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(c) Pester Lloyd / 05 - 2015   WIRTSCHAFT   04.02.2015

 

"Gigantische Investitionen": Orbáns PR-Maschine nach Merkel-Besuch im Umdeutungsstress

Um das Heldenbuch Orbáns als dem großen Steuermann eines "neuen Ungarn" ungebremst weiterschreiben zu können, bedurfte es nach dem Besuch Merkels einiger medialer Reparaturarbeiten. Selbst die selektive Berichterstattung des Staatsfernsehen konnte nicht übertünchen, dass Orbán am Montag zumindest einen rhetorischen Wirkungstreffer einstecken musste. Sofort wurde die Reparaturkolonne losgeschickt, um das Treffen zu einem Sieg seiner Politik umzuschreiben. Faktenfrei.

Besuch - Kommentar - Reaktionen

Um von der Kritik der Kanzlerin am Umgang mit Opposition, Medien, Ziviligesellschaft, der Verweigerung von gesellschaftlichem Dialog und ihrem Unverständnis für "Unfreiheit" als Mehrheitskonzept, also der "illiberalen Demokratie" abzulenken, sandte der für seine Stümperhaftgikeiten weltberühmte PR-Stab des Ministerpräsidenten frohe Kunde in die Runde: "Gigantische Investitionen" sollen als "Ergebnis des Treffens" aus Deutschland über Ungarn derbald herniedergehen, vermeldeten fast zeitgleich Staatsfernsehen und -rundfunk, die regierungsnahen Medien von "Magyar Nemzet" bis "Napi Gazdaság". Belege dafür hatten sie keine. Ach, und übrigens: es gab “keinerlei Spannungen” während der Verhandlungen, ließ uns Außenminister Szijjártó wissen.

Wenn man Orbán kennt, müsste einem klar sein, dass er sich für die Demütigung, sich Merkels Maßregelung (denn als solche emfpand er es) vor versammelter internationaler Presse antun lassen zu müssen, ganz furchtbar rächen wird. Natürlich, wie es dem Charakter von despotischen Feiglingen entspricht, an etwas Schwächerem. Davon hat er in Ungarn einige Auswahl geschaffen.

Zunächst ging es jedoch darum, das basse Erstaunen, die fragende Unsicherheit der Anhängerschaft über das, was man in den "linken" Medien so über den Besuch lesen musste, einzuordnen. Und das geht am besten, in dem man etwas Gutes meldet.

Die Orbán-Leute gehen offenbar davon aus, dass das Volk glaubt, dass Angela Merkel bestimmen kann, welches Unternehmen wann und wo investiert. Ungarische DDR-Verhältnisse quasi, - nur mit echtem Geld. Flugs machte das gezielt kolportierte Gerücht die Presse-Runde, BMW würde bald ein Werk errichten, wahrscheinlich in Miskolc, denn der Premium-Hersteller müsse mit den Konkurrenten Audi und Daimler, die in Ungarn (neben Opel und Suzuki) bereits präsent sind, kostenseitig mithalten, will er auf dem Weltmarkt weiter wachsen.

Zudem wird BMW bereits in großem Umfang von hier beliefert, nicht nur Einzelkomponenten, ganze Fahrzeugabschnitte werden für die Endfertigung in Leipzig aus Ungarn geliefert, fast 10.000 Menschen seien in Ungarn mit BMW-Zulieferung beschäftigt, wenn auch nicht ausschließlich, die entsprechenden Unternehmer-Stories lieferte die Regierungspresse gleich mit. Die Steuer- und Arbeitsrechtsgrundlagen sind von Orbán seit Jahren nicht nur zugeschnitten, sondern zurecht planiert worden, sogar eine gesonderte Senkung der Körperschaftssteuer für die Autoindustrie ist anvisiert, es wäre also alles bereitet.

Während Orbán "Multis", die vom ungarischen Binnenmarkt leben, also Handelsketten, Telekoms, Energiefirmen, Banken, etc. maßregelt, beleidigt und ausnimmt, hofiert er die produzierenden Konzerne geradezu devot. Ein Werk von BMW, das hieße locker 1 Mrd. EUR Direktinvestitionen, 3000-5000 direkte Arbeitsplätze, eine ganze Stadt könnte davon profitieren, gerade das dahinsiechende Miskolc wäre gerettet, der nächste Wahlsieg wohl auch.

Blöderweise dementierte BMW auf die Nachfrage eines Fachportals, man habe bis dato keine Absicht, ein Werk in Ungarn zu errichten und daher auch keine derartige Entscheidung getroffen, noch verkündet. Das ist auch nachvollziehbar, schon jetzt müssen sich die ansässigen Autobauer Fachkräfte aus Rumänien und der Slowakei anheuern, weil es in Ungarn nicht mehr genug gibt. Nicht wegen der vielen "attraktiven" Arbeitsplätze, sondern vor allem wegen der massiven Abwanderung aus Orbáns Arbeitsparadies. Sollte BMW also im Osten ein neues Werk errichten wollen, stünden Tschechien, Polen, die Slowakei und sogar Rumänien personell heute besser da als Ungarn. Von wirtschaftlicher Berechenbarkeit und politischer Stabilität ganz abgesehen.

Sodann hieß es, Mercedes hätte nach längerem Überlegen entschieden, ein zweites Werk in Kecskemét zu errichten. Auch eine Dreiviertel Ente. Daimler hat die Kapazitäten hochgefahren, 2014 ein Rekordjahr hingelegt und übernimmt sicher auch den einen oder anderen Ausbau, von einem neuen Werk ist jedoch keine Rede.

Auch hier war der Wunsch der Vater des Gedankens. Ein etwas kurzsichtiger Vater, denn Orbán verkennt in seiner Fixierung auf den "Produktionsstandort" und zudem die Autoindustrie, dass er sich damit in die Abhängigkeit einer fragilen Monokultur begibt und damit den Schwankungen der Weltmarktnachfrage so direkt ausliefert, wie sonst in kaum einer anderen Branche.

 

Man könnte sich also über einen neuen Großinvestor wie BMW nur mäßig freuen, prolongierte er doch nur die strukturelle Schwäche und mangelnde Flexibilität der industriellen Durchmischung in Ungarn. Ansonsten sind schon heute Auslagerungen in Nachbarländer, Netto-Kapitalabfluss von Banken und Unternehmen sowie etliche zurückgelegte Investitionsentscheidungen (von Energieunternehmen bis zu Lohnfertigern) Realität. Auch Schließungen im Produktionsbereich sind es: Nokia, Samsung, Danone sind nur ein paar prominente Beispiele. Mit frisierten Zahlen und schieren Behauptungen, die immer absurder anmuten, steuert Orbáns PR-Trupp dagegen und gaukelt sogar "Experten" im Westen - zuweilen - einen Wirtschaftsaufschwung vor, den es real nicht gibt.

Orbán war nie ein Freund ausgewogener Konzepte, die über das Abendrot hinausschauen, wie man wohl am eindrücklichsten in der Energiepolitik erkennen kann, in der mit der perspektivischen quasi 100%igen Ausrichtung auf russisches Erdgas und Atomkraft von "Energieunabhängigkeit" gesprochen wird. Apropos. Offenbar konnte - ob mit Merkels Hilfe oder einem anderen CDU-Lobbyisten - die Firma Siemens ein größeres Kuchenstück beim geplanten Ausbau des AKW in Paks ergattern und soll "daran beteiligt" (also am Ausbau) werden. Deutsche Kritik an der einseitigen Hinwendung Ungarns an russische Energiemacht müsste dann wegen unleugbarer Verlogenheit verstummen. Zudem birgt die Sache einige Ironie, denn dann würden die Russen, die mit ihrem 10 Mrd. EUR-Kredit den Atomausbau vorfinanzieren, ein deutsches Vorzeigeunternehmen mitbezahlen - mitten im Krieg, sozusagen. Die Endabrechnung zahlen dann die Ungarn, das kennen die ja schon.

 

Apropos Krieg. Merkel soll weiterhin durchgesetzt haben, dass die von Verteidigungsminister Hende zu beschaffenden 30 Militärhelikopter nicht bei den Amerikanern oder einem italienischen Konsortium, sondern bei Airbus beschafft werden. Auch das ein reines Gerücht. Wozu braucht Ungarns Mini-Armee 30 neue Helis? Damit Orbán die ukrainische Grenze abfliegen kann, um zu sehen, ob es sie noch gibt? Zum Einsatz gegen Demonstranten? Zum Posen auf NATO-Manövern? Weil Airbus Umsatz braucht! Die Grenzwacht im Süden muss aufgestockt werden, weil die Grenzpolizei es nicht mehr schafft. 43.000 illegale Grenzübertritte in einem Jahr, auch wenn nur 500 bleiben wollten, ist das zuviel, denn: "Einwanderung ist die Wurzel des Terrorismus", tönten die Fidesz-Sprecher im verbalen Stechschritt. Und man weiß ja, was die sagen, hat immer Hand und Fuß...

red. / cs.sz.

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