Hauptmenü

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

 

andrassy2015neu2

 

(c) Pester Lloyd / 25 - 2015   POLITIK     15.06.2015

 

Lázárs Offenbarungen: Der "Kanzler" über Orbáns Masterplan, ein Land im Alarmzustand und die Vorzüge "weißer Ungarn"

Seltene Eingeständnisse des Scheiterns, freilich vermischt mit der ganz eigenen Arroganz der Macht, lassen Kommentatoren einen kürzlichen Auftritt János Lázárs mit der berühmten "Lügenrede" von Ex-Premier Gyurcsány vergleichen, bei der jener zugab, über Jahre die Wähler bewußt und gezielt belogen zu haben. Der Unterschied: Die Eingeständnisse von Orbáns Chefzyniker werden keine politischen Konsequenzen haben.

25lazar (Andere)


Am Wochenende sorgte ein Artikel über eine Rede von Orbáns rechter Hand, Kanzleramtsminister Lázár, für Aufsehen. Gehalten hatte er sie schon vor einigen Tagen beim Pannonischen Architekturforum in Szekszárd. Aufgezeichnet wurden sie - under cover - von einem Teilnehmer.

 

Lázár plauderte danach vor den versammelten Architekten und Baufachleuten, vom eigentlichen Thema eines neuen Baurechts abschweifend, über einen Master-Plan Orbáns. Danach hatte der Premier noch vor 2 Jahren auf einen wirtschaftlichen und politischen Niedergang des Westens spekuliert, der ein "neu organisiertes Ungarn" beim Lebensstandard "am Westen vorbei katapultiert".

Heute muss man feststellen, dass "dies nicht geklappt hat", so Lázár, ohne auf den offensichtlichen Realitätsverlust in der Orbánschen Zielvorgabe einzugehen. Dann kommt Unerhörtes von obersten Schönredner Orbáns: "Der Staat ist im Ausnahmezustand", die Schweirigkeiten seien enorm, das Steuersystem sei außer Kontrolle, sinnlose Überregulierung sei an der Tagesordnung, nicht einmal in der Regierung könnten alle gut zusammenarbeiten, es gibt für jede Sache eine eigene Regierungsbehörde, die sich überall einmischt und etliche unterschiedliche IT-Systeme. (Seine Schlussfolgerung daraus ist freilich: mehr Machtkonzentration in seiner Hand).

Und im Ergebnis dessen, sei man "nicht mal in der Lage, die jungen Menschen im Lande" zu halten. Die Jungen gingen "nicht nur aus Abenteuerlust, sondern, um ihren Lebensunterhalt zu sichern."

Lázár gestand, laut den Aufzeichnungen des Teilnehmers (Mitschnitte waren bei der Veranstaltung ausdrücklich verboten worden, der Autor hat aber einen) - indirekt - ein, dass hinter der "Reform" des Sekundarschulzweiges (u.a. Abschaffung von 50% der Gymnasien, Reduzierung des Fremdsprachenangebotes) das Kalkül stand, dass junge Leute mit schlechten Fremdsprachenkenntnissen und einem Mangel an wettbewerbsfähigen Fertigkeiten kaum in Westeuropa Arbeit finden werden, also in Ungarn bleiben müssten.

Das Mittel- und Berufsschulsystem in Ungarn sei - wenn auch schlechter als vor 20 Jahren - hingegen konkurrenzfähig und mache Ungarn europaweit zu gefragten Arbeitskräften. Dabei nutze diesen auch die latente Fremdenfeindlichkeit, die es überall gebe. So erhalte ein "weißer Ungar" (lies: kein Zigeuner), der sich in Spanien anstellen lässt, automatisch 100 oder 200 Euro mehr als ein rumänischer Staatsbürger. Diesen Unterschied mache automatisch der Pass. (Lázár wörtlich: "Sie nehmen einen weißen Ungarn lieber als jeden anderen."') So sei Westeuropa zwar finanziell attraktiver als Arbeitsplatz, das Leben in Ungarn sei aber schöner. Daher hofft die Regierung nun darauf, wenn sie schon keine gescheiten Arbeitsplätze schaffen könne, dass die Jungen im Ausland Geld sparen und es dann in die Heimat mitbringen.

Lázár forderte einen regelrechten Kulturkampf gegen die "Kultur der letzten 30-40 Jahre", es brauche noch "viel tiefgehendere" Änderungen, um "Verbesserungen zu erreichen" und gestand ein, dass man es "nach fünf Jahren Regierung" versäumt habe, die Menschen mitzunehmen und Entscheidungen an den verschiedenen Interessensgruppen vorbei geführt habe. Zusammengefasst: In Budapest entscheidet eine kleine Gruppe irgend etwas, im Lande geschieht: nichts, diesen “Eindruck” könnte mancher haben, so Lázár. Eine Einschätzung, die sich besonders krass von den sonstigen faktenbefreiten Lobhudeleien der Regierung - vor allem im Wirtschaftsbereich - abhebt, natürlich ohne den eigenen Machtstatus in Frage zu stellen.

Zurück im "richtigen Leben": Heute wurde bekannt, dass Lázár versucht hat, eine Gesetzesänderung herbeizuführen, die die Leitung des Zoll- und Finanzamtes NAV unter seine Aufsicht (derzeit beim Finanzminister) stellt. Der parlamentarische Legislativ-Ausschuss, unter Leitung seines Parteifreundes Gulyás, lehnte dies mit Hinweis auf die Verfassung ab. Der Schritt zeugt von äußerster Nervosität und internen Machtkämpfen und kann mit Orbán nicht abgesprochen gewesen sein, denn diesem hätte ein Lichtlein wie Gulyás niemals widersprochen.

 

Lázár ist nicht nur die politisch mächtigste Figur hinter Orbán und dessen Chefzyniker, er kann auch als eine Drehscheibe der Orbánschen Kleptokratie gelten, der jedoch nicht nur für seinen Meister, sondern auch auf eigene Rechnung arbeitet, sich dabei aber von Zeit zu Zeit vergaloppiert. So scheint es, dass die, selbst bis über den Hals in Korruptionsvorwürfen watende NAV-Chefin Vida, die als letzte Statthalterin des in Ungnade gefallenen Oligarchen Simicska gilt, einiges Wissen über Finanzflüsse in den höchsten Fidesz-Kreisen vorrätig hält, um sich zu schützen, was auch erklärt, warum Wirtschafts- und Finanzminister Varga krampfhaft an ihr festhält, dabei Steuerausfälle in Milliradenhöhe in Kauf nehmend.. Lázár hat nun offenbar (und nicht zum ersten Male) kurzzeitig die Nerven verloren, um die Sache zu bereinigen.

"Best of" Lázár:

Aufbegehren gegen den Machtrausch: János Lázár, das Antlitz des "neuen Ungarn"
http://www.pesterlloyd.net/html/1424montagsdemo.html

Orbáns Amtsleiter bedauert Fehlen der Todesstrafe in Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/html/1414lazartodesstrafe.html

Wohnung auf dem Schwabenberg: Orbáns Kanzleramtsminister benutzt 10jährigen Sohn als Strohmännchen
http://www.pesterlloyd.net/html/1449lazarssohnwohnung.html

Kampagne gegen NGO´s in Ungarn: Orbáns Kanzler will "schwarze Schafe eliminieren"
http://www.pesterlloyd.net/html/1507lazarngos.html

Agent Doppelnull: Orbáns Skandal-Amtschef Lázár wird Aufseher über die Geheimdienste
http://www.pesterlloyd.net/html/1423agentdoppelnull.html

Orbáns Amtsschef Lázár auf "geheimer Mission" in ausländischen Luxushotels unterwegs
http://www.pesterlloyd.net/html/1422lazarreise2mio.html

Junker János: Orbáns Amtschef "organisiert" Familienbetrieb 1.300 Hektar Staatsland
http://www.pesterlloyd.net/html/1403lazarlandbaron.html

Fürstliches Vergnügen: Orbáns Amtschef Lázár bucht Fasanenjagd für 70.000 EUR
http://www.pesterlloyd.net/html/1421fazanenlazar.html

Die Origo-Affäre oder Business as usual: Ungarische / Deutsche Telekom beugt sich politischem Druck von Orbáns Amtschef
http://www.pesterlloyd.net/html/1423affaereorigo.html

"Luxemburg ist doch nicht off-shore": Aktuelles aus Orbánistan
http://www.pesterlloyd.net/html/1449korruptionderwoche.html

red.
 



Unabhängiger Journalismus braucht
die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!
18watchingYoupl (Andere)
Unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD!

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

Unterstützen Sie den Pester Lloyd!