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(c) Pester Lloyd / 05 - 2011  POLITIK 01.02.2011

 

Selbstentsorgung

Was macht eigentlich die ungarische Opposition?

Zustand und Perspektiven der parlamentarischen Oppositionsparteien in Ungarn sind dazu geeignet, dem Fidesz eine sehr lange Regierungszeit zu schenken, unabhängig davon wie erfolgreich die Regierung selbst agiert und wie glücklich oder nicht sich äußere Umstände entwickeln. Drei Parteikongresse am Wochenende zeigten: die MSZP steht unerneuert, mut- und kraftlos mitten in der Bedeutungslosigkeit und am Rande der Spaltung, die LMP gründet erstmal Arbeitskreise und Jobbik darf sich am rechten Rand heiser brüllen. Wer solche Feinde hat, braucht keine Freunde mehr.

Gyurcsány ist alsParlamentarier nur noch ein Hinterbänkler, in der Partei aber eine Macht.
Neben ihm knieend: MSZP-Chef Attila Mesterházy

Noch eindrucksvoller konnten die ungarischen "Sozialisten" der Ex-Regierungspartei MSZP den Zustand ihrer Partei nicht demonstrieren, denn bei einer Art "Kleinem Parteitag" mit rund 100 Vertretern aus Präsidium und Komitatsvorständen am vergangenen Samstag, fehlten die zwei wichtigsten Personen. Parteichef Attila Mesterházy weilte im Ausland, Ex-Premier und Guru der "Parteiseele", Ferenc Gyurcsány erschien - trotz Einladung - nicht. Dabei wollten und sollten die versammelten Parteigrößen nichts weniger als die "Erneuerung der Partei" besprechen, sagte Präsidiumsmitglied Gábor Simon etwas ratlos vor Pressevertretern.

Drei Oppositionsparteien sitzen im ungarischen Parlament, die zusammen nicht einmal ein Drittel der Mandate inne haben. Das regierende Parteien- und Listenbündnis Fidesz-KDNP (Jungedemokraten und Christdemokraten) verfügt mit 262 Mandaten (+85) über eine 2/3-Mehrheit. Die LMP (“Eine andere Politik ist möglich” (15) und Jobbik (46), sind erst mit den letzten Wahlen ins Hohe Haus eingezogen, die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) stellt mit 58 Abgeordneten die "stärkste" Oppositionsfraktion und muss mit 130 Mandaten weniger auskommen als in der vorherigen Legislaturperiode. Außerdem gibt es vier als "unabhängig" eingestufte Abgeordnete, die wahlweise zu Fidesz oder Jobbik halten, auch die ehemalige MSZP-Parlamentspräsidentin gehört heute zu den "Unabhängigen".

MSZP: Warten auf das reinigende Gewitter

Eine grundlegende personelle und inhaltliche Erneuerung der MSZP ist längst überfällig, doch alle Zeichen, in welche Richtung und mit welcher Tiefgründigkeit sie von statten gehen könnte, weisen nur in eine fortdauernde Bedeutungslosigkeit. Das hat mehrere Gründe, die Schuld liegt bei der Partei selbst. Durch die eigene, in Jahren des politischen Versagens erarbeitete Unglaubwürdigkeit ist man nicht in der Lage, Themen "zu erobern", bei denen man der Regierung wirklich Paroli bieten könnte. Man versucht es zwar immer wieder, doch bis auf die auf rund 15-20% der Wähler zusammengeschmolzene Gruppe der ergebenen Anhänger, interessieren die Verlautbarungen der "Sozis" in Ungarn niemanden mehr so recht, eben auch, weil die zu einem reinigenden Gewitter in den eigenen Reihen bisher nicht fähig bzw. willens waren.

Ermüdungsrisse gehen durch die Partei. Hier steht Parteichef Attila Mesterházy, gleichzeitig Fraktionsführer im Parlament, der sich inhaltlich kaum profilieren kann, der rhetorisch mäßig begabt ist und über relativ wenig Charisma verfügt. Er vertritt - als junger Mann - eher die nostalgische Linke in der Partei, der u.a. auch seine Vorgängerin, Ildikó Lendvai, so wie eine ganze Reihe ehemaliger Minister angehört. Nach außen wollte Mesterházy als Erneuerer auftreten, das Beharren der alten Personalien in seinem Rücken und eine bisher strikt vermiedene grundsätzliche Programmdebatte sowie der Absturz in den Wahlen, der an ihm als Spitzenkandidaten doch Spuren hinterlassen hat, machten ihn schnell zu einer lahmen Ente.

Bereitet Ex-Premier Gyurcsány die Gründung einer neuen Partei vor?

Das zweite Machtzentrum der Partei bewegt sich immernoch um Ferenc Gyurcsány, jenen ehemaligen Ministerpräsidenten, der durch seine berühmt gewordene "Lügenrede" 2006 den Anfang vom Ende seiner Regierung selbst einläutete und den Absturz durch sein Beharren und seine Unbelehrbahrkeit maximal vertiefte. Ganz abgesehen davon, ob man allen Behauptungen des Fidesz über die "räuberische Milliardärsbande" und das totale, ja verbrecherische Versagen der Sozialisten folgen will oder es juristisch kann, steht Gyurcsány in der ungarischen Gesellschaft für etwas, dass man nicht mehr haben will.

Ausgerechnet die "Sozialisten" wurden zum Synonym für wilden Turbokapitalismus, in dem sich eine politische Clique schamlos bereichert und das Volk links liegen, das Land im Stich lässt. Die MSZP hat es dadurch auch geschafft, die EU mit der angsteinflössenden Globalisierung gleichzusetzen. Die Parolen vom starken Staat und der wieder erwachenden Nation mussten so auf eine mit reinstem Biodünger bereitete Erde fallen. Gyurcsány ist verantwortlich für das, was unter seiner Regierung geschah, doch er zog daraus bisher keinerlei Konsequenz.

Seine Partei lässt ihn gewähren, wie er sich durch die Gründung einer überparteilichen Plattform zum Führer einer "Mitte-Links-Bewegung" aufschwingen will, obwohl gerade er es ist, der von allen Links von der Mitte positionierten Oppositionsgruppen gemieden wird, wie das Weihwasser vom Teufel, weil man weiß, dass nur die denkbaren Nähe zu Gyurcsány das sofortige eigene politische Aus bedeuten müsste. Er ist also vielleicht nicht die glücklichste Wahl für die Anbahnung übergreifender Kooperationen. Doch dem Stehaufmännchen-Phänomen Gyurcsány, der in der nostalgischen Schicht der MSZP-Anhänger(innen) viele Fans hat, stehen die anderen Parteigranden so fasziniert wie ratlos gegenüber.

Die Befreiung aus dieser zum Dauerzustand gewordenen Schockstarre kann eigentlich nur eine Art Neugründung sein, bei der die MSZP das Risiko einer Spaltung bewusst eingehen muss, weil sie sich die Frage zu stellen hat, was an ihr, außer dem Namen, heute noch "sozialistisch" ist und in Zukunft sein soll oder ob es nicht besser ist, sich ein klar sozialdemokratisches Profil zu geben, mit offenem Bekenntniss zur sozialen Marktwirtschaft. Wenn das einige Personen oder Flügel in der Partei nicht aushalten, spricht nichts gegen die Existenz einer "Linken" wie in anderen Ländern auch. Nur so wäre eine Profilierung möglich, die irgendwann als ernsthafte Politikalternative in den Kampf um die Wählergunst eingreifen könnte.

Gyurcsány traf sich am Wochenende übrigens - statt die eigene Partei zu beehren - mit seinen Anhängern in der Provinz, das Wort der "Gründung einer neuen Partei" macht nicht erst seitdem die Runde. Für den 18. Februar hat Gyurcsány eine große Rede "zur Lage der Nation", der Partei und zu seinen "politischen Plänen" angekündigt, was nicht nach dem längst überfälligen Totalrückzug klingt.

Oppositionsarbeit als hilfloses Stückwerk

Bis diese Richtungsentscheidung getroffen ist, wird die Oppositionsarbeit weiter hilfloses Protestieren und Stückwerk bleiben. Das Fidesz legt in der Zwischenzeit ein Tempo vor, das der MSZP regelmäßig die Luft wegbleibt, wie Vorstandssprecher Simon am Sonntag demonstrierte, als er anmerkte: "die Dinge gehen in die falsche Richtung".

- die Flat Tax auf die Einkommenssteuer sieht man als rein populistische Maßnahme, die den unteren Gehaltsschichten nichts bringt - eine Alternative in der Wirtschaftspolitik legte man bisher nicht vor, man verweist immernoch auf die Sparkpakete der Bajnai-Übergangsregeirung
- die EU-Präsidentschaft sieht man schon jetzt, aufgrund des Mediengesetzes und des Auftritts Orbáns als Flop, der Ungarn sehr geschadet hat - Antwort des Fidesz: die Sozialisten haben eine internationale Kampagne gegen Ungarn angezettelt, den Ruf des Landes hätten sie ruiniert
- die MSZP bittet (!) das Fidesz um eine Verlängerung der gestern ausgelaufenen Übergangsfrist für die "Wahl" zwischen staatlicher und privater Rentenversicherung um einen Monat - Antwort: die Sozialisten als Fluchtburg für Milliardäre haben keine Forderungen solcher Art zu stellen
- die MSZP legte einen Gegenentwurf für eine neue Verfassung vor, Antwort: die MSZP hat die parlamentarische Kommission, die eine neue Verfassung ausarbeitet, selbst verlassen, dort ist der Ort für Verhandlungen.

LMP-Abgeordnete protestieren im Parlament gegen das Mediengesetz

LMP will 2011 erstmal durchschnaufen und an den Strukturen basteln

Die LMP, oft verkürzt als "ungarische Grüne" tituliert, aber eher eine alterantiv-liberale Sammlungsbewegung, benötigt das Jahr 2011 zur "Konsolidierung", was ein wenig nach Abschied aus der aktiven Oppositionspolitik klingt. Am Ende eines zweitägigen Kongresses der Partei am letzten Wochenende kam man zu der Einsicht, dass man zunächst die Parteistrukturen stärken und die Basis erweitern müsse. Die Partei mit dem programmatischen Namen "Politik kann anders sein.", die mit ihrem Einzug ins Parlament angesichts der politischen Gemengelage eine echte Überraschung ablieferte, konnte seitdem kaum ein für das Volk klares politisches Programm artikulieren und man kritisierte mehr schlecht als recht an den verschiedenen einschneidenden Maßnahmen herum, mit dem sich das Fidesz die Macht in Ungarn dauerhaft sichern will.

Auf ihrem Parteitag hat man, in guter grüner Tradition erstmal 14 thematische Arbeitskreise gebildet, die sowohl akutelle Reaktionen in den Plenardebatten liefern sollen als auch einer langfristigen Strategie zuarbeiten werden. Bescheiden sind die Umstände, unter denen diese junge Partei noch arbeitet, dieses Jahr wird man mit nicht einmal 1 Mio. EUR auskommen müssen, davon sind umgerechnet schon 400.000 EUR durch alte Verpflichtungen gebunden. Jetzt gilt es Reserven für den nächsten Wahlkampf zu bilden.

Wollten eine noch radikalere Wende: Jobbik im Wahlkampf

Die extreme Rechte darf sich am rechten Rand heiser schreien

Auch der Führungszirkel der rechtsextremen Partei Jobbik traf sich am Wochenende. Von den Neofaschisten hörte man in den letzten Monaten diverse Spaltungstendenzen zwischen radikaleren und bürgerlicheren Elementen. Laut Parteichef Vona ist die Phase beendet worden, schon kurz nach der Wahl schmiss er seinen stellvertretenden Fraktionschef raus, weil er sich zweifelnd zur Ungarischen Garde und den Nachfolgern dieser verbotenen militanten Gruppe geäußert hatte. Jobbik hat das Problem, dass das Fidesz ihm fast alle Themen streitig gemacht hat. Die Trianon-Agenda ist durch das Staatsbürgerschaftsgesetz, die offene Unterstützung der auslandsungarischen Organisationen und überhaupt das allgemeine nationale Gerede vom Präsidenten an abwärts abgedeckt. In punkto innere Sicherheit und "Romaproblem" ist die Regierung zumindest wortreich am Werk. So bleibt Jobbik fast nur die Rolle, die Fidesz-Chef Orbán für sie vorgesehen hat: Marginalisierung durch Radikalität. Das Abfallprodukt der von Fidesz bewußt betriebenen politische Spaltung des Landes wird mehr oder weniger im Zaum gehalten.

Parteichef Vona versucht dem zu entgehen, in dem er sich als Freiheitskämpfer aufschwingt und darauf hinweist, dass das Fidesz praktisch eine Fortsetzung der MSZP mit anderen Mitteln darstellt, die sich beide das Land aufgeteilt haben. Ausgerechnet Jobbik stellt sich als Verteidiger der Pressefreiheit und anderer Bürgerrechte dar und sieht die Demokratie in Gefahr. Vona verlangt die bisher nicht vollzogene Bestrafung der Verantwortlichen für das ungarische Desaster. Die Steuerreform (16% Flat tax für alle) hilft nur den Besserverdienenden, er will Durchschnittsverdiener mit nur 12% besteuern, wer mehr als 35.000 EUR im Jahr verdient, soll 32% abführen. Ansonsten ist alles beim alten: es solle dafür gesorgt werden, dass "die Reproduktion der Roma" verlangsamt wird, um die Zukunft "der ungarischen Familien" zu schützen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis "Zigeuner" die Mehrheit stellen, was "sicher zu einem Bürgerkrieg" führt. Jobbik steht also weiter genau in der Ecke, in der Fidesz es haben will.

red.

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