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(c) Pester Lloyd / 36 - 2011  GESELLSCHAFT 14.09.2011

 

Fehlende Aktionseinheit

Die Gewerkschaften in Ungarn verfehlen auf getrennten Wegen das gemeinsame Ziel
- ein Hintergrundbericht

Statt geschlossen gegen die arbeitsgesetzlichen Anmaßungen der Orbán-Regierung aufzutreten, üben sich die etablierten Gewerkschaften in Ungarn in ihren alten Beißreflexen. Nun macht ihnen eine Inititaive "von unten" Beine. Während eine Gewerkschaftsdemo am Montag nicht einmal eine vollständige Menschenkette ums Parlament hinbekam, ruft die neue Aktionsgemeinschaft von über 70 Gruppen ab dem 29. September zum "D-Day" auf und will das halbe Land mit Protesten überziehen. Derweil selektiert die Regierung sich ihre Gesprächspartner, die fallen prompt auf diesen Trick herein. Den Arbeitnehmern wird so niemand helfen.

Der Andrang war übersichtlich, Gewerkschaftsdemo am 12.09. vor dem Parlament, Fotos: MSZOSZ

Am 12. September, zum Start der Herbstsitzungsperiode des ungarischen Parlamentes, boten die Dachverbände der ungarischen Gewerkschaften ein weiteres Mal das nicht unbekannte Bild der Uneinigkeit. Obwohl sie mit größtenteils gleichen Forderungen gegen das neue Arbeitsgesetz und gegen die bereits getroffenen arbeitnehmerfeindlichen Maßnahmen (hier finden Sie dazu einen ausführlichen Bericht) der nationalkonservativen Zweidrittelmehrheit protestieren, gelang es ihnen nicht, eine geschlossene Menschenkette um das Parlament zu bilden.

Judit Muhari, die für die linke Tageszeitung Népszava Ungarns komplizierte Gewerkschaftslandschaft beobachtet, folgert daraus, dass inzwischen „der Interessenschutz endgültig gespalten zu sein scheint“. Der Umfang der Demonstration vor dem Parlament blieb letztlich überschaubar. Die Schätzungen schwanken zwischen 1.000- 1.500 und 5000 TeilnehmerInnen. Die höhere „Hausnummer“ geben die Organisatoren an. In einem ersten Beitrag sprach selbst die den Gewerkschaften eher wohlgesonnene Tageszeitung Népszabadság von einer „schwachen Kraftdemonstration“.

Enttäuscht zeigten sich die Demonstrierenden, dass ihre Petition nicht der Fidesz-Fraktionsvorsitzende entgegennahm, sondern nur zwei Vertreter schickte. Was deren Versprechen, künftig zu allen Gesetzen, die sich auf ArbeitnehmerInnen auswirken, vorher die Interessenvertretungen zu konsultieren, wert sein wird, muss sich erst noch in der Praxis erweisen. Fortsetzen wollen die vier Konföderationen ihre Aktionen unter dem Slogan „Nicht weiter“ auf jeden Fall. Dann vielleicht nicht an einem normalen Arbeitstag in der Mittagszeit.

Druck von unten durch neues Bündnis

Doch unter der Losung „Für Demokratie, soziale Sicherheit und Bewahrung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte“ schickt sich seit diesem Sommer ein „Aktionseinheit“ genanntes Bündnis von mittlerweile 70 Branchen- und Betriebsgewerkschaften, Zivilorganisationen und Sozialverbänden an, den Konföderationen den Rang abzulaufen. Wahrgenommen werden möchte das Bündnis als „Initiative von unten“. Das erklärte einer seiner Sprecher der Vorsitzende der Interessenschutzorganisation der bewaffneten und Ordnungskräfte (FRDESZ), Péter Kónya, vor der Presse.

Dass seine Gewerkschaft das kann, hat sie bei einigen Demonstrationen in der ersten Jahreshälfte, vor allem bei der „Revolution der Clowns“, bewiesen. Auf die sechs Konföderationen wolle man sich nicht mehr verlassen, sondern das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen; denn „bei der gegenwärtigen Struktur der Gewerkschaftsbewegung und unter der Mitwirkung ihrer jetzigen Führer ist ein breiter Zusammenhalt nur schwer hinzubekommen.“  Vielleicht ist es kein Zufall, dass ein anderer Sprecher der “Aktionseinheit“, Tamás Székely, Vorsitzender der Chemiegewerkschaft (VDSZ), am Wochenende vor der Demonstration der vier „kooperierenden“ alten Konföderationen, noch einmal bekräftigt, dass die Protestaktionen des Bündnisses frei von Parteipolitik sein würden.

“So geht´s nicht weiter”, finden diese Gewerkschafter am Montag. Das könnte auch für die Zerstrittenheit der Konföderationen untereinander gelten.

Warum D-Day?

Auch kämpfe man nicht gegen, sondern für etwas, nämlich die „Wiederherstellung der in Europa allgemein anerkannten Gewerkschaftsrechte“. Im Unterschied zu den Konföderationen will die gewerkschaftliche „Aktionseinheit“ sich nicht auf Einzelaktionen beschränken, sondern vom 29. September an, die Organisatoren sprechen vom gewerkschaftlichen D-Day, eine Serie von Sitzstreiks auf öffentlichen Plätzen, halbseitigen Straßenstilllegungen, Großkundgebungen und öffentlichen Anhörungen derer, die bereits die Folgen der bisherigen Regierungspolitik spüren, organisieren. (siehe auch: Heißer Herbst) Die Form, in der die „Aktionseinheit“ vom öffentlichen Raum Besitz zu ergreifen beabsichtigt, wirkt spektakulärer als die Menschenkette um das Parlament herum. Und die Dauer der Aktionen will man von der Unterstützung durch die Mitglieder der beteiligten Organisationen abhängig machen. Grundsätzlich ist die „Aktionseinheit“ aber auf zeitlich unbefristete friedliche Proteste eingestellt, die so lange anhalten sollen, bis Regierung und Arbeitgeber auf ihre Forderungen eingehen. Zum Beispiel:

- Gerechte Verteilung der Lasten
- Aufhebung von rückwirkenden Gesetzen
- Modifizierung des Arbeitsgesetzbuches nur im Einvernehmen mit den Sozialpartnern
- Verfassungsmäßiger Schutz der altersbegünstigten Rente und der Dienstpension
- Wiederherstellung des dreiseitigen sozialen Dialogs und des Streikrechts
- Keine Schmälerung der Gewerkschaftsrechte

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Warum  die „Aktionseinheit“ für ihre geplante Aktionsserie ausgerechnet den Begriff D- Day gewählt hat, der doch mit der Landung der alliierten Truppen in der Normandie im Juni 1944 verbunden ist, begründete Péter Kónya, ein Offizier höheren Ranges, so: Es sei der Tag, „der endlich den Frieden nach Europa brachte“. Den sozialen Frieden nach Ungarn zurückzubringen, wäre demnach wohl das Ziel der Proteste des gewerkschaftlichen D-Days. „Wenn gegenseitige Verpflichtungen, so etwa im Arbeits-, Sozial- und Bildungssystem vom Staat einseitig gekündigt werden, lockert er die Bindung zu seinem Vertragspartner, dem Bürger. Appelle an das Verantwortungsgefühl des Bürgers sind ein untaugliches Mittel, wenn man den eigenen Verpflichtungen nicht nachkommt“, schrieb kürzlich der Soziologe Hans Georg Soeffner und dachte dabei nicht nur, aber vor allem an die britische Staatskrise.

Der Traum von der schrittweisen Einheit der Gewerkschaften ist
fast so alt wie ihre Zersplitterung Realität ist

Nach der politischen Wende vor mehr als zwei Jahrzehnten war es nie einfach, sich in der zerklüfteten Gewerkschaftslandschaft Ungarns mit ihren sechs Konföderationen und den zahllosen dazugehörigen oder auch selbstständigen Branchen- und Betriebsgewerkschaften zurechtzufinden. Erklärungsbedürftig bleibt die Lage auch jetzt, wo sie doch so klar und unmissverständlich sein sollte. Die nationalkonservative Regierung von Viktor Orbán und seiner Fidesz- Partei plant ein neues Arbeitsgesetzbuch, das nicht nur den ArbeitnehmerInnen schwer zusetzen, sondern auch ihre Interessenvertretungen, die Gewerkschaften, „unmöglich machen“ würde.

So jedenfalls sehen es die Gewerkschaften selbst und zwar alle in geradezu beeindruckender Einmütigkeit. Eigentlich wäre das doch die beste Voraussetzung, um in schwieriger Situation zur Abwehr einer gemeinsamen Bedrohung trotz gegenseitiger Vorbehalte zur Aktionseinheit zu finden, mag der unbefangene Beobachter denken. Nun fehlte es tatsächlich im letzten halben Jahr nicht an Stimmen aus den verschiedenen ungarischen Gewerkschaften, die genau das anmahnen. Selbst das Modell einer „Schirmorganisation“ wurde reanimiert, das bereits vor knapp zehn Jahren schon einmal angepeilt worden ist. Unter dem Schirm sollten die sechs Konföderationen sich sammeln, um unstrittige Aufgaben gemeinsam umzusetzen.

Der Traum von der schrittweisen Einheit der Gewerkschaften ist also fast so alt wie ihre Zersplitterung Realität ist. Wie oft war in all den Jahren der Satz zu hören: „Sechs Gewerkschaftsbünde in einem Land von 10 Millionen sind zu viele“. Doch geschehen ist wenig, um das zu ändern.

Gewerkschaftliche Konkurrenz schadet gemeinsamen Interessen

Eine komfortable Ausgangslage für jede Regierung gleich welcher Couleur. Auch in den gut zwanzig Jahren des tripartiten sozialen Dialogs, den die gegenwärtige Regierung außer Kraft gesetzt hat, gab es immer wieder von Seiten der Regierung Angebote einer „privilegierten Partnerschaft“. Und es gab ebenso Gewerkschaften, die darauf eingingen, um sich gegenüber  anderen einen Vorteil zu verschaffen. Das sollte nicht vergessen werden, wenn das jüngste Beispiel zur Sprache kommt. In den zwölf Regierungsjahren der Sozialisten zählten jedenfalls weder LIGA- Gewerkschaften noch Arbeiterräte zu deren „privilegierten Gesprächspartnern“ auf der Gewerkschaftsseite.

Jetzt waren die beiden alternativen Gewerkschaftskonföderationen des Systemwechsels die „glücklichen Auserwählten“. Wenn schon überhaupt Gespräche mit Gewerkschaften, so denken nun einmal die selbst ernannten und mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament ausgestatteten „Vollender des ungarischen Systemwandels“ von Fidesz, dann vielleicht gerade noch mit diesen. Nur so kam es, dass diese beiden Bünde kürzlich an einem Gespräch über das geplante Arbeitsgesetzbuch mit den drei wichtigsten Arbeitgeberverbänden teilnehmen durften, zu dem der für Beschäftigungspolitik zuständige Staatssekretär ins Ministerium für Nationale Wirtschaft eingeladen hatte. Der begründete dann seine „Auswahl“ vor der Presse auf eine Weise, dass die „Ausgegrenzten“ sich erst recht gedemütigt fühlen durften: „Verhandelt wurde nur mit den Gewerkschaften, die offen für den sachlichen Dialog waren“.

Die "alten" Gewerkschaften werden bewusst geschnitten

Ganz bewusst wurden demnach die vier Bünde der reformierten alten Gewerkschaften – Ungarischer Gewerkschaftsbund (MSZOSZ), Konföderation Autonomer Gewerkschaften (ASZSZ), Gewerkschaftliches Kooperationsforum (SZEF) und Gewerkschaftliche Vereinigung der Intelligenz(ÉSZT)-, außen vorgelassen. Allen vier gemeinsam ist, dass sie eine Vorgeschichte im vergangenen politischen System und sogar darüber hinaus haben. Mangelnde Verhandlungsbereitschaft mochte auch der LIGA- Vorsitzende István Gaskó diesen Konföderationen nicht unterstellen. Ganz im Gegenteil, vor einigen Wochen erklärte er noch gegenüber der linken Tageszeitung Népszava, dass gerade sie es seien, die um jeden Preis auf Verhandlungen mit Regierung und Arbeitgebern bestünden und wohl auch eher zu Zugeständnissen bereit wären.

Die Erklärung der LIGA- Gewerkschaften auf ihrer Internet-Seite mit der frohlockenden Botschaft in der Titelzeile - „Das Eis ist gebrochen - begonnen haben die dreiseitigen Verhandlungen über das Arbeitsgesetz“ - war kaum geeignet, neu aufkeimendes Misstrauen bei den „ausgegrenzten Konföderationen“ zu zerstreuen. Mit keiner Silbe geht die LIGA darauf ein, warum sie das Gesprächsangebot angenommen hat. Auch findet sich kein Hinweis darauf, dass sie gefordert hätte, die anderen Konföderationen an den nächsten Gesprächsrunden zu beteiligen, um aus einem „Sondierungsgespräch“ einen echten dreiseitigen sozialen Dialog neu zu entwickeln.

Mehr als ein Sondierungsgespräch war das Treffen ohnehin nicht, weil sich keine Seite in substanziellen Fragen festgelegt hat. Immerhin scheint man sich aber über die Zielrichtung einiger Veränderungen des Gesetzentwurfs verständigt zu haben. Imre Palkovics, Vorsitzender der Arbeiterräte, glaubt darum, dass sich nach diesem ersten Gespräch die Chance für ein Arbeitsgesetzbuch vergrößert habe, das sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft als auch die Sicherheit der ArbeitnehmerInnen fördere.

Der „Alleingang“ von LIGA und Arbeiterräten bei dem „dreiseitigen Gespräch“ im Ministerium für Nationale Wirtschaft könnte also auch so interpretiert werden, dass die beiden Konföderationen jede sich bietende Chance nutzen wollten, um das  neue Arbeitsgesetzbuch im letzten Moment wenigstens etwas zu „entschärfen“. Kommen wird es in jedem Falle, weil die Regierungspartei ihre Zweidrittelmehrheit –wie sie das in anderen Fällen bereits bewiesen hat- auch bei diesem Gesetz als uneingeschränkte politische Gestaltungsmöglichkeit anzuwenden gedenkt. Das neue Arbeitsgesetz wird im nächsten Jahr in Kraft treten und muss daher jetzt, in der Herbstsitzungsperiode des Parlaments, verabschiedet werden.

Sogar die Arbeitgeber bieten Gespräche an

Dass es aber in der Zusammenarbeit mit der Fidesz- Regierung keine berechenbaren Größen gibt, durften LIGA- Gewerkschaften und Arbeiterräte erst vor zwei Wochen erfahren. Der Minister für Nationale Wirtschaft sagte die Einladung zu ihrer internationalen Konferenz über das Arbeitsrecht ab und benannte auch keinen Vertreter, obwohl die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) und der Vizegeneralsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EMB) neben den Spitzenvertretern der beiden größten ungarischen Arbeitgeberverbände ihre Teilnahme zugesagt hatten. Auch das charakterisiert die Arroganz dieser nationalkonservativen Regierung, die über eine Machtfülle verfügt wie keine andere Regierung eines EU- Landes.

In der Konferenz kam es unter Beteiligung aller sechs Konföderationen immerhin zu einem höchst interessanten Angebot der Arbeitgeberseite, in der Wettbewerbssphäre den zweiseitigen Dialog von Arbeitgebern und Gewerkschaften auszubauen. Ein ausreichendes Potenzial an gemeinsamen Interessen sei durchaus vorhanden. Sándor Demján, Präsident des Landesverbandes der Unternehmer und Arbeitgeber (VOSZ), betonte, dass sein Verband weniger an einer stärkeren Rolle der Betriebsräte als vielmehr an starken Gewerkschaften mit „möglichst vielen Mitgliedern in den Betrieben“ interessiert sei. Anders als die Gewerkschaften, so begründete Demján seine Haltung, falle nämlich der Betriebsrat aus dem „demokratischen tripartiten System“ heraus. Diese Aussage dürfte den Nerv der sechs anwesenden Konföderationen sicher getroffen haben.

Unter europäischen Schirm sind Ungarns Gewerkschaften einig

Und noch etwas hat diese Konferenz gezeigt. Immer dann, wenn die sechs Gewerkschaftsbünde im Rahmen ihrer internationalen oder europäischen Verbindungen agieren, geben sie der ungarischen Öffentlichkeit gegenüber ein Bild der Geschlossenheit ab, das ihnen sonst in der Alltagsarbeit nicht wirklich überzeugend gelingen will. Das war im Frühjahr bei der eindrucksvollen Eurodemonstration in Budapest schon so und es wiederholte sich wenige Tage nach der internationalen Konferenz von LIGA und Arbeiterräten im Gespräch mit dem EU- Kommissar für Arbeit und Soziales, László Andor. Dort war auch die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), Bernadette Sègole, zugegen.

Der ungarische EU-Kommissar sagte zu, dass die EU-Kommission das neue Arbeitsgesetzbuch daraufhin überprüfen werde, ob es dem europäischen Recht entspreche. Gleichzeitig hob er hervor, dass die Europäische Union auf dem Grundsatz des sozialen Dialogs aufbaue, die EU- Kommission mit den Vertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer den permanenten Dialog pflege und gemeinsam entwickelte Vereinbarungen der beiden Sozialparteien als europäisches Recht akzeptiere. Die ungarische Regierung mahnte er, - ganz im Sinne aller Gewerkschaftskonföderationen - dieser europäischen Praxis zu folgen. Inzwischen haben sich die Sechs auch noch in einem gemeinsamen Schreiben an den Generalsekretär der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gewandt und um Stellungnahme zu möglichen Verletzungen von ILO- Konventionen in dem ungarischen Gesetzentwurf gebeten. Als „ersten Schritt“ regen sie eine tripartite Konferenz unter Beteiligung der Regierung und der Sozialpartner an, die das Budapester Regionalbüro der ILO zur offenen sachlichen Aussprache über die umstrittenen Punkte des beabsichtigten neuen Arbeitsrechts ausrichten solle.

Allein auf sich gestellt ziehen die Konföderationen sich dann wieder gern in ihre Wagenburgen zurück, pflegen ihre Lagermentalität und lassen sich von ihren Beißreflexen leiten. So schien es zunächst, dass sich die LIGA- Gewerkschaften an der von den „vier kooperierenden“ alten Konföderationen initiierten Menschenkette um das Parlament beteiligen würden, bis sich herausstellte, dass die bei den letzten Wahlen abgestrafte Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) dazu stoßen wird. Für die LIGA- Gewerkschaften war das der Anlass, sich von der Aktion, deren Anliegen sie aber weiterhin teilt, zurückzuziehen.

Die verärgerte Reaktion des MSZOSZ- Vorsitzenden Péter Pataky, eines der Initiatoren der Menschenkette, es handele sich um ein „vorgeschobenes Argument“, weil die Menschenkette doch trotz Teilnahme der MSZP eine gewerkschaftliche Aktion bleibe, mag zwar verständlich sein, erklärt aber den aktuellen Konflikt nicht. Sich frei von Parteipolitik zu halten, ist nämlich wesentlicher Inhalt des „Mythos“ der LIGA, die sich 1988 – wie übrigens bald darauf auch der Landesverband der Arbeiterräte - als demokratische Alternative zum parteistaatlich gelenkten Gewerkschaftsmodell gründete. Die LIGA hat sich daher schon von Mitgliedsorganisationen getrennt, die gegen den Grundsatz der parteipolitischen Distanz verstoßen haben und nach wie vor besteht sie auf der Unvereinbarkeit von Partei- und Gewerkschaftsmandat.

Gerade dieses Beispiel zeigt, wie wichtig für eine künftig gesicherte Aktionseinheit die gemeinsame Aufarbeitung der Missverständnisse und Fehler in den Beziehungen der sechs Konföderationen nach der Wende wäre.

Rainer Girndt

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