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(c) Pester Lloyd / 20 - 2015   POLITIK    11.05.2015

 

Symbiose von Macht und Geld: Orbán hätschelt deutsche Wirtschaft in Ungarn

Ungarns Premier Orbán hält viele Reden. Sehr viele. Die meisten davon hangeln sich entlang der schier unzählbaren Erfolge seiner Regierung, der Kämpfe des Ungarntums ums Überleben in der "neuen Weltordnung" sowie der strahlenden Zukunftsperspektiven, die Orbán, im Wissen seiner einzigartigen Kräfte, großzügig entwerfen kann. Die DUIHK bot dem Premier dafür eine Bühne, sie ist ihm zu Dank verpflichtet.


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Warum Ungarn gerne alles anders machen und Deutsche davon manchmal Ausschlag bekommen sowie andere Albernheiten, verbreitete Orbán am vergangenen Donnerstag bei der DUIHK.

Nur selten findet jemand, der praktisch allein die Schicksalsfäden einer ganzen, aber auch über die ganze Welt zertstreuten Nation zusammenhält, der die Last eines epischen Umbruchs allein mit dem aus göttlicher Vorsehung erwachsenen Mute trägt, die Zeit und die Muße, zu reflektieren und sich, im Kreise enger Freunde einmal gehen zu lassen. Die Mitgliederversammlung der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer am vergangenen Donnerstag war ein solcher Freundeskreis. Und Orbán ließ sich gehen...

Nun, einige Vertreter der deutschen Wirtschaftsmacht, jene, die sich vorhalten mussten, "auf Kosten ungarischer Familien Extraprofite aus dem Land zu schleppen", gemeint sind Telekom-, Handels-, Energie- und Finanzsektoren, mögen gerade nicht ganz so zufrieden mit dem Verlauf der vergangenen Jahre sein, doch das sind Einzelfälle, Kollateralschäden. Und nach drei Mal sieben fetten Jahre verträgt man auch mal sieben magere. Die große Masse, vor allem die produzierenden Unternehmen, auch sie schleppen - ganz ökonomisch wertfrei betrachtet - Profite auf Kosten der Einnahmen Anderer aus dem Land, denn genau das ist ja ihre Existenzbestimmung, sind es voll und ganz, denn sie werden gehegt und gehätschelt wie sonst nur Hundewelpen.

Kaum jemand hat die "nationale Revolution" so gut überstanden, so von ihr profitiert, wie die deutschen Unternehmen in Ungarn, vor allem jene "Multis" und ihre Satellitenunternehmen, die über 300.000 (echte) ungarische Arbeitsplätze, den größten Teil des Exportvolumens und einen immer größeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt stellen. Für gesenkte Körperschaftssteuern, fette Subventionen, ein Arbeitsrecht aus dem 19. Jahrhundert, ein gezügeltes Steueramt und das Wissen, immer ein offenes Ohr im Amt des Ministerpräsidenten (oder war das verstopft, direkt bei Mutti) zu haben, zahlten sie einen sehr geringen Preis.

Dieser bestand praktisch nur darin, bei politischen Fragen die Klappe zu halten und ihren Ärger über sprunghafte und / oder verfehlte Gesetzgebung in die Stoffservietten ihrer Festbanketts zu beißen - und ab und an ihren Lobbyisten in Berlin und Brüssel aufzutragen, dem ungarischen Premier den Rücken frei und so das Euro-Bächlein munter am sprudeln zu halten. Als Belege für diese Sonderbeziehungen seien nur genannt: die überteuerten Verkäufe der E.ON-Gastöchter und der MKB an den ungarischen Staat zu Lasten der Steuerzahler, der RTL-Deal, das Einlenken beim Atomdeal mit Moskau inkl. der deutschen Interessen an der Errichtung eines Atommüllagers in Ungarn sowie die von der EU gerade zu prüfenden überhöhten staatlichen Beihilfen für Audi.

 

Nationalistische Töne hin, Grundrechteabbau her, Demokratie Adé: die Patrone des deutschen Dauerwirtschaftwunders konnten gewiss sein, dass ihr Wirken sich Dank des politischen "Capo di tutti i capi" in Budapest praktisch in einer Sonderwirtschaftszone abspielt. Sie sind die wichtigste ökonomische Stütze seiner Macht, er dafür ihr Garant für eine billige Werkbank mitten Europa, die ihnen Möglichkeiten bietet, für die man sonst tausende Kilometer weiter östlich ziehen müsste.

Eine Win-Win-Situation wie aus dem Bilderbuch. Auf Kosten der gesamten ungarischen Bevölkerung und der europäischen Demokratie freilich, aber alles hat eben seinen Preis. Das weiß auch die deutsche Botschafterin in Ungarn und lobt daher die “Haushaltsdisziplin”, ohne 3,6 Millionen Ungarn unter oder an der Armutsgrenze, an denen die deutsche Wirtschaft als Komplize eben auch ihren Anteil hat, auch nur mit einem Wort zu erwähnen.

Die selbstverliebte, in großen Teilen beängstigend wirre Rede, die Orbán am Donnerstag auf der Jahresmitgliederversammlung der DUIHK ablieferte, barg alle Facetten dieser erfolgreichen Symbiose und zwar in einer Weise, die so viel über den Geisteszustand des Großen Vorsitzenden verrät, dass sie als Zeitdokument unbedingt dokumentiert werden sollte, gemeinsam mit den Hofknicksen unserer deutschen Freunde und “Leistungsträger”.

Orbán scheint dabei selbst so stolz auf seinen Gedankendschungel gewesen zu sein, dass er umgehend eine amtliche deutsche Übersetzung anfertigen ließ, um sie auf seiner ministerpräsidentiellen Webseite zu verewigen. Es ist kein Ruhmesblatt, weder für Orbán, noch für die in DUIHK, DWC o.ä. organisierte deutsche Wirtschaft, die ihrem Paten kritiklos applaudiert und ihm den Hof macht und jeder Kontroverse, sei sie für eine Gesellschaft noch so substantiell, im Eigeninteresse aus dem Weg geht. Diese Strategie hat sich bereits mehrfach - auch in der jüngeren Geschichte - böse gerächt.

red. / cs.sz.

"Vortrag von Orbán Viktor an der Mitgliederversammlung der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer
9 May 2015

Budapest, 7. Mai 2015

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen guten Tag! Sehr geehrte Frau Botschafterin! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gastgeber und Kammermitglieder!

Ganz am Anfang hat es so ausgesehen, dass ich Ihnen über viele interessante Dinge berichten werde, das war mein eigentlicher Plan. Der Herr Präsident hat aber gesagt, weniger sei mehr. Und das ist wirklich wahr! Aus diesem Grunde werde ich mich – wenn Sie erlauben – auf einige wenige wichtige Gedanken konzentrieren. Einem Ungarn fällt es im Allgemeinen nicht so leicht, vor Deutschen zu sprechen, und heutzutage fällt es besonders schwer. Im Allgemeinen ist es so, dass die Ungarn bei einer Unterhaltung etwas anderes genießen, als die Deutschen. Für einen Ungarn gelten die Gespräche, die sich ohne Einschränkung rasant entwickeln und eher weniger konkrete Aussagen, dafür aber sehr viel Leidenschaft beinhalten, als wahrhaft spannend, während von solchen Gesprächen ein Deutscher womöglich Ausschläge bekommt, und am Ende eines solchen Gesprächs gar nicht so genau weiß, um was es überhaupt ging. Hier haben wir auf jeden Fall einen kulturellen Unterschied, den wir nicht außer Acht lassen dürfen. Bevor Sie noch auf den Gedanken kommen könnten, dass es sich dabei lediglich um eine intellektuelle Anmerkung handelt, die ohne praktische Konsequenzen bleibt, möchte ich bemerken, dass Sie sich irren. Dieser kulturelle Unterscheid hat sehr wohl eine praktische Konsequenz, sogar eine ausgesprochen positive. Völker, wie wir es sind, sind in der Lage, der Menschheit Erfindungen zu geben, die auf den ersten Blick wenig sinnvoll erscheinen, wie zum Beispiel der Kugelschreiber, der von einem Ungarn erfunden wurde, oder der Computer nach dem Prinzip der Lochkarten, der ebenfalls von einem Ungarn erfunden wurde, wobei eine der unsinnigsten Erfindungen nicht zu vergessen ist, bei der man durch den Kaffee heißen Dampf leitet, wobei es sich natürlich um die Espressomaschine handelt. Einem Ungarn können in der Tat solche Ideen in den Sinn kommen. Andererseits ergeben sich aus diesem kulturellen Unterschied auch Nachteile, da, so wie es aussieht, die Deutschen schon immer den berechenbaren Weg, und nicht die vom Gewohnten abweichenden Lösungen bevorzugt haben. Wenn ich aber das Bild über die Ungarn, das sich bis dato auf der europäischen Bühne entwickelt hat betrachte, kann dies in einem Satz wie dem Folgenden zusammengefasst werden: die Ungarn machen alles anders, als die Andere. Ein Volk, wie das Deutsche, das gewohnt ist, ordentlich, diszipliniert und wohlüberlegt vorzugehen, wird dies sicherlich schwerlich verstehen. Was für einen Sinn sollte es überhaupt haben, alles anders zu machen, als die Anderen?

So, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Den Ungarn gefällt es sicherlich, alles anders zu machen, als die Anderen, aber darüber hinaus zwingt uns die Zeit, in der wir leben, auch immer neue Wege zu suchen, da es in der Finanzkrise im Jahr 2008 genau darum ging, dass diese neue Epoche nicht mehr mit den alten Methoden reguliert werden kann, und wir mit alten Methoden in einer neuen Zeit nicht erfolgreich sein können. Aus diesem Grund könnte die gewohnte Annäherungsweise der Ungarn: „wir machen alles anders” in diesem historischen Augenblick sogar möglicherweise noch einige Vorteile bergen. Dieses Dilemma, das ich Ihnen kurz beschrieben habe, wird gut durch die Zweifel in Brüssel wiedergegeben, indem nicht wirklich entschieden werden kann, wie man Ungarn jetzt eigentlich betrachten soll: als schwarzes Schaf oder als Erfolgsgeschichte. Wenn man die Zahlen betrachtet, dann wird natürlich schnell klar, dass man hier über eine Erfolgsgeschichte sprechen kann, gleichgültig ob wir dabei die Zahlen des Budgets, der Staatsverschuldung, des Wirtschaftswachstums oder des Rückgangs der Arbeitslosigkeit ansehen, egal welche Zahl man sich hierfür aussucht, die Leistung liegt in jedem Gebiet über dem europäischen Durchschnitt. Dennoch gibt die Methodik, mit der wir diese Ergebnisse erzielt haben, Grund zu zahlreichen Einwänden. Eine Sache wird jedoch von niemandem bestritten, insbesondere nicht von den Deutschen, die uns dies sogar gutschreiben: nämlich die Tatsache, dass wir unseren Erfolg wenigstens nicht von deutschem Geld erzielen. Es gibt dabei viele, die sich die europäische Zukunft so vorstellen, dass man sich aus den entstandenen wirtschaftlichen, makrowirtschaftlichen Problemen irgendwie von Geld aus Deutschland heraus manövrieren wird. Hierfür wurden bereits sehr erfinderische Lösungen, mit sensationellem linguistischem Erfindungsgeist gefunden – dazu zählen die Ausdrücke, wie Vergemeinschaftung und andere ähnliche, schwerverständliche Ausdrücke –, bei denen am Ende des Tages immer ein wesentlicher Punkt steht, nämlich, das man Geld aus Deutschland in die gemeinsame Verantwortungsübernahme mit einbeziehen möchte. Wir Ungarn denken darüber jedoch anders. Der Satz der Frau Botschafterin, in dem sie zum Ausdruck gebracht hat, dass Ungarn sich einem disziplinierten Haushalt verschrieben hat, weist nicht nur darauf hin, dass wir uns tatsächlich zu einer solchen Vorgehensweise verpflichtet haben, da wir an den Satz von Kanzlerin Merkel glauben, nämlich, dass man früher oder später für jeden ausgegebenen Forint arbeiten muss, sondern auch, weil wir nicht von dem Geld anderer leben möchten. Falls wir nämlich von dem Geld anderer leben würden, und von anderen erwarten würden, uns aus der Misere zu helfen, dann würde das früher oder später zum Verlust unserer Würde und zum Dahinschwinden des Respekts uns selbst gegenüber und irgendwann, früher oder später, zur Unterwerfung führen. Und Unterwerfung ertragen wir Ungarn sehr schlecht.

Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss ich zusammenfassend sagen, dass wir in einer Zeit leben, in der es uns nicht leicht fällt, einander zu verstehen, und falls wir die Themenwahl unserer Gespräche abkürzen, und insbesondere auf faktische Wirtschaftsereignisse und Wirtschaftsergebnisse konzentrieren, die Umrisse eines positiven Bildes zu sehen bekommen. Im Großen und Ganzen wird das Bild dem entsprechen, das man aus der ausreichend dezenten Aufstellung der Kammer – die Sie möglicherweise alle kennen – entnehmen kann. Die Fundiertheit dieser Auswertung wird dadurch sehr gut veranschaulicht, dass in der gestrigen Regierungssitzung das Budget des kommenden Jahres, das vom ungarischen Parlament am 1. Juli verabschiedet werden soll, von der Regierung genehmigt wurde. Falls es also Kalkulierbarkeit, Prognostizierbarkeit und Planbarkeit gibt, dann werden diese im Jahr 2016 Teil unseres Lebens werden, da das Budget des kommenden Jahres bereits zum 1. Juli 2015 bekannt gegeben werden soll.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Kammer bedanken, da sie sehr viel dafür getan hat, dass sich die ungarisch-deutsche wirtschaftliche Zusammenarbeit auch auf Gebieten außerhalb der Wirtschaft gut entwickeln konnte. Dem Satz aus der Satzung der Kammer, gemäß dem sie die Pflege von Wirtschaftsbeziehungen in beiden Richtungen fördern möchte, wurde in den letzten Jahren restlos genüge getan. Zu dieser Arbeit möchte ich Ihnen gratulieren, und mich auch im Namen der ungarischen Regierung beim Herrn Präsidenten bedanken. Selbstverständlich können wir an dieser Stelle nicht ohne Zahlen auskommen und selbst wenn Sie diese Zahlen ausnahmslos gut kennen, muss ich diese Zahlen hier anführen. In Ungarn sind 6.000 Firmen mit vollständiger oder teilweiser deutscher Gründungsbeteiligung tätig. Diese Firmen geben mehr als 300.000 Menschen Arbeit – was mit der Kalkulationstechnik des ungarischen Familienmodells, das Brot für eine Million-zweihunderttausend Menschen bedeutet. So viele Ungarn leben von dem Geld, dass an Arbeitsplätzen verdient wird, die von Deutschen gegründet wurden. Die Beteiligung Deutschlands am ungarischen Export lag im Jahr 2014 bei über 27 %, was bedeutet, dass mehr als 27 % aller ungarischen Exporte nach Deutschland ausgeführt wurden, und mehr als 25 % des in Ungarn eingeführten Imports stammt aus Deutschland. Insgesamt betrachtet, betrug die Beteiligung Deutschlands am gesamten ungarischen Außenhandelsumsatz mehr als 26 %. Diese sind in der Tat fantastisch gute Zahlen, die auch gleichzeitig von einer starken Symbiose zeugen. Wenn wir die Dynamik dieser Daten betrachten, sehen wir, dass die ungarischen Exporte nach Deutschland im letzten Jahr um 10,5 % zugenommen haben, und sich damit bereits auf 23 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Der Import wuchs ebenfalls, und zwar um 5,7 % und erreichte damit 19,7 Milliarden Euro, das heißt, fast die Marke von 20 Milliarden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Aufgrund dieser Zahlen kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das im letzten Jahr in Ungarn erzielte Wirtschaftswachstum von 3,5 % ohne die maßgebliche Beteiligung der hier tätigen deutschen Firmen nicht möglich gewesen wäre. Aus diesem Grund möchte ich mich im Namen der ungarischen Regierung bei Ihnen bedanken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Erlauben Sie mir bitte, nach diesen Punkten einige Worte zur Lage Ungarns und Deutschlands im Europäischen Kontext zu sagen. Wenn man die über Europa und darin insbesondere über Deutschland geführten internationalen Diskussionen und Studien verfolgt, stößt man auf sehr differenzierte und äußerst kontroverse Meinungen. Ich meinerseits teile die Annäherung, die den schmerzhaften Fakt nicht leugnet, dass der Anteil Europas am Welthandel und an der Gesamtproduktion der Welt von Jahr zu Jahr ständig abnimmt. Es lohnt sich daher, sich nicht in Trugbildern zu wähnen, wir müssen uns klar machen, dass die europäische Wettbewerbsfähigkeit in Anbetracht der aktuell größten Prozesse der Weltwirtschaft kontinuierlich abnimmt. Ich teile zwar nicht die Meinung derer, die dies mit panischem Pessimismus verfolgen, und dabei denken, dass dies unweigerlich so sein muss. Eine große Anzahl von Büchern wurden veröffentlicht, in denen die Meinung vertreten wird, dass man gar nicht erst erklären soll, warum wir derzeit weniger wettbewerbsfähig als in früheren Zeiten sind, sondern eher die zwei oder drei Jahrhunderte als Ausnahme betrachten sollte, in denen wir es trotz unserer demographischen und anderweitigen Gegebenheiten geschafft haben, in der Weltgeschichte und Weltwirtschaft eine dominante Rolle zu spielen. Ich teile diese Betrachtungsweise nicht, und würde es eher in der Weise formulieren, dass eine Krise, die uns zweifelsohne erschüttert hat – ich meine dabei die Finanzkrise im Jahr 2008 – auf zwei verschiedene Arten und Weisen aufgefasst werden kann. Man kann diese als Plage Gottes, aber auch als eine Möglichkeit betrachten. Meiner Überzeugung nach konnten wir auf europäischer Ebene die durch die Krise geschaffenen Möglichkeiten in den letzten Jahren aus dem Grund nicht nutzen, da wir dazu neigen, eine Krise eher als eine Plage, als eine sich bietende Gelegenheit zu betrachten. Wer aber die Krise als Plage ansieht, wird darüber nachdenken, wie man sie beseitigen könnte, und irgendwie wieder zu der Welt zurückkehren könnte und die Welt wiederherstellen könnte, die es vor der Krise gegeben hat. Wer jedoch in der Krise eher eine Möglichkeit sieht, wird danach forschen, was man anders machen sollte, bzw. was man jetzt anders machen könnte, was uns besser, als vor der Krise machen würde. Meine sehr geehrten Damen und Herren, während Ungarn nach 2010 um sein Überleben gekämpft hat, haben wir neben dem Krisenmanagement auch nie diese andere Betrachtungsweise aus den Augen gelassen, womit wir auch eine Chance und Möglichkeit in dieser Krise sehen. Ich bin davon überzeugt, dass wir genau dies auch auf europäischer Ebene tun sollten.

Gleichzeitig ist es offensichtlich, wenn wir genau hinsehen, ab wann Europa und wiederum darin Deutschland die führende wirtschaftliche Kraft der Welt werden konnte, dann werden wir feststellen, dass dies im allgemeinen in den Epochen im Rahmen der industriellen Revolutionen der Fall sein konnte. Die zweite Welle der industriellen Revolution hat uns Ungarn ebenfalls auf ein Niveau geholfen, an das wir uns bis zum heutigen Tag mit gebührendem Stolz zurück erinnern. Nach dem II. Weltkrieg jedoch verschwand aus Europa das zu industriellen Revolutionen erforderliche Kapital, Talent und Innovation. Das Schicksal von Europa wurde nicht mehr von den Europäern selbst entschieden, sondern rechts von uns von den Russen und links von uns von den Amerikanern, als dessen Folge die dritte industrielle Revolution, wie diese im Fachjargon genannt wird, nicht mehr von Europa aus in Gang gesetzt wurde, sondern von der anderen Seite des Ozeans seinen Anfang nahm, und dann bei uns eintraf. Ich bin davon überzeugt, dass, falls Europa nicht in der Lage sein wird, eine bedeutende Erneuerung, eine industrielle Innovation, ähnlich zu den früheren industriellen Revolutionen zu realisieren, dann wird es nicht in der Lage sein, das Blatt der Initiative erneut in die eigene Hand zu nehmen, und wird, von der Gesamtheit der Weltwirtschaft aus betrachtet, eine untergeordnete Rolle in den vor uns liegenden Jahrzehnten zugewiesen bekommen. Was diese neue industrielle Revolution sein könnte, und welche Inhalte diese haben könnte, kann von der Politik selbstverständlich nicht definiert werden, da den Regierungen dieses Wissen nicht zur Verfügung steht. Das Wissen, dass in der Lage ist, zu verstehen, was hier vor unseren Augen immer mehr Umrisse annimmt, welche neue Bedürfnisse entstanden sind, und welche technologische Entwicklung geleistet wurde, die sich dazu eignet, das gesamte Vertikum der Industrie zu erneuern, ist in der Wirtschaft vorhanden. Daher sollten in der Wirtschaft diese Inhalte definiert, und anschließend in die Programme der Regierungspolitik miteinbezogen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ohne den Inhalt einer künftigen europäischen industriellen Revolution definieren zu wollen, in welcher Hinsicht, ich – wie bereits gesagt – mich als nicht zuständig ansehe, kann ich Ihnen jedoch zwei Aspekte nennen, die zu einem derartigen Umbruch erforderlich sind, und in welchen die Regierungen eine Rolle spielen. Es ist schwer vorstellbar, dass eine initiative europäische Wirtschaft entstehen soll, wenn diese Wirtschaft eine doppelt, in manchen Fällen sogar dreifach so teure Energie verbraucht, wie die Vereinigten Staaten, die den größten technischen Rivalen darstellt. Wenn wir diesen Unterschied nicht aus der Welt schaffen können, wenn in Europa die Industrie nicht in die Lage versetzt wird, zu gleichem Preis oder sogar horribile dictu: günstiger als in den Vereinigten Staaten an Energie zu kommen, werden wir nicht wettbewerbsfähig bleiben können, und ich gehe sogar einen Schritt weiter; die europäischen Industriekapazitäten werden ebenfalls in die Vereinigten Staaten abwandern, wobei Zeichen hierfür bereits wahrzunehmen sind. Deshalb ist es so wichtig, unseren Politikern auf europäischer Ebene verständlich zu machen, – und in dieser Hinsicht stehen wir nicht besonders gut da, meine sehr geehrten Damen und Herren –, dass zwar viele wichtige Aspekte bei der Planung des Energiesystems der Zukunft vorhanden sein mögen, dennoch die Frage des Preises an die erste Stelle gesetzt werden sollte, da wir ansonsten im Vergleich zu unseren wichtigsten Mitbewerbern nicht wettbewerbsfähig sein können. Aus diesem Blickwinkel aus betrachtet, wird erst verständlich, – darüber hinaus sogar, dass die Ungarn alles anders, als Andere machen –, dass, während in Europa gerade an vielen Orten die Kernkraftwerke eingemottet werden, wir hier im Bereich Kernenergie Entwicklungen tätigen, da wir in Anbetracht der ungarischen Gegebenheiten auf diese Weise für die in Ungarn angesiedelte Industrie für günstigste Energie sorgen können. Und es gibt noch eine Sache, in der ich ganz sicher bin. Neben der günstigen Energie wird für die neue industrielle Revolution, für die Veränderung, die von Europa aus ausgehen sollte, noch eine Bedingung geben, nämlich die verfügbaren und qualifizierten Arbeitskräfte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Darüber hat die Frau Botschafterin mit einer nahezu mathematischen Präzision bereits vor mir gesprochen. In der Tat müssen wir alle unsere Kräfte dafür konzentriert einsetzen, dass die ungarischen Jugendlichen unsere Schulen mit einer solchen fachlichen Ausbildung in ihren Händen und Köpfen verlassen, die ihnen einerseits eine Existenz und andererseits für die in Ungarn tätigen oder ungarische Industrie ein Entwicklungspotential darstellt. Die Regierung ist deshalb ein hohes Risiko eingegangen, als sie vor einem Jahr die Entscheidung getroffen hat, im Interesse der Einführung der dualen Bildung erstmalig seit Bestehen der modernen ungarischen Regierungen – was im Falle einer Tradition von rund 150 Jahren gar keine leichte Sache ist – anstelle eines einheitlichen Bildungssystems ein zweigleisiges Bildungssystem einzuführen, und die Leitung, die Aufsicht und die Definitionen der Inhalte an das Wirtschaftsministerium gemeinsam mit den in Ungarn tätigen ausländischen und ungarischen Industrie- und Handelskammern zu verlagern. Dabei handelt es sich um ein hohes Risiko. Damit haben wir einen bekannten Weg für einen unbekannten Weg verlassen, waren aber davon überzeugt, dass der bekannte Weg im Falle der Fachausbildung nicht zum gesteckten Ziel führen wird. Da dieser Bereich in unsere Verantwortung fällt, deren größter Teil bei uns anzusiedeln ist – wobei man hier von nun an über eine gemeinsame Verantwortlichkeit sprechen kann, und zwar von der gemeinsamen Verantwortung der ungarischen Geschäftssphäre, der Kammer und der ungarischen Regierung – hoffe ich sehr, dass die Zeit diese Entscheidung schlussendlich bestätigen wird, und wir alle damit erfolgreich werden, wenn man die Frage stellen wird, wo in Europa gut qualifizierte, disziplinierte und die moderne Technik anzuwendenden Arbeitskräfte in größter Anzahl zur Verfügung stehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Bitte erlauben Sie mir zum Schluss, die Wirtschaftspolitik, die wir im nächsten Jahr fortsetzen werden, und die in dem gestern von der Regierung verabschiedeten und dem ungarischen Parlament vorgelegten Budget Form erhält, kurz zusammenzufassen. Ich werde bereits bekannte Themen ansprechen, aber ich werde diese Punkte wiederholen, da ich immer wieder von einer Ansicht höre, wir seien nicht genug berechenbar. Ich möchte dabei klar machen, dass wir in wirklich wichtigen Punkten sehr wohl kalkulierbar sind, da es dabei um Grundpfeiler geht, auf die wir das gesamte Gebäude der ungarischen Wirtschaft aufgebaut haben, und diese auch in nächster Zeiten nicht verändern werden.

Der erste dieser Grundpfeiler bedeutet weiterhin, dass wir die Menschen nicht besteuern möchten, wenn sie das Geld verdienen, sondern, wenn sie es ausgeben. Aus diesem Grunde möchten wir kein Steuersystem, das zwar ungewollt, aber den Menschen dennoch signalisieren würde, dass es sich nicht lohnen würde, mehr zu arbeiten und mehr zu verdienen.

Ferner wird auch der Grundpfeiler unserer Wirtschaftspolitik erhalten bleiben, dass wir die Familien nicht dafür bestrafen, wenn sie erfolgreich sind. Die Erbschaftssteuer wird daher in Ungarn unter Angehörigen der direkten Abstammungslinie weiterhin außer Kraft gesetzt. Nach 40 Jahren Kommunismus bestand die Möglichkeit für die Familien nicht, Kapital anzusammeln, weshalb es wichtig ist, dass unternehmerisch handelnde und erfolgreiche Familien der nächsten Generation weitergeben können, was sie erarbeitet haben.

Auch der Grundpfeiler unser Wirtschaftspolitik bleibt bestehen, demnach wir nur denjenigen Sozialhilfe gewähren, die wegen ihres physischen oder geistigen Zustandes nicht in der Lage sind, einer Arbeit nachzugehen. Allen anderen aber geben wir Arbeit. Bis zum Jahr 2018 möchten wir in Ungarn die Vollbeschäftigung erreichen. Es gibt bereits große Industrieregionen: in Szombathely, Székesfehérvár, Győr und Tatabánya, wo dies bereits der Fall ist. In diesen Städten liegt die Arbeitslosigkeit bereits bei 3 % oder sogar darunter, was im Wesentlichen bereits einer Vollbeschäftigung entspricht. Da wir für Arbeitskräfte, die keine Anstellung in der Industrie finden, öffentliche Arbeitseinsätze organisieren, wird der für öffentliche Arbeit verwendete Betrag an die Zahl der arbeitslosen Menschen fortlaufend angepasst und sichergestellt. Aus diesem Grund dürfte bis zum Jahr 2018 in Ungarn theoretisch kein einziger Mensch leben, der physisch und geistig unversehrt, arbeitsfähig und arbeitswillig ist, und dennoch keine Möglichkeit zur Arbeit findet. Dies schafft gleichzeitig auch die moralische Grundlage dafür, den Menschen, die Sozialhilfe beantragen, sagen zu können, dass wir Ihnen keine Sozialhilfe, sondern Arbeit geben werden.

Der vierte Grundpfeiler unserer Wirtschaftspolitik bleibt ebenfalls erhalten. Dieser lautet wie folgt: Helfe den Unternehmungen und den Unternehmern, damit diese den Menschen helfen können, und aus diesem Grunde werden wir die Körperschaftssteuer von kleinen und mittleren Unternehmungen weiterhin bei 10 % beibehalten, und nicht erhöhen.

Dass wir das duale Fachausbildungssystem eingeführt haben, habe ich bereits erwähnt.

Wir senken die Staatsverschuldung. Hierfür besteht auch eine verfassungsmäßige Verpflichtung, während wird das Haushaltsdefizit niedrig halten. Das ist ja die Problematik im Zusammenhang mit dem deutschen Geld, wenn ein Land seinen Haushalt über 3 % realisiert, wird dieses Land früher oder später gezwungen sein, von dem Geld eines anderen zu leben. Unser Haushalt soll meinen Absichten nach im kommenden Jahr auf einem Level von minus 2 bis 2,4 % liegen. Es gab sogar ein Moment – das war ein engagierter Moment –, als ich sogar daran gedacht habe, einen Haushalt mit einem Defizit von 0 % zu verabschieden, wie dies bereits in Deutschland erfolgreich erreicht wurde. Wir haben die diesbezüglichen Konsequenzen kalkuliert, und diese haben sich als gesellschaftlich dermaßen drastisch erwiesen, dass sie im Rahmen eines einzigen Schrittes nicht zu verantworten gewesen wären. Aus diesem Grunde dürfen wir lediglich fortlaufend und sukzessive in diese Richtung weitergehen, aber wir werden uns auf jeden Fall in diese Richtung bewegen.

Auch die Sondersteuer, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollen erhalten bleiben. Diese werden zwar aus Sicht der deutschen Unternehmungen für schädlich gehalten, aber das System der Sondersteuern muss im Haushalt gehalten werden, damit wir den verpflichtungsmäßigen Defizit- und Staatsverschuldungslevel halten können.

Wir werden auch unser Kinderförderungssystem beibehalten, und werden einen fortlaufend steigenden Anteil der Familiensubventionen an die Arbeit knüpfen. Es werden immer mehr Familienleistungen bereitgestellt, die denjenigen zugänglich gemacht werden sollen, die neben der Kindererziehung auch einer Arbeit nachgehen möchten.

Ein Teil dieser Maßnahmen hängt damit zusammen, dass ab dem 1. September diesen Jahres allen Kindern über drei Jahren ein Kindergartenplatz und Kinderbildung bereitgestellt werden. Dies wird verbindlich sein, wobei die Eltern davon eine Befreiung bei dem Notar ihrer Gemeinde beantragen und erhalten können, jedoch als Hauptregel wird die Bildung und die Maßnahmen zum sozialen Anschluss in Ungarn ab dem dritten Lebensjahr beginnen. Wir werden hierzu alle erforderlichen Kindergärten aufbauen, damit jedes ungarische Kind ab seinem dritten Lebensjahr eine Kindergartenbildung erhält, wofür im Haushalt auch die erforderlichen Mittel bereits abgegrenzt wurden.

Ferner, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird uns auch der zehnte Punkt unseres Aktionsplanes zum Schutz von Arbeitsplätzen erhalten bleiben. Dieser soll den Ungarn eine Hilfe sein, die zu einer risikobehafteten Gruppe gehören. Bei der Einstellung dieser Menschen werden die Firmen für diese Mitarbeiter bedeutend weniger Beiträge, als die allgemeine Beitragshöhe zu bezahlen haben. Die allgemeine Beitragshöhe beträgt derzeit 27 %, die Unternehmen aber, die eine alleinerziehende Mutter, einen Jugendlichen unter 25 Jahren oder eine Person über 55 Jahren oder einen dauerhaft arbeitslosen Menschen beschäftigen, bezahlen lediglich 12,5 %. Diese Maßnahme betrifft den Arbeitsplatz von 900.000 Menschen in Ungarn, und gilt als bewährtes Instrument, weshalb es auch in den Staatshaushalten der kommenden Jahre erhalten bleibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies nennen wir eine arbeitsbasierte Wirtschaft, und eine arbeitsbasierte Gesellschaft. Ich behaupte gar nicht, dass sämtliche Elemente dieser Wirtschaftspolitik für alle in Ungarn tätigen deutschen Unternehmen günstig wären, aber was ich behaupte, ist, dass das durch diese Entscheidungen herbeigeführte Wirtschaftsumfeld insgesamt betrachtet den ausländischen, darunter auch den deutschen Investoren profitabel ist, und da es sich bei diesen um langfristige Elemente der Wirtschaftspolitik handelt, werden diese für ausländische und auch deutsche Investoren dauerhafte und kalkulierbare Elemente der ungarischen Wirtschaftspolitik darstellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

 

Ich möchte meine Rede kurz mit dem Hinweis bewendet lassen, dass sich vor unseren Augen allmählich die Umrisse einer spannenden Welt abzeichnen. Wir haben guten Grund dafür zu hoffen, dass es Europa schaffen wird, sein Zurückbleiben im Wettbewerb der Weltwirtschaft zu stoppen. Wir haben guten Grund den Prozess mit Spannung zu verfolgen, der aus den G8 langsam eine G2 macht. Wir haben guten Grund, den Prozess mit Spannung zu verfolgen, der auf dem Energiemarkt im Zusammenhang mit dem Ölpreis entsteht, mit all den geopolitischen Veränderungen, und auch in Hinblick auf das Mächtegleichgewicht im Mittleren Osten und auf die Zukunft des Iran. Wir haben guten Grund, die Prozesse mit Spannung zu verfolgen, die technologische Entwicklungen und Entwicklungsabläufe zur Folge haben und die im Bereich der traditionellen Industrie die augenblicklichen und radikalen Änderungen von gesamten Produktionsabläufen auslösen. Und schließlich haben wir guten Grund mit Spannung zu verfolgen, welche Länder erfolgreich sein werden, sich diesen Prozessen und an diese sich veränderte Welt anzupassen, und welche Länder dabei erfolglos bleiben werden.

Ich wünsche uns allen, dass wenn wir uns in einem, zwei oder drei Jahren, horribile dictu, sogar in vier Jahren wieder sehen das Gefühl haben können, das sowohl die deutschen Unternehmen in Ungarn, als auch die Ungarn selbst zu den Ländern und Unternehmungen gehören, in denen man diese spannenden Zeiten überlebt hat, und sogar die darin verborgenen Potentiale genutzt hat.

Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!

Amt des Ministerpräsidenten

Text_Quelle
Bild-Quelle: DUIHK/Pelsőczy
www.ahkungarn.hu
 

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