so nicht umsetzbar” absagen, trumpfte er heute wieder groß auf. Foto: MTI

Orbán erklärte den Radiohörern zum Fall der US-Einreiseverbote, dass er "nicht sicher ist, ein Rücktrittsgesuch von Ildikó Vida (Chefin des Finanzamtes) akzeptieren zu können", denn das würde "die Souveränität Ungarns in Frage stellen." Er werde nicht auf Zuruf "fremder Mächte" seine Politik gestalten oder Personalfragen entscheiden. Demonstranten hatten am Sonntag ultimativ ihren Rücktritt bis 17. November gefordert, heute ist dazu ein Autokorso durch Budapest geplant. Sollte sie nicht gehen, sind weitere Großdemonstrationen und ziviler Ungehorsam angekündigt.

 

Orbán ging auch auf den in den Medien heftig besprochenen "Fetzen" ein. Dabei handelt es sich um ein zweiseitiges Papier der US-Botschaft (Faksimilies siehe unten) an das ungarische Außenministerium, in dem die Amerikaner eine zweijährige Chronologie ihrer Gespräche bzw. Gesprächsversuche mit Offiziellen zu den Korruptionsvorwürfen auflisteten, deren Ungelöstheit letztlich zu den Sanktionen führten. Angefangen von Terminen beim Finanzamt über Mehrwertsteuerbetrügereien in der Landwirtschaft, Erpressungsversuche seitens Finanzbeamter, über Gespräche bei der Staatsanwaltschaft bis hin zum Justizministerium, jeweils mit dem Vermerk, dass sie zu keinen Konsequenzen oder Ermittlungen führten, ja nicht einmal eine "offizielle Antwort" waren die amerikanischen Gesandten den ungarischen Behörden für würdig erachtet worden. (Man stelle sich vor, welche "Wirkung" in einem solchen System Beschwerden von einfachen Bürgern entfalten müssen.)

Der Brief soll dem Ministerium bereits seit zwei Wochen vorliegen, der Öffentlichkeit wurde die Existenz allerdings erst bekannt als die Oppositionspartei DK über eine ministeriumsinterne Quelle davon erfuhr und die Sache publik machte. Damit sei nun endgültig belegt, dass die Regierung lügt, wenn sie behauptet, keine Kenntnis über die Umstände der Einreiseverbote gehabt zu haben, erklärte ein Vertreter der Gyurcsány-Partei.

Außenstaatssekretär Levente Magyar (Foto: Screenshot von Hír TV) berief gestern vor dem Parlament eine Stehgreif-Pressekonferenz ein, auf der er das Papier präsentierte und damit dessen Existenz zugab, gleichzeitig wurde es auf der Webseite des Ministeriums veröffentlicht. Magyar prägte dabei das Wort vom "Fetzen" (fecni), den man nicht ernst nehmen könne, denn "es sei weder ein Datum, noch eine Unterschrigt und schon gar kein Stempel darauf", weshalb man darin kein offizielles Dokument erkennen mag. Dass die leeren Rückseiten nicht gegengezeichnet waren und auch keine Verwaltungsmarke aufgeklebt war, reklamierte er zwar nicht, doch seine Begründung war - nach dem skurrilen Auftrtitt Vidas vor der Botschaft - wieder ein Anlass für grenzenlosen Spott im Internet und den klassischen Medien. Der Staatssekretär versuchte sich als Literaturkritiker: “Die formelle Frivolität des Schreibens wird nur noch durch die Trivialität seines Inhaltes übertroffen.” Die Witzbolde in der ungarischen Regierung scheinen sich ihres Systems sehr sicher zu sein...

Zum Öffnen einer vergrößerten Version des Schreibens der US-Botschaft (engl.) klicken Sie bitte jeweils auf die Abbildung

Dass das Schreiben informellen Charakter hat, ist offensichtlich. Es diente offensichtlich dazu, die Dimension der hinter den Einreiseverboten steckenden Problemkreise anzudeuten und den ungarischen Behörden so die Gelegenheit zu geben, selbst tätig zu werden und dies als Eigeninitiative verkaufen zu können, was bei der Übergabe einer offiziellen Note nicht mehr möglich gewesen wäre. Dass das Papier ohne entsprechend adressiertes Couvert bzw. ein kurzes Anschreiben übergeben wurde, ist indes unwahrscheinlich und wohl Teil der Inszenierung des Ministeriums.

Orbán fuhr im Radio fort, dass er "nicht einmal einen Moment daran glauben will", dass die USA - als Verbündeter und Freund - "sich wegen unserer Russland-Politik derart in die internen Angelegenheiten Ungarns einmischen" wollen. Denn das wäre ein "ernsthafter Angriff", man solle die russisch-ungarischen Beziehungen aus dieser Affäre lieber heraushalten. (Was wiederum die Frage auffwirft, was dann die Gründe für die Sanktionen sein sollen, da es ja Korruption auch nicht gibt.) Außenminister Szijjártó wiederholte in einem Interview am Donnerstag, dass die "Amerikaner große Lügen verbreiten", wenn sie behaupten, dass "in Ungarn nicht rechtsstaatlich gearbeitet" würde.

Orbán weiter: "Die Angelegenheit hat jede Ernsthaftigkeit verloren." Würde "ein ungarischer Diplomat irgendwo auf der Welt solch ein Schreiben absenden, würde man ihn am nächsten Tag nach Hause beordern." Orbán führt damit die Reihe der Offiziellen fort, die den US-Gesandten Goodfriend in den letzten Tagen konzertiert als "unseriös" und "nicht qualifiziert" bzw. "
unnötige US-Nanny" bezeichneten, Fidesz-Fraktionschef Rogán forderte, die USA sollten "gefälligst einen richtigen Botschafter schicken" (denn Ungarn sei nicht Guantánamo). Auch aus Orbáns Aussagen ist zu spüren, wie es der Fidesz-Kampfmannschaft in den Fingern juckt, Goodfriend auszuweisen. Allein die Courage dazu hat man (noch) nicht, eben auch, weil man nicht weiß, ob die USA vielleicht doch stichhaltige Beweise zur organisierten Regierungskriminalität in der Hinterhand haben. Orbáns Äußerung ist zumindest eine indirekte Aufforderung an die Amerikaner, den Gesandten abzulösen und irgendwo zwischen Verleugnung, Größenwahn und nackter Panik angesiedelt.

Die US-Botschaft in Budapest ist seit einem Jahr ohne einen ordentlichen, bevollmächtigten Botschafter. Obamas Kandidatin, eine eifrige Spendensammlerin der Demokraten aus dem Filmbuisness fiel bei einer Kongressanhörung durch, die Sache liegt auf Eis und dürfte durch das Macht-Patt in Washington nicht schnell bereinigt werden. Orbán ging sogar auf den peinlichen Auftritt Vidas vor der US-Botschaft ein, wo sie "Antworten auf ihre Fragen haben wollte", nun sollten diese Antworten eben Gerichte geben, wie sich das in einem Rechtsstaat gehört.

Hinsichtlich der South Stream Pipeline, deren Bau er durch eine Gesetzesänderung an den Bedenken der EU vorbei vorantreibt und über die gestern der deutsche Außenminister Steinmeier von seinem Amtskollegen Szijjártó bei dessen Besuch in Berlin "Antworten auf unsere Fragen" erwartete, wiederholte Orbán, dass dies "das gleiche wie die deutsche Nord Stream"-Leitung sei. Man wolle aus "reinem ökonomischen Interesse" die Ukraine umgehen. Warum man dazu auch wieder die EU umgehe, erklärte Orbán jedoch nicht.

Orbán brüstete sich, mit seinem "
Gesetz über gerechtes Bankwesen" "den Banken schätzungsweise einige Billionen Forint wegzunehmen" und diese den "Bürgern zurückzugeben." Die quasi-Abschaffung der Forex-Kredite sei ein weiterer Stabilitätsfaktor für die Zukunft, denn nun würden weitere Wechselkursverluste des Forint, "z.B. durch eine Verschärfung der Situation in der Ukraien" (lies: niemals nicht aus eigenem Versagen), nicht mehr so viel Schaden anrichten.

Auf das
gestern aufgekommene Gerücht des Kaufs der Budapest Bank (General Electric Capital) durch den Staat (für kolportierte 260 Mio. EUR und durch Überbieten der interssierten Banco Santander) mochte Orbán nicht direkt eingehen, er wiederholte nur, dass er 50% des Bankenmarktes in ungarischer Hand sehen will. Dabei gehe es ihm aber nicht darum, "langfristig einen großen staatlichen Bankensektor zu betreiben", sondern er möchte "die Banken ungarischen Geschäftsleuten zugänglich machen".

 

Welcherart diese "Geschäftsleute sind" demonstrierte er kürzlich bei seinem großen Streich mit der Takarékbank und der Einverleibung der Spargenossenschaften. Dieser Artikel dazu sei all jenen empfohlen, die immer noch glauben, Orbán sei eine Art Robin Hood... - Nationalbankchef Matolcsy wurde gestern deutlich konkreter, er verkündete, dass bald nur noch fünf der acht als "große Banken" geführten Institute in Ungarn existieren werden. (OTP, CIB, MKB, Erste, K&H, Raiffeisen, Budapest Bank, Unicredit).

Das vorgesehene Verbot der Sonntagsöffnung für Shopping Center und Hypermärkte sieht Orbán "noch in der Diskussion". Die "Ungarn sind eigentlich erwachsen genug, um selbst zu entscheiden, wann sie ihr Geld ausgeben", es gehe aber auch darum, "wo sie das tun" (das zu entscheiden, dafür sind "die Ungarn" wohl nicht erwachsen genug?). Die Warnungen von 12.000 Jobs, die verloren gehen könnten (Branchenvertreter sprechen von bis zu 35.000), hält er für "unrealistisch", dann müssten eben mehr kleine Geschäfte öffnen. Und außerdem: in Ländern wie Österreich oder Deutschland gäbe es "starke Argumente" an der dort etablierten Sonntagsschließung festzuhalten.

Zu den US-Einreiseverboten:

Der Warnschuss: US-Sanktionen gegen Ungarn (Erstbericht vom 19. Oktober)

"Klare Warnung": Fortgang der Affäre um US-Einreiseverbote (21. Oktober)

Beginnender Kontrollverlust: Orbán und Ungarn am Scheideweg
(27. Oktober Orbán äußert sich erstmals zu US-Sanktionen)

Außer Spesen...: Ungarns Außenminister in den USA wie Pizzabote empfangen
(23. Oktober)

Einschüchterungsversuch? Pester Lloyd im Fadenkreuz der ungarischen Regierung
(30. Oktober)

Zu den Vorwürfen gegen das NAV / Korruption:

NAV-Chefin Vida gibt zu, auf US-Einreiseverbotsliste zu stehen

Verbrechenszentrale Finanzamt? Ex-Fahnder: Steuerbehörde und Politik in Ungarn decken und organisieren Milliardenbetrug

Steuerskandal Ungarn: Hausdurchsuchung bei Aufdecker Horváth

Schattenreich der Kleptokraten - die Legalisierung des Illegalen

red. / m.s.

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