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(c) Pester Lloyd / 08 - 2015   POLITIK   16.02.2015

 

Putin ante portas: Ungarn erwartet Russlands Präsidenten

Premier Orbán hat seinen Kurzbesuch beim ukrainischen Präsidenten Poroschenko in Kiew am Freitag medial stumm geschaltet. Es gab weder eine Pressekonferenz, noch - wie im Falle Merkels oder Putins - ausladende Interviews über die epochalen Perspektiven seines Wirkens auf der Weltenbühne. So viel ist klar, die Leisetreterei war nicht einem schlechten Gewissen geschuldet, sondern dem nächsten Gast an der Donau, der mit diplomatischen und informellen Fanfaren begrüßt wird.

Nicht einmal eine offizielle Aussendung des Amtes des Ministerpräsidenten zu den Inhalten der Gespräche wurde angeboten und selbst die sonst unvermeidliche Foto-Serie auf Orbáns Facebook-Seite blieb diesmal aus, MTI bot nur ein verschämtes Bildchen (s.o.) an, so als hoffe man, der am Dienstag ankommende russische Präsident Putin könne die Visite übersehen. Wie mehrfach gemeldet, wurde die Reise nach Kiew erst unmittelbar nach dem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Merkel avisiert, was man als Aufforderung der EU- und NATO-Partner verstehen darf, den diplomatisch deplatzierten Auftritt Putins auf EU-Boden wenigstens protokollarisch zu kompensieren.

Am Montag trat lediglich Außenminister Szijjártó vor die Presse in Budapest und verkündete im Namen seines Chefs, dass dieser die Fraktionschefs im Parlament "gebrieft" habe. Hauptaussage beider war, dass die "Hilfen für die Ukraine fortgesetzt werden müssen." Bisher habe man umgerechnet rund 300.000 Euro vor allem für Flüchtlingslager zur Verfügung gestellt. Allerdings fügte man unmittelbar an die Ankündigung weiterer 100.000 EUR humanitärer Hilfen - gesteuert über die OECD - die Sorge um die Einberufung von ethnischen Ungarn, also Ukrainer mit ungarischen Vorfahren, in die Armee an, die - so behauptet es Budapest - überproportional im Vergleich mit "normalen" Ukrainern stattfände. Szijjártó wiederholte diesen Vorwurf und behautpet, "das sei immer noch der Fall".

Daraus lässt sich leicht ablesen, dass Ungarn der klammen Ukraine die Bedingung stellen könnte, die Mobilisierung um die ungarische Minderheit herum zu gestalten, wenn sie weiter Geld aus Budapest sehen will. Beobachter bezweifeln nämlich, dass die ukrainischen Behörden ethnische Minderheiten stärker einziehen als ukrainische Ukrainer, lediglich hatte man die westlichen Wehrbezirke, in denen auch die rund 150.000 "Ungarn" leben, bei den ersten Einziehungswellen aus praktischen Gründen außen vor gelassen, holt jetzt deren Einziehung lediglich nach.

Von Präsident Poroschenko wird uns die Aussage überliefert, dass die Ukraine "in der Lage ist, die Binnenflüchtlingsbewegungen zu bewältigen", was neben vorgetäuschter Stärke auch ein Wink an die Ungarn sein kann, dass sie allfällige Bedingungen für ihre paar Euros bitte auf der anderen Seiten der Karpaten belassen dürfen. Poroschenko und der ukrainischen Regierung klingt die "Autonomie"-Forderung Orbáns für die Karpatoungarn noch genauso in den Ohren wie das Abstellen der Gaslieferungen im vergangenen Herbst sowie der 10 Mrd. EUR-Atomdeal und die Anti-Sanktionstiraden gegenüber Russland.

Die selektive und an Bedingungen geknüpfte Hilfe für Länder in Not ist bei der Regierung Orbán heute Standard. In die Ukraine wurden bisher rund 330.000 EUR "humanitäre Hilfe" überwiesen, in der gleichen Zeit aber - zusätzlich zu den Subventionen für ung. Schulen und Kultureinrichtungen, Parteien etc. - 340 Mio. Forint, also über 1 Mio. EUR für den "Betrieb von Institutionen in Transkarpathien", also auch an die Hungaro-Ukrainer. Erst kürzlich knüpfte die Regierung eine bescheidene Geldgabe an Syrien und den Irak an die Bedingung, damit "christlichen Gemeinden" zu helfen. Sogar die eher als Lobbyarbeit einzustufenden Unterstützungszahlungen an die Ungarn-Parteien in den Vor-Trianon-Gebieten wird in Budapest heute als "Entwicklungshilfe" bezeicchnet.

Szijjártó schloss sein Journalisten-Briefing mit den Worten, dass es "in Ungarns Interesse liegt, dass alle Seiten die in Minsk unterzeichneten Vereinbarungen einhalten". Orbán sagte vor seiner Abreise am Freitag, dass "selbst ein zerbrechlicher Frieden besser ist als ein Krieg".

Dass Orbán sich wie ein Schmuggler in die Ukraine und zurück schlich, hat nichts mit einem berechtigten schlechten Gewissen zu tun, - denn dazu bedürfte es ja eines solchen - sondern eher mit der Sorgen, Putin könnte am Dienstag ob etwaiger Freunschaftsgesten des "besten Freundes Russlands in der EU" (Komsomolskaja Pravda) die Stirn in Falten legen. Immerhin erwartet sich Orbán - trotz Rubelschwäche und Ölpreisbaisse - nicht weniger als 10 Mrd. EUR Kredit und möglichst günstiges Erdgas für die nächsten Jahre. Dafür kann man sich schon einmal auf die Zunge beißen.

Mehr dazu:
Orbán, Zentrum Europas: Putin besucht am 17. Februar Ungarn

Während uns die offiziellen Stellen mit Programmagenden und Presseeinladungen verschonen, weil wohl alles sehr geheim sein muss, toben die linken und liberalen Oppositionsparteien, die Ungarn einen weiteren Schritt nach (Eur)asien gehen sehen und in der Visite ein diplomatisches Waterloo Orbáns gegenüber den wirklichen Bündnispartnern Ungarn erkennen, dessen Preis man erst später, aber ganz sicher zahlen wird müssen. Die unabhängigen Medien verlegen sich indes ins Lager von Ironie und Sarkasmus und witzeln sich mit Remineszenzen an alte Zeiten an den Besuch heran und sind auf der Jagd nach ein paar Sensatiönchen am Straßenrand. Was auch immer geschrieben werden wird, für das Orbán-Lager ist der Besuch, erst Merkels, nun Putins an sich ein Triumph. Man wird wichtig genommen, hat Aufmerksamkeit, das ist was zählt, alles andere ist primär...

 

Das Antiterrorzentrum TÈK hat so gut wie alle wichtigen Straßen in und um Budapest ab Dienstagvormittag bis mindestens 21 Uhr sperren lassen (hier die Liste), die Grafik dazu sieht eher anch einer Besetzung, denn nach einem Besuch aus. Putin schwebt mit drei Maschinen am Liszt Ferenc Airport ein. Es sind einige Gegen- (Aktionsgruppen, Facebook-Bewegung) und Prodemos (u.a. von Rechtsextremisten, Verschwörungstheoretikern, "Freundschaftsgesellschaften" und anderen pannonischen Pegidaimitaten) vorgesehen, allerdings weit weg von Orbáns hermetisch abgeschirmter Vaterfigur. Wir berichten am Dienstag zeitnah.

red. / cs.sz.

 

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