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(c) Pester Lloyd / 05 - 2015   POLITIK   26.01.2015

 

Bärendienste: "Ungarn" als Kanonenfutter der Ukraine an die russische Front?

Zieht die ukrainische Armee gezielt ethnische Ungarn im Rahmen ihrer aktuellen Mobilisierung ein, um sich für die russlandfreundliche Politik Orbáns zu rächen? Das offizielle Budapest befürchtet das und sieht sich - ganz Putin-Style - als selbsternannte Schutzmacht "aller Ungarn" in der Pflicht. Außerdem will Kiew eine Strafsteuer gegen Ukrainer mit doppelten Staatsbürgerschaften einführen, was auch wieder "die Ungarn" träfe. Gelebte "Nachbarschaftspolitik" unter Nationalisten...

Das ist nicht “unser” Krieg. Stimmt. Aber es ist auch kein Krieg der russischen und ukrainischen Bürger. Sondern ein Machtkampf Kalter Krieger und regionaler Oligarchenbanden um Märkte und politische Macht.

Ungarns Außenminister Péter Szijjártó traf sich am Freitag im westukrainischen Ushgorod mit einer Reihe von Vertretern der ungarischen Minderheit in der Ukraine sowie auch Offiziellen der Kiewer Regierung, darunter der Gouverneur des Diskrikts Karpatoukraine, Vasil Hubal und Wolodimir Tschubirko, Präsident des Regionalrates. Schwerpunkt der Treffens, u.a. mit dem "Ungarischen Kulturverband in Transkarpatien" KMKSZ war - neben Fragen der regionalen Verwaltungsreform unter dem Aspekt der Rolle der Minderheitensprachen und -schulen - die "jüngste militärische Mobilisierung", bei der Budapest der Regierung in Kiew indirekt eine "überporportionale Einberufung" von ethnischen Ungarn unterstellt.

 

Man behalte die "Einberufungspraxis unter genauer Beobachtung", so Szijjártó. Dahinter steckt die Befürchtung, die Minderheit könne - aus rassischen und / oder taktischen Motiven - als Kanonenfutter den russischen Separatisten vorgeworfen werden, um "eigene" Leute schonen zu können. Belastbare Belege für ein solches Vorgehen liegen noch nicht vor, allerdings waren die Hungaroukrainer - eben auf Intervention Budapests - bei den vorangegangenen Einberufungswellen weitgehend verschont worden, weshalb die Orte in der äußersten Westukraine nun, da Poroschenko weitere 60.000 Mann unter Waffen stellen will, jetzt mehr Beachtung finden als zuvor.

Noch deutlicher wurde Vizepermier Semjén (KDNP), der von einer "Gefährdung der Interessen der in Kárpátalja lebenden Ungarn" sprach (es sind übrigens Ukrainer, genau wie die "Russen" im Donezk, was aber weder die, noch die Machthaber in Kiew, Moskau oder Budapest zur Kenntnis nehmen wollen). Semjén erregte sich dabei jedoch nicht nur über die Einberufungspraxis, sondern auch über die Ankündigung des ukrainischen Außenministers, Pavlo Klimkin, bald eine "Strafsteuer" für "Doppelstaatsbürger" einzuführen, denn doppelte Staatsbürgerschaften sind in der ukrainischen Verfassung "eindeutig nicht erlaubt und jeder muss die ukrainischen Gesetze befolgen." oder eben "angemessene Sanktionen" erdulden.

Rund 60.000 der auf 150.000 geschätzten Angehörigen der ungarischen Minderheit in der Ukraine dürften mittlerweile auch einen ungarischen Pass besitzen, allerdings auch tausende, die keine ungarischen "Merkmale" mitbrachten, sich aber über korrupte ungarische und und ukrainische Anwälte, Beamte und andere Helfer einen ungarischen EU-Pass erkauften. Diese wechseln u.a. für Einkäufe, "Geschäfte", aber auch für kostenlose Arztbesuche (sehr zum Unmut der Ureinwohner in Kernungarn) über die Grenze, woraus sich Kiew offenbar ein lohnendes Geschäft verspricht.

In der womöglich ethnisch motivierten Einberufungsaktion kann jedoch auch ein Kiewer Racheakt für Orbáns russlandfreundliche Politik erkannt werden. Immerhin hatte der - im Lichte der Separatistenbewegung im Osten - eine "Autonomie" für die Hungaro-Ukrainer gefordert und - auf Zuruf Moskaus - im September 2014 die Gaslieferungen an die Ukraine eingestellt.

Orbán wird in der russischen Propaganda immer wieder als engster Verbündeter Moskaus in der EU gefeiert, während die ethnischen Ungarn in der Westukraine für diesen Ruf gegenüber den Kiewer Nationalisten den Kopf herhalten müssen.

Orbán und Putin beanspruchen beide die Rolle als Schutzpatron für alle "Ungarn" resp. "Russen" in der Welt und rechtfertigen damit sowohl revanchistische Politik wie - im Falle Russlands - auch militärische Aktionen auf fremdem Territorium, auch wenn man daran - offiziell - selbst nicht beteiligt sein will. Orbán beging dabei den Kardinalsfehler, sich - ohne wirkliche Not - in einen Konflikt hinein begeben zu haben, bei dem ersichtlich war, dass alle Konfliktparteien (samt ihrer Hintermächte) längst komplett den Zugang zur Rationalität, vulgo: Verstand, verloren hatten. Vielleicht war es aber genau das, was Orbán daran so anzog, weil er glaubte, endlich einmal bei den Großen mitspielen zu können.

Zum Thema:

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Gegenüber der EU und der NATO legt die ungarische Regierung stetig Bekenntnisse der Bündnistreue ab, um gleich darauf gegen die Sanktionen zu polemisieren und sich auch materiell immer mehr von Russland abhängig zu machen (Atomdeal). Wie schon in Rumänien und der Slowakei leistet Orbáns regionaler Führungsanspruch als "Schutzmacht der Ungarn" den so als 5. Kolonne exponierten Minderheiten in diesen Ländern einen wahren Bärendienst. Das war Orbán aber egal, denn sein Ziel von fast 100% Zustimmung der mit ungarischen Pässen beschenkten Auslandsungarn bei den Wahlen hatte er schließlich erreicht.

 

Außenminister Szijjártó setzte diese Schaukelpolitik bei seinem jüngsten Aufenthalt in der Ukraine fort. Während er hinsichtlich der "Minderheitenrechte" in gewisser Weise die Linie der russischen Separatisten verfolgt, (denn es gibt doch letztlich nur Menschenrechte, die Minderheitenrechte sind dort inkludiert), die ihre Gebietsansprüche ebenfalls aus völkisch definierten Abgrenzungen formulieren, bemüht man sich andererseits um Kooperationen mit der Kiewer Regierung: Szijjártó unterzeichnete mit den ukrainischen Offiziellen am Freitag geldwerte Programme über die "östliche Partnerschaft" der EU sowie Zuschüsse für die ungarische Fakultät der Uni Ushgorod. Ob das allerdings genügt, die Kiewer Regierung zur Milde gegenüber den "Ungarn" zu bewegen, darf in der aufgeheizten Stimmung in einem Konflikt, in dem die Menschen für die Interessen ihrer Machthaber aufgerieben werden, stark bezweifelt werden.

red. / cs.sz. / ms.

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