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(c) Pester Lloyd / 05 - 2015   GESELLSCHAFT   26.01.2015

 

Hungern als Lifestyle: Sozialhilfe für bedürftige Familien in Ungarn wird halbiert

Bisher erhielten Familien mit einem Monatseinkommen unter 25.650 Forint (82 EUR) eine Hilfszahlung von maximal 45.568 Forint (146 EUR), so dass sie am Ende - bei abzugsfreier Auszahlung - mit 330 EUR ungefähr auf den gesetzlichen Bruttomindestlohn eines Arbeitnehmers kamen. Das war, z.B., für eine vier- oder fünfköpfige Familie schon wenig genug. Doch für Orbáns Ambitionen ist das immer noch zu viel.

Hilfsorganisationen können Armut punktuell und zeitweise lindern, ihre Ursachen kann nur der Staat bekämpfen. Doch der ungarische Staat bekämpft lieber die Armen selbst. Hier eine Suppenküche im nordungarischen Ózd, das seit Oktober von einem Bürgermeister der neonazistischen Jobbik regiert wird, der die zahlreichen Roma am liebsten aussiedeln würde.

Ab 1. März treten eine Reihe von Änderungen bei der Sozial- und Familienbeihilfe für sozial Schwache in Kraft. Sie passen in das ständestaatliche Konzept einer kalkulierten, systematischen Verelendung des "unteren" Drittels der Gesellschaft.

Rund 50.000 gänzlich von Sozialhilfe abhängige Familien müssen zum 1. März einen Neuantrag stellen, wobei ein Familienmitglied nachweisen muss, mindestens 30 Tage im Jahr einen Job gehabt zu haben oder an einem Kommunalen Beschäftigungsprogramm teilgenommen zu haben. Gerade sorgte ein unabhängiger Bürgermeister mit seinem Rücktritt für Aufsehen, der den Bürgern gegenüber die "Lügen" des Programmes nicht mehr vertreten wollte. Bereits seit 2012 gilt die Ablehung einer angebotenen “Közmunka” als Streichungsgrund für Sozialhilfe (100% bis zu drei Jahre).

Ab März reduziert sich der maximal beziehbare Sozialhilfe-Betrag auf 22.800 Forint (73 EUR) pro Monat und pro arbeitsfähigem Erwachsenen, wenn er die sonstigen Kriterien erfüllt. Hinzu kommt die Möglichkeit, über einen ministeriellen Antragsweg - also nicht über die Kommune, jährlich einen "Kindererziehungszuschuss" in Höhe von umgerechnet rund 850 EUR zu beziehen - unabhängig von der Zahl der Kinder.

Die maximal beziehbare Leistung für eine fünfköpfige Familie (2 Erw., 3 Kinder) erreicht damit rund 53.000 Forint im Monat (170 EUR). Das sind ungefähr 34.000 Forint bzw. 110 EUR weniger als das von der Regierung definierte "Existenzminimum" und rund die Hälfte weniger als zuvor. Nach den krisenbedingten Kürzungen unter Gordon Bajnai 2008 lag dieser Betrag zwar auch nur bei 57.800 Forint, doch waren damals aber noch rund 250 EUR, heute ungefähr so kaufkräftig wie die bisher maximalen 330 EUR, die jetzt quasi halbiert werden.

Mittagessen oder Sozialhilfe

 

Es wird aber noch perfider. Der jährliche Kinderzuschuss wird nur ausgezahlt, wenn keines der Kinder eine Institution besucht, in der ihm eine kostenlose warme Mahlzeit serviert wird. Von Umfang und Qualität ist nicht die Rede, auch genügt es, dass z.B. eines von drei Kindern ein Schulessen bekommt, damit alle anderen leer ausgehen. Die Familie muss dann mit 45.600 Forint monatlich auskommen.

Offenbar will man den Anreiz mildern, dass bestimmte Schichten viele Kinder bekommen, der zuständige Minister Balog hatte bereits einmal wörtlich von einer gewollten Unterscheidung zwischen "förderungswürdigen Familien und solchen, die dem Staat nur auf der Tasche liegen" gesprochen. Hier geht es jedoch nicht darum, jemanden oder etwas zu "fördern", sondern um das nackte Überleben.

Ab September 2015 besteht für Kinder ab 3 Jahren Kindergarten- bzw- Vorschulpflicht, womit meistens wenigstens ein Mittagessen verbunden ist, was automatisch die Zahl der für die Kindernothilfe bezugsberechtigten Haushalte für Cash-Auszahlungen stark reduziert, wenn nicht gegen Null fährt - aber die ohnehin schon dramatische Zahl hungernder Kinder in Ungarn erhöhen wird, wie eine Bürgerrechtsorganisation konterte.

Dieses Foto stellt sozusagen eine ungarische Weihnachtstradition dar. Es ist die Schlange zur Essensausgabe der Malteser an den Feiertagen. Sie gibt es schon seit Jahren, doch wird sie jedes Jahr länger...

Die Regierung besteht darauf, dass das Gegenteil der Fall sein wird, denn man starte ja gleichzeitig mit der Reduzierung der Direktzahlungen ein (übrigens EU- und UN-finanziertes) Schulspeisungsprogramm, daher "wird es bald keine hungernden Kinder mehr geben", so Orbán wörtlich bei einer Call-In-Show mit einer Zeitung. Allerdings verweisen NGO´s darauf, dass Kinder nicht mit einer ordentlichen Mahlzeit am Tag überleben können und rechnen vor, dass trotz steigender Armutszahlen, das Sozialbudget für 2015 um weitere 25% bzw. um rund 40 Milliarden Forint zusamenngestrichen wurde.

Hingegen werden die "Familienbeihilfe" in Form von Steuerfreibeträgen, die also nur mittelständischen Familien zu Gute kommen können, die auch ein steuerreduzierbares Einkommen haben, angehoben, was Orbán ebenfalls stolz als Sozialmaßnahme verkündete. Das sei keine Sozial-, sondern Klientelpolitik, die angesichts der sündteuren Prestigeprojekte wie den Fußballstadien oder dem Ausbau der Burg zum Orbán-Amtssitz für über 600 Mio. EUR den Ärmsten des Landes ins Gesicht spuckt.

(Hier sei noch erwähnt, dass die permanente Umgestaltung des Steuersystems, also die Entlastung von Kapital und Vermögen und die Belastung von Konsum mit zwei Dutzend neuen bzw. erhöhten Steuern, die eigentliche Umverteilung darstellt, die arme Familien an den Rand der Existenzfähigkeit bringt)

Hungern als Lifestyle

Premier Orbán erklärte "Kinderarmut" und gar "hungernde Kinder" quasi für einen running gag der linken Opposition, denn "die Armut geht bei uns konstant zurück",
sagte der Regierungschef angesichts der Tatsache, dass die als arm eingestufte Zahl der Menschen in Ungarn binnen 4 Jahren um 500.000 von 2,8 auf 3,3 Mio. angestiegen ist.

Sämtliche Zahlen, ob von NGO´s, Eurostat und sogar die geschönten Zahlen aus dem eigenen Statstikamt belegen das Gegenteil dessen, was die Regierung behauptet. Nicht umsonst wies die Politik das Zentralamt für Statistik, KSH, im Vorjahr an, den aktuellen Armutsbericht (darin detaillierte Zahlen) so zu verschieben, dass die Zahlen nicht noch vor den Kommunalwahlen die Runde machten.

 

Péter Harrach, Fraktionschef der mit Fidesz regierenden christlich-fundamentalistischen KDNP äußerte im Staatsrundfunk auf eine bereits vom Moderator zynisch und rassistisch formulierte Anmerkung zur Kinderarmut, vor allem in Romafamilien, dass eine Umfrage ergeben hätte, dass viele dieser Kinder "morgens nicht deshalb nichts essen, weil sie nichts bekommen, sondern weil sie noch keinen Hunger haben", Harrach darauf: "ja, eigenartig, das scheint wohl ihre Lebensart zu sein." Kanzleramtsminister Lázár, verhaltensauffällige Luxus-Prinzessin im Orbán-Umfeld und Nr. 2 im Staate, äußerte einst, dass "die, die wenig verdienen, auch nur so viel wert sind."

Auch Wohnungszuschüsse werden zusammengestrichen

Per 1. März wird auch der Wohnkostenzuschuss für sozial schwache Familien auslaufen. Derzeit können jährlich 455.000 Haushalte einen einmaligen Betrag von 450 Forint (1,45 EUR) pro Quadratmeter Wohnfläche erhalten, um die Kostenbelastung durch Hypotheken und Energiekosten zu reduzieren. Bei einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 65 qm kam man so auf knapp 100 EUR. Weitere 10.000 Familien erhielten noch 2013 einen "Schuldenreduzierungszuschuss" von rund 1.000 EUR jährlich, der so manchen bisher vor der Zwangsversteigerung bewahrte. Auch dieser wird ersatzlos gestrichen.

red.

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