Hauptmenü

 

Unabhängiger Journalismus braucht die Hilfe seiner Leserinnen und Leser! - Was wir beim PESTER LLOYD vorhaben und wie Sie uns helfen können...

 

PESTERLLOYD BANNER590X60PX-AUB8

 

(c) Pester Lloyd / 11 - 2017    POLITIK      16.03.2017

Weder Freiheit, noch Gleichheit, noch Brüderlichkeit in Ungarn: Opposition zum Nationalfeiertag

Neben den seit 2010 von der Regierungspartei Fidesz für ihre Propaganda vereinnahmten staatlichen Feiern zum 15. März, bei denen Premier Orbán sich als Bannerträger der 1848er Revolution inszeniert, hielten traditionell auch die oppositionellen Parteien des Landes Manifestationen ab, um die Regierung als Verräter dieser Ideale zu brandmarken. Der einst so stolze Tag ist endgültig zum Mahnmal der Spaltung Ungarns verkommen.

1711fidelitas (Andere)
Protest gegen den Protest. Mitglieder der Fidesz-Jugendorgansation Fidelitas bezichtigen die Opposition, unter der Fuchtel “ausländischer Mächte” zu stehen. “Soros zahlt, Juhász (der Együtt-Chef) pfeift.” heißt es auf den uniformen Plakaten.

1848/49: Kampf um äußere und innere Freiheit

Kurz zur Einordnung: Die Ereignisse 1848/49, die in Ungarn vor allem mit den Namen Kossuth, Petöfi, Széchenyi und Bem verbunden sind, bedeuteten sowohl einen national definierten Aufstand, später Krieg gegen die "internationalistische" Habsburger Fremdherrschaft, jedoch eben auch einen Kampf um bürgerliche Grundrechte wie allgemeines Wahlrecht, Pressefreiheit, unabhängige Justiz in Abgrenzung zum feudalen Absolutismus.

Während die Ambitionen der nationalen Unabhängigkeit zunächst in einer blutigen militärischen Niederlage gegen mit Österreich verbündete russische Truppen endete und 1867 zum Ausgleich mit Österreich als einem faulen Kompromiss zu Gunsten ungarischer Oligarchen (die ja vielfach eher Österreicher waren) und ihrer regionalen Machtansprüche mündete, dessen Auswirkungen bis Trianon reichten (auch wenn dieser Zusammenhang von der betriebsblinden ungarischen Geschichtsinterpretation stets geleugnet wird), scheiterte die Demokratisierung kläglich, u.a. auch, weil sie von den eigenen "Helden", vor allem der ungarischen Adelsschicht als schädlich für ihre Interessen der Auspressung des Volkes - diesmal auf eigene Rechnung - erkannt wurden.

 

Der eigentliche Protagonist der "bürgerlichen Revolution", der heute auch von Orbán als Freiheitskämpfer gefeierte und missbrauchte Lajos Kossuth, verbrachte den Rest seines Lebens - auf Drängen der Kräfte des "Ausgleichs" - im Exil, vor allem in den USA und müsste sich heute wohl ebenso als Soros-Jüngling als "Botschafter fremder Mächte" beschimpfen lassen wie die heutigen Vertreter liberaler, europäischer, demokratischer Gesellschaftsmodelle.

Während Orbán also das Heldenhafte von 1848 vor allem in der Legende um das Ringen um "nationale Eigenständigkeit" sieht, eine faule Ausrede für eine Umverteilung der Macht, betonen die Oppositionsparteien die Ideale der bürgerlichen Emanzipation und größerer gesellschaftlicher Gerechtigkeit.

MSZP: Keine Freiheit, wenn Millionen hungern

MSZP-Chef Gyula Molnár konstatiert daher einen "Mangel an Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit in Ungarn". Es könne auch "keine Freiheit geben, in einem Land in dem vier Millionen Menschen hungern, keine Gleichheit, in einem Land, wo vor allem die Politiker und deren Freunde reich werden und keine Brüderlichkeit, in einer Gesellschaft, die keine gemeinsamen Ziele verfolgt." Die von Kossuth geforderte und über leidensstarke Jahrzehnte errungene Pressefreiheit und damit ein wesentliches Merkmal einer Demokratie, sei in Ungarn "Vergangenheit", sagte er mit Verweis auf die putschartige Schließung der führenden Oppositionszeitung "Népszabadság".

Seine Partei werde - wenn sie wieder an der Macht ist - dafür sorgen, dass Besserverdiener (er verortet diese ab einem monatlichen Einkommen von 3.200 EUR) wieder angemessen Steuern zahlen müssen. Um die Regierung abzulösen müssten alle Kräfte, Parteien, NGO´s, Gewerkschaften und "die Menschen auf der Straße" sich vereinen. Die MSZP wolle "die Partei des Wandels" werden, Ungarn entscheide 2018 über sein Schicksal.

Jobbik: "Wir sind die Partei des Volkes."

Die mit der sozialdemokratischen (eher neoliberal-proeuropäischen) MSZP in Umfragen gleichauf liegende neonazistische Partei Jobbik, die sich bemüht ein bürgerliches Antlitz abzuliefern, pickt sich die Stichworte "Freiheitskampf" und "Freiheitswille" aus den Ereignissen 1848/49 heraus. Ungarn dürfe sich nicht "ausländischen Besatzern" noch "inländischen Großgrundbesitzern" unterwerfen, sagte Jobbik-Chef Vona. "Unsere Partei steht auf der Seite des Volkes", das "mehr Freiheit, Gerechtigkeit und finanzielle Sicherheit" verlange und das Recht habe, "Politiker für ihr Handeln zur Verantwortung zu ziehen." Wenn Jobbik an die Macht kommt, so Vona, "wird Politik nicht mehr ein Synonym für Mafia, sondern für den Dienst am Volke" sein.

1711pfeifenoppoistion (Andere)
Einige Hundert oppositionelle Pfeifen

Man solle es nicht "einem Orbán überlassen, zu entscheiden, zu welchen Fragen Referenden abgehalten werden, wer Präsident wird oder ob mehr Krankenhäuser oder Fußballstadien gebaut werden." Vona rühmte sich dafür, eine "Europäische Bürgerinitiative" gegründet zu haben, die sich "für gleichen Lohn für gleiche Arbeit in ganz Europa" einsetze. Man "bitte nicht um Almosen, sondern um das, was uns zusteht."

Ex-Premier Gyurcsány: Orbán kann man nicht mit Trillerpfeifen beseitigen

Die Partei "Demokratische Koalition" von Ex-Premier Gyurcsány, Nummer 3 im Oppositionslager mit ca. 7% Zustimmung, richtete Orbán am Nationalfeiertag aus, dass es "Freiheit ohne Rechtsstaat und Demokratie nicht geben" könne. Orbán habe die staatlichen Institutionen "ruiniert". Ungarn stehe es gut an, "gleichzeitig gute Ungarn und gute Europäer zu sein", denn Ungarns Freiheit ist untrennbar mit der Freiheit ganz Europas verbunden, heute wie 1848.

Die "heutige ungarische Regierung negiert die Menschenwürde", ein Recht, über das keine Regierung zu befinden hat, weil es allen Menschen von Geburt an zustehe, so Gyurcsány. Wer meint, dass "Isolation und Verweigerung" die Antwort auf die heutigen Herausforderungen seien, der "ist nicht im Konflikt mit der Europäischen Kommission, sondern mit den Grundfesten Europas."

Seine Partei stehe für Ungarn als einem "offenen Land mit verschiedenen Mentalitäten, die koexistieren" könnten, "ein Land mit Menschen, die sich nicht vor Menschen anderer Herkunft fürchten", weil alle "das Menschliche eine". Gyurcsány, der sich bei der Bildung möglicher Wahlallianzen für 2018 von der MSZP und anderen Linksparteien hintergangen sieht, die seinen "Abschied aus dem öffentlichen Leben" fordern, meint, "Demokraten dürften nicht arrogant sein und glauben, sie würden die alleinige Wahrheit pachten. Sie müssten sich die Hand reichen." Zusammen habe man die Kraft.

"Ein paar hundert oder tausend Menschen pfeifen den Lord der Tyrannei aus und schon zittern die Mächtigen" beschwor Gyurcsány die Macht der Straße, auch wenn er nicht glaube, dass man "das Orbán-Regime mit Trillerpfeifen beseitigen" könne. So habe doch jeder das Recht dem Premier seine Meinung zu pfeifen. "Der Tyrann gehört beseitigt, mit legalen Mitteln, durch Wahlen", nur das garantiere Frieden und Stabilität im Land.

Együtt: Mafiastaat bekämpfen

Die linksliberale Kleinparte Együtt (die übrigens das Pfeifkonzert organisierte) rief die Oppositionskollegen zu gemeinsamen Anstrengungen auf, "die Freiheit zu beschützen und gegen den Kreis des Bösen" aufzustehen. Am Denkmal des Revolutionsdichters Sándor Petőfi, der blutjung auf dem Schlachtfeld starb, sagte Ko-Vorsitzender Balázs Berkecz, dass 1848 die Revolution "mutiger Menschen" war, die gegen die "Arroganz der Machthaber und ihre Weltordnung" opponierten. Freiheit, das sei die Lehre dieser Helden, gebe es nicht ohne Einsatz - man muss für sie kämpfen. Die heutigen Machthaber haben "uns die Freiheit genommen und unser Land auf das Niveau einer Dikatur" demoliert. "Wir müssen diesen Mafiastaat bekämpfen, der die Wahrheit Tag für Tag mit Füßen tritt."

"Grüne" LMP: Nicht nur Regierungs-, sondern Systemwechsel

Die einst grüne, heute er national-liberale LMP, versammelte sich am emblematischen Pilvax-Café, einst Ausgangspunkt der jüngeren Aufständischen. "Die Ideale Unabhängigkeit, Selbstbestimmund und Souveränität" seien es, die man von den Ereignissen vor 169 Jahren ins Heute mitnehme. Das Projekt AKW Paks 2 sei ein eindrückliches Beispiel dafür wie sehr die Regierung das Recht der Selbstbestimmung, der freien Entscheidung missachte und über die Köpfe der Interessen der Menschen regiere. Es brauche sowohl "eine neue Regierung als auch einen Systemwechsel", dazu aber keine blutige Revolution, sondern "viele kleine, friedliche Revolutionen", die bereits "im Gange" seien.

Liberale: Freiheitswille vor politischen Egoismus stellen

 

Die liberale "1-Mann-Partei" MLP von Ex-SZDSZ-Mann Gábor Fodor meint, dass die "Hoffnung eines modernen, liberalen Ungarns" noch immer lebendig sei, die Hoffnung, dass die Ungarn gegen die sie unterdrückenden Mächte siegreich sein werden. 1848 standen die Chancen der Revolutionäre deutlich schlechter als für uns heute, so Fodor. Die "Demokraten Ungarns haben eine Chance zu gewinnen, wenn ihr Wunsch nach größerer Freiheit für alle stärker ist als ihr Wille sich gegenseitig aus der politischen Landschaft auszuschließen."

Ex-Präsidentschaftskandidat: Die heimischen Unterdrücker sind das Problem

Der gerade mit 39 Stimmen gescheiterte Präsidentschaftskandidat László Majtényi, dem es immerhin gelang von allen demokratischen Parlamentsparteien unterstützt zu werden (also außer Fidesz-KDNP und Jobbik), zieht den Schluss, dass uns 1848 lehrt "den Kampf für Freiheit niemals aufzugeben, was immer er koste". Vor einigen Hundert Anhängern, die von der Staatsoper zur "Verfassungsstraße" zogen, sagte er "wie verzweifelt die Lage auch scheinen mag, die Situation kann sich binnen Stunden ändern". Es gebe auf der Welt zwei Arten von Nationen. "Freiheitsliebende und solche, die frei sind." Es werde Zeit, dass Ungarn wieder von der ersten zur zweiten Art wechsle. Dabei gehe es für "uns nicht darum uns von ausländischen, sondern von heimischen Unterdrückern zu befreien."

red.


46pllogo (Andere)
Der PESTER LLOYD hat sich für 2017 viel vorgenommen.
Was genau, das lesen Sie hier.

Unser Hauptziel bleibt, denen eine Stimme zu geben, die für ein demokratisches und europäisches Ungarn einstehen und auch jenen, die im Kampf der Mächtigen übergangen werden. Denn was in Ungarn geschieht, geht uns alle an, werden hier doch Präzedenzen geschaffen, die ganz Europa in Frage stellen könnten.

Wir würden uns freuen, wenn Sie uns auf unserem Weg unterstützen, durch eine Spende oder ein virtuelles Abo. Weitere Infos. Direktkontakt: online@pesterlloyd.net






 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

 

 

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854