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(c) Pester Lloyd / 08 - 2011  RUMÄNIEN 02.03.2011

 

Zeitbombe Brotpreis

Rumänische Regierung fleht den Aufschwung herbei

Mit vielen Zahlen und Ankündigungen kämpft der rumänische Ministerpräsident Emil Boc um das Vertrauen des Volkes und gegen die aus den eigenen Parteireihen drohende Gefahr der Absetzung. Ein Investitionsprogramm soll die Wirtschaft ankurbeln, auch der öffentliche Dienst soll wieder befriedet werden. Doch die Mehrwertsteuer bleibt hoch und die Lebensmittelpreise steigen weiter und weiter. Eine soziale Zeitbombe tickt.

Premier Boc versucht dem Land klar zu machen, dass seine zum Teil sehr unpopulären Spar-Maßnahmen, der einzige Ausweg für Rumänien gewesen sind. So wurde das Land wieder kreditwürdig, immerhin habe der IWF eine neue Kreditlinie von fast 400 Mio EUR (zusätzlich zu dem noch zurückzuzahlenden 20 Mrd. Krisennotkredit) genehmigt, und das Land müsse sich nun darum kümmern, “die Wirtschaft mit allen Kräften anzukurbeln". Dazu sieht Boc ein gigantisches Investitionspaket vor, umgerechnet 830 Mio EUR sollen aus eigenen Mitteln den rund 10 Milliarden EUR aus EU-Fonds beigestellt werden.

So viele sind es nicht, die Premier Boc so top finden, wie er sich offenbar selbst.

Investionsmilliarden und die üblichen Versprechen von Hunderttausenden neuen Arbeitsplätzen

Ioan-Nelu Botis, Minister für Arbeit, Soziales und Familien, kündigt an, dass die Renten 2012 um die Hälfte des Bruttolohnzuwachses angehoben werden sollen. Das klingt zwar ganz passabel, allerdings dürfte sich der Bruttolohn in Rumänien in diesem Jahr gerade um 4-6% erhöhen, womit die Rentenanpassung nicht einmal die Inflation ausgleicht. Der Minister hat also eigentlich eine Rentenkürzung verkündet. Immerhin dürfen die Angestellten des öffentlichen Dienstes, in Rumänien mehr noch eine Macht als anderswo, darauf hoffen, dass ihnen das 2010 gekürzte Viertel ihrer Gehälter ab 2012 wieder ausgezahlt wird. Außerdem sollen ab kommendem Jahr die Lohnnebenkosten "in spürbarem Ausmaß" sinken und überhaupt könnte man mit dem "neuen Arbeitsrecht nahezu 250.000 neue Arbeitsplätze" schaffen.

Die vielfach geforderte Reduzierung der Mehrwertsteuer, mit einem Regelsatz von 24%, wird jedoch so bald nicht stattfinden. Vor allem die Arbeitgeber, aber auch die Gewerkschaften drängten darauf, man habe jedoch "keine Intentionen" dem zu folgen, sagte der Premier. Die Lage des Haushalts lässt einen solchen Schritt im Moment nicht zu. Im Januar konnte die rumänische Regierung zwar erstmals seit der Krise mit einem operativen Überschuss im Staatshaushalt von 0,15% des BIP bilanzieren. Gegenüber dem Vorjahr hatte man im ersten Monat 2011 fast 4% höhere Einnahmen sowie rund 2% geringere Ausgaben. Die Mehrwertsteuer legte um 28,3% zu, allerdings wegen ihrer Erhöhung nicht wegen erhöhten Konsums, was zeigt wie wichtig dieser Posten für die Staatsfinanzen derzeit ist. Vor allem bei den Personalausgaben konnte gespart werden, immerhin 18%, auch die leichte Entspannung am Arbeitsmarkt machte sich bemerkbar.

Gute Ressourcen, aber schlecht gemanagt, so hängt
auch Rumänien nun am internationalen Getreidemarkt.

Tickende Zeitbombe: steigende Lebensmittelpreise

Nach Gesprächen mit den Sozialpartnern, kündigte Boc an, die Steuerbehörde und das Wettbewerbsamt mit einer "Tiefenprüfung" der Benzinpreise auf kartellrechtliche Verstöße hin zu beauftragen. Doch gegen die massive Erhöhung von Lebensmittelpreisen kann die Regierung bisher nur wenig unternehmen. Grundnahrungsmittel sind in einigen Fällen binnen sieben Monaten um 40% teurer geworden, ein Problem, das - wie immer - die Ärmsten am stärksten trifft. Die führende Wirtschaftszeitung ZF stellte einen Warenkorb aus 15 häufig gekauften Produkten zusammen und berechnet daraus einen eigenen Preisindex. Danach hat sich Zucker um 31%, Mehl sogar um 41.4% seit Juli 2010 verteuert, Pflanzenöl ist 35% angestiegen. Diese Werte differieren extrem mit dem, was das Nationale Statistikamt INS angibt, dort wird die Teuerung bei diesen Grundnahrungsmitteln mit 8-10% angegeben. ZF misst die Preise freilich in zwei Bukarester Supermärkten in ausländischem Besitz. Bier ist billiger geworden, stellt die Zeitung fest.

Der Gewerkschaftsdachverband Agrostar kritisiert die rumänische Regierung, weil sie im letzten Jahr keine Vorkehrungen getroffen habe, um eine Preisstabilität auf dem Getreide- und Brotmarkt sicherzustellen. "Im Sommer 2010 haben die rumänischen Prduzenten ca. 1,7 Millionen Tonnen Weizen für 200 EUR je Tonne exportiert, nun müsse man jedoch Weizen für 250-280 EUR einführen. Hätte die Regierung die einheimische Produktion aufgekauft und Lager angelegt, könnte man jetzt eine Preiserhöhung für Mehl und Brot von bis zu 15% verhindern, so der Präsident von Agrostar. Die Produzenten waren so zum Teil zur billigen Abgabe ihrer Produkte ins Ausland oder an Großhändler genötigt, um ihre Bankschulden bedienen zu können. In diesem Jahr werde man aufgrund des "Mangels an Weitsicht der Regierung Weizen aus Ungarn und anderen EU-Ländern" einführen müssen, obwohl man selbst die Kapazitäten für eine Selbstversorgung hätte. Auf die Rumänen kommen dieses Jahr auch andere Preiserhöhungen im Lebensmittelbereich zu, so wurden u.a. die Subventionen für Kartoffeln und Gewächshaus-Gemüse reduziert, weiterhin steigen die Futterpreise stark an, was auch Milch- und Fleischpreise in Kürze in die Höhe treiben dürfte.

Auch aus Polen haben wir kürzlich von enormen erzeugerseitigen Preisanstiegen berichtet, in der Slowakei hat die Regierung nun sogar die Getreidespeicher geöffnet und will Nudeln und Backwaren kostenlos an die Ärmsten verteilen lassen. Zum einen, um die Unzufriedenheit zu senken, zum anderen, um Druck auf den Markt aufzubauen, der von vielen als spekulativ überbewertet betrachtet wird.

Zum Thema:

Bukarester Rochade - 22.02.11
Präsident sucht neuen Regierungschef für Rumänien
http://www.pesterlloyd.net/2011_08/08RochadeRumaenien/08rochaderumaenien.html

Brotpreise in Rumänien könnten um 15% steigen
http://www.pesterlloyd.net/2011_07/07brotpreiseRO/07brotpreisero.html

Opposition rüstet zum Machtwechsel - 09.02.11
Aktuelle Entwicklungen in Rumänien
http://www.pesterlloyd.net/2011_06/06rumaenienAktuelles/06rumaenienaktuelles.html

Strapazierte Geduld - 04.01.11
In Rumänien gibt es auch im neuen Jahr wenig Hoffnung
http://www.pesterlloyd.net/2011_01/01neujjahrRO/01neujjahrro.html

 

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