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(c) Pester Lloyd / 18 - 2011  POLITIK 04.05.2011

 

Anlassgesetz

Ungenehmigte "Bürgerwehr" wird in Ungarn strafbar

Am Dienstag verpasste das ungarische Parlament dem Strafrecht eine Ergänzung um "Straftaten in Uniform", die das "Erschrecken von Minderheiten" mit Geldstrafen und bis zu drei Jahren Gefängnis bestrafen soll. Das in großer Eile durchgebrachte Anlassgesetz wird auch von der linken Opposition mitgetragen, ist aber kaum geeignet Entwicklungen wie in Gyöngyöspata in Zukunft zu verhindern. Vielmehr ist es ein weiteres Beispiel für hilflosen Aktionismus.

Die “Bürgerwehr für eine schönere Zukunft” e.V., daneben die “Gendarmerie”, es gibt eine Betyárság (Räuberschaft), die sich aus mythischen Histörchen als ungarische Freiheitskämpfer aufspielen. Eine “Vederö”, Verteidigungs- bzw. Schutzmacht hält Wehrsportlager ab, deren Chef will Bürgermeister von Gyöngyöspata werden. Die oben sichbtaren Uniformen sind alles Varianten der “Ungarischen Garde”, die von Jobbik-Chef Vona einst selbst gegründet wurde und seit einiger Zeit rechtskräftig verboten ist. Diese schließt ideologisch und in ihrem Auftreten direkt an die faschistischen Pfeilkreuzler an.

Danach soll "jedes provokatorische und antisoziale Verhalten", bei dem "Menschen in Angst versetzt" werden, weil sie einer bestimmten "nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe" angehören mit Haftstrafen bis zu drei Jahren geahndet werden. Eingeschlossen sind "auch Aktivitäten, die unter dem Vorwand notwendiger Strafverfolgung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" ohne Genehmigung der Behörden stattfinden.

Seltene Einigkeit der demokratischen Pole

Das Gesetz wurde prinzipiell auch von den linken Oppositionskräften begrüßt, die sich allerdings mit eigenen Änderungsvorschlägen nicht gegen den Entwurf der Regierungsfraktion durchsetzen konnten und an ihrem Vorwurf der langen Untätigkeit der Regierung festhielten. Allein der Umstand, dass Abgeordnete beider Lager des demokratischen Spektrums einmal das gleiche Stimmverhalten zeigten, ist immerhin ein Zeichen, dass man diese Art von "Bürgerinitiativen" in Ungarn nicht wünscht.

Aufrufe zum Systemumsturz bleiben ungeahndet

Letztlich stimmten nur die Abgeordneten der rechtsextremen Jobbik gegen das Gesetz. Jobbik ist der master mind hinter den zahlreichen Aufmärschen und Provokationen durch diverse "Bürgerwehren" in Gyöngyöspata und anderen ungarischen Gemeinden, die zuletzt in gewaltsame Zusammenstöße ausarteten. Die rechtsextremistische Partei fordert den Aufbau einer "Gendarmerie" (wie unter Horthy, unter deren Dach sich später die willigsten Vollstrecker nazideutscher Vernichtungspläne fanden), die flächendeckend, unabhängig von der Polizei, freilich "unterstützend" die Sicherheit der "Ungarn vor der Zigeunerkriminalität" gewähren soll. Jobbik-Chef Vona und andere Parteigrößen hatten bereits mehrfach angekündigt, dies auch ohne Zustimmung des Staates zu beginnen, - ein direkter Aufruf zum Sturz des Systems, der jedoch bisher folgenlos blieb.

Jobbik-Abgeordneter fuchtelt im Plenum mit Samurai-Schwert herum

Jobbik treibt den Staat weiter vor sich her, auch legislativ. So hat die Partei Anzeige gegen “Unbekannt” erstattet, weil “mit Naziparolen Panik” gestiftet würde. Weiterhin wird man das neue Gesetz vor dem Verfassungsgericht anfechten, weil es “moralisch unakzeptabel und professionell mangelhaft” sei. Dies kündigte der Abgeordnete Pál Volner an, der gleiche, der zuvor die “Beschränkung der Vermehrugnsrate” der Roma gefordert hatte. Er klagte, dass nun “ehrliche Bürger bestraft werden, die ihre eigenen Mittel und ihre eigene Zeit opfern, um der öffentlichen Ordnung zu dienen.” Sein Kollege György Zagyva fuchtelte im Plenum mit einem Samurai-Schwert herum, das als Beweismittel dienen sollte, mit dem “40 Zigeuner 400 Polizisten” in Gyöngyöspata angegriffen und in die Flucht geschlagen hätten. Ein Beweis, dass der Staat nicht in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen.

Flotte Sprüche, späte Einsichten

Justizminister Tibor Navracsics hob als Initiator des Gesetzes sogar hervor, dass das Gewaltmonopol, "das der Staat niemals aufgeben wird", (das er aber zeitweise aufgab) nun konkretisiert und gestärkt wurde. "Der Staat wird nicht mehr zulassen, dass sich Gruppen von Bürgern ohne entsprechende Autorisation als Schützer der öffentlichen Ordnung" aufspielen. Leider hätten sich in letzter Zeit "gefährliche Verhaltensweisen, die Angehörigen ethnischer Minderheiten Angst einjagten, gehäuft". Bereits zuvor bezeichnete Orbán-Sprecher Péter Szijjártó die "marschierenden Rechtsradikalen" als "Störenfriede und Verbrecherbande.", eine Einschätzung, die reichlich spät kommt.

Eilgesetz mit Lücken

Zur Bewertung: Das Gesetz ist ein Anlassgesetz und lässt aufgrund der Eile seiner Verabschiedung sicherlich zahlreiche Schlupflöcher offen. So ist es bemerkenswert, dass in der Aufzählung der schützenswerten Gruppen politische, sexuelle oder sonstige abweichende Merkmale nicht erwähnt sind. Es bedeutet weiterhin weder ein Verbot der "Bürgerwehren", die ja zum Teil direkte Nachfolger der rechtskräftig verbotenen "Magyar Gárda" sind, noch ihrer Hinterleute, sprich der Partei Jobbik. Dafür gibt es auch einen Grund, Jobbik kann locker bis zu 20% der Wählerstimmen binden, ein Pool, auf den das Fidesz gerne zugreifen möchte.

Nicht die Gesetze sind, die Anwendung ist das Problem

Auch sind Wiederholungen ähnlicher Aktionen kaum mit diesem neuen Passus zu verhindern, denn die Polizei hätte auch aufgrund der bisher bestehenden Gesetze die Eskalation der Situation in Gyöngyöspata frühzeitig beenden können. Doch weder die Polizei griff rechtzeitig ein (die Gemeinde war ja seit Anfang März von rechten Gruppen besetzt, "zu Hilfe" gerufen von Einwohnern), noch fand sich ein Staatsanwalt, der "strafwürdiges Verhalten" feststellen wollte. Gesetze, die nicht oder nicht konsequent angewandt werden, entstammen daher meist politisch-taktischen Überlegungen, sprich dem Wunsch nach Beruhigung der Stimmung.

Rassistische Richter, ängstliche Ermittler

Das Gesetz schließt in seiner Abfassung an Paragrafen an, die dazu verwandt werden, Straftaten mit organisiertem und ideologischem, sprich rassistischem Hintergrund besonders zu würdigen und durch eine damit verbundene Erhöhung des Strafrahmens die präventive Wirkung ebenso zu erhöhen wie die Schwere der Bestrafung an sich. Dass ein Land zu solchen Mittel greifen muss, weil das normale Strafrecht angeblich nicht mehr genügt, ist die eine Sache, die andere Sache ist die Anwendung: So wurden kürzlich Roma, die wegen Körperverletzung angeklagt waren, wegen einer "antiungarischen" Äußerung gegen das Opfer während der Tatbegehung zu einer für mitteleuropäische Verhältnisse exorbitanten Haftstrafe verbannt. Die Richter wandten ein entsprechendes Gesetz zum Schutz der Herabwürdigung von "Minderheiten und Mehrheiten" an, eine derartige Verurteilung gegen Mitglieder rechtsextremer Banden ist - soweit bekannt und in dieser Höhe - noch nicht vorgekommen.

An dieser Stelle darf auch hinterfragt werden, wie die Exekutive bisher bei der Ahndung der von den Rechten als "Zigeunerkriminalität" verübten Straftaten vorging. Auch hier findet desöfteren eine "Verschonung" aus politischen, manchmal auch nur aus organisatorischen Gründen statt, die letztlich zu der sich jetzt hochdrehenden Spirale der Anmaßungen führte.

Jobbik darf sich bedanken

 

An diesen Punkten ist erkennbar, dass es nicht in erster Linie die Gesetzeslage ist, die sich in Ungarn ändern muss, sondern die Einstellung der Beteiligten, ohne deren Willen sich auch die Lage und damit das Verhalten des kritisierten Teils der Romabevölkerung nicht ändern kann. Da es jedoch keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass der Anteil von Rassisten bei Richtern kleiner sein sollte als in der Durchschnittsbevölkerung, ist das Gesetz letztlich ein PR-Gag des Regierungslagers, dem auch die Opposition auf den Leim gegangen ist. Jobbik darf sich bedanken.

Stefano Solaro, red., ms.

Zum Thema:

Die Unbelehrbaren

Gyöngyöspata und die "Zigeunerfrage"
in Ungarn

Die Aufarbeitung der Vorkommnisse in Gyöngyöspata wird immer absurder. Der Regierung geht es weniger um die Ursachen der Spannungen bzw. deren Beseitigung, sondern darum, "welche Kräfte daran Interesse haben, Ungarns Ruf im Ausland zu schädigen". Realitätsververweigerung auf verschiedenen Seiten machen die Betroffenen zu politischen Spielbällen. Die EU gibt sich ahnungslos.

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