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(c) Pester Lloyd / 26 - 2015   WIRTSCHAFT     25.06.2015

 

Moderne Sklaverei: In Ungarn kann man bald Leibeigene beim Bürgermeister mieten

Die Gesetzesnovelle klingt zunächst harmlos: Die Kommunalen Beschäftigungsprogramme sollen auch auf privatwirtschaftliche Saisonarbeit ausgeweitet, also flexibler gemacht werden. Doch damit wird Bürgermeistern die Macht gegeben, die bis zu 250.000 "Közmunkás" nach Belieben an Privatfirmen zu "verleihen", - für weniger als 2 Euro am Tag und frei von irgendwelchen Rechten. Orbáns "Arbeitsgesellschaft" zeigt ihr wahres Gesicht.

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Mit der Modifizierung reagiert die Regierung auf Beschwerden vor allem aus der Land- und Bauwirtschaft, die wegen des "großen Erfolges" der Kommunalen Beschäftigungsprogramme kaum noch Saisonarbeiter für Feld- und Bauhilfsarbeiten finden. Die in den staatlichen Billigsarbeitsprogrammen steckenden Menschen können nämlich keine saisonalen Jobs annehmen, da sie dafür aus der Közmunka aussteigen müssten und damit eine dreijährige Sperre sämtlicher Sozialleistungen risikieren. Werden sie im Winter vom privaten Arbeitgeber dann entlassen, stünden sie mit leeren Händen und in kalten Wohnungen da. Daher forderten viele Unternehmen, den Menschen wenigstens für die Sommermonate freie Hand bei der Arbeitswahl zu lassen. Doch der Gesetzgeber interpretierte das Ansinnen anders:

Nun sollen sie, so sieht es die vorliegende Gesetzesänderung vor, nicht auf eigenes Verlangen, sondern auf Anforderung "kleinerer und mittlerer Betriebe" Saisonarbeiten nicht nur annehmen dürfen, sondern, wenn der verantwortliche Ortsvorsteher, also der Dienstgeber der Kommunalbeschäftigten es anweist, annehmen müssen, andernfalls würden sie für drei Monate vom staatlichen Programm und damit von Geldzahlungen ausgeschlossen. Sollten sie die Saisonarbeit - aus welchen Gründen immer - kündigen oder der Vertrag in "gegenseitigem Einverständnis" aufgehoben werden, droht ihnen das gleiche.

Welchem Unternehmen sie für wie lange und zu welchen Konditionen zugeteilt werden, liegt im Ermessen der Kommune als verlängerter Arm des Innenministers. Widerspruchsrechte gibt es keine. Qualifikation, Wohnort, familiäre Lebenssituationen spielen keine Rolle. Der "Lohn" wird der gleiche sein wie im staatlichen Programm, also maximal 79.100 Forint brutto, nach Abzügen (auch dieser Lohn unterliegt der "Flat tax" und Sozialabgaben) 52.000 Forint netto im Monat, bei einer 40-Stunden-Woche, auch fern des Wohnortes. Das sind rund 170 EUR, 130 EUR weniger als der "gesetzliche Mindestlohn" und rund ein Fünftel des ung. Durchschnittsverdienstes. Der private Arbeitgeber zahlt dem Staat lediglich eine Leihprämie von 500 Forint, also 1,70 EUR pro Tag und Arbeitskraft.

Es ist naheliegend, dass dieser staatlich subventionierte Billigarbeitermarkt vor allem den Bürgermeistern, mit ihnen "verbundenen" Unternehmen und den Betrieben einschlägig vernetzter Parteikader zu Gute kommen wird, denen die Arbeiter wie Leibeigene ausgeliefert sein werden. Arbeitsrechtlich haben sie nämlich ungefähr den Status von Häftlingen, die auch schonmal im
Weinberg eines Staatssekretärs eingesetzt wurden...

Orbáns Ständestaat ist mittlerweile so verankert, dass selbst die Oppositionellen gar nicht mehr an dessem menschenverachtenden Grundgerüst rütteln, sondern nur versuchen, Linderung zu erreichen. Das ganze Modell "Közmunka" gehört, so wie es in Ungarn exekutiert wird, eigentlich auf den Schutthaufen der Geschichte. Doch stattdessen "bitten" Politiker von "Együtt" oder der MSZP die Regierung darum, es den Betroffenen doch einfach zu ermöglichen, saisonal auch auf eigene Faust Jobs annehmen zu dürfen, ohne dafür Restirktionen hinnehmen zu müssen.

Man weist auch daraufhin, dass ein Tageslohn von 2.500 Forint nicht gerade zu sorgsamer Arbeit motiviert, einem auf Qualität erpichten Agrarbetrieb mit der Maßnahme also gar nicht geholfen wäre. Nun schrieben sie einen Brief an die Abgeordneten und baten sie darum, das Gesetz so nicht zu verabschieden. In Frankreich würden bei einem solchen Gesetz längst Barrikaden brennen...

 

Ganz davon abgesehen, spricht die Maßnahme dem kolportierten Ziel der "Közmunka" Hohn, die Menschen an den ersten Arbeitsmarkt führen zu wollen. Ein weiterer Exodus ist die logische Folge, laut Umfragen sitzen weitere rund 1 Million Ungarn auf gepackten Koffern.  Jeder noch so lausige Hilfsjob im Westen ist für sie besser als das, was ihnen ihre Heimat bietet. Wer bleibt, gehört eben weiter zu jenen 40% an und unter der Armutsgrenze. Ungarn hat die höchste Kinderarmut in der EU und das zweithöchste Armutswachstum, knapp hinter Griechenland...

Ein Oppositionspolitiker sprach von einer "endlosen Belieferung mit abhängigen Billiglöhnern". Es ist "moderne Sklaverei". Und letztlich ist es eine weitere Maßnahme zur Umleitung öffentlicher Gelder in private Taschen, auf den Rücken der Ärmsten der Gesellschaft - nach den Worten von Innenminister Pintér "bald Standard in ganz Europa".

Orbáns "Arbeitsgesellschaft" ist also nichts weiter als eine Form des Feudalismus`. Das sollten - auch in der Konsequenz des zwangsläufigen und gewaltsamen Scheiterns - all jene "Analysten" und andere neoliberale Gurus und Orbánversteher im Westen bedenken, wenn sie, anhand von lustigen Zahlenwerken, wieder einmal arglos vom "ökonomischen Turnaround" sprechen, den Ungarns Premier “unorthodox” zu Stande gebracht haben soll, mit dem aber ledglich die Demontage der Demokratie und die Erniedrigung der Bürger zugedeckt wird.

red. / m.s.

Auswahl zum Thema "Közmunka":

Tausende Billigstarbeiter ersetzen Öffentlich-Bedienstete im Schulwesen
http://www.pesterlloyd.net/html/1522koezmunkaersatz.html

Untertanenbeaufsichtigung: Kommunalen Billigarbeitern wird ein Viertel vom Lohn gestrichen
http://www.pesterlloyd.net/html/1307kozmunkalohnkurzung.html

Regierung befiehlt Mindestquote von 200.000 Menschen in kommunaler Billigstarbeit
http://www.pesterlloyd.net/html/1419200000koezmunkas.html

Kameraüberwachung für "Zwangsarbeiter" in Ungarn: Datenschützer kontra Jobbik-Bürgermeister
http://www.pesterlloyd.net/html/1520koezmunkakamera.html

Orbáns Sozialbilanz:

Armutsberichte zurückgehalten
http://www.pesterlloyd.net/html/1440armutsbericht14.html 

Elend mit System
http://www.pesterlloyd.net/html/1428verelendung.html

UNICEF: Kinderarmut in Ungarn höchste in der EU
http://www.pesterlloyd.net/html/1513kinderarmut.html

Hintergründe zur Wirtschaftslage und -politik
http://www.pesterlloyd.net/portalwirtschaft/wirtundsteuern/wirtundsteuern.html
 


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