(c) Pester Lloyd / 40 - 2011 WIRTSCHAFT 06.10.2011
Verlorene Zeit
KMU: wie die Regierung in Ungarn ihre größten Hoffnungsträger enttäuschte
Der ungarische Mittelstand sollte es eigentlich richten. Die "Besinnung auf die eigenen Kräfte" zur "Gesundung Ungarns" war eine der vernünftigsten Ansätze in der
Wirtschaftspolitik der Fidesz-Regierung. Was ist aus dem "Neuen Széchenyi Plan" und den großen Ankündigungen geworden? Im Mittelstand herrscht Frust, es geht nichts
vorwärts, beim Geld, den Aufträgen, den Arbeitskosten und dem Bürokratieabbau. Versprechungen überwiegen die Taten, auch die Vetternwirtschaft besteht weiter,
nur die Verwandschaftsverhältnisse sind neu.
Der Entwicklung der Klein- und
Mittelbetriebe, die derzeit in Ungarn rund 15% des BIP erwirtschaften und für 400.000 Arbeitsplätze stehen (in gesunden Volkswirtschaften sind es 40-50%) sollte ein "einfaches,
transparentes" Steuersystem dienen, die Entlastung von unnötiger Bürokratie, ein neues "transparentes" System öffentlicher Beschäftigung, übergangsweise auch die Subvention
von neuen Arbeitsplätzen.
Im Zentrum der Mittelstandsförderung
steht dabei der "neue" Széchenyi-Plan. Unter der Etikettierung eines großen ungarischen Modernisierers sollten die EU-Milliarden neu organisiert, notfalls
umgewidmet werden, weg von der Einseitigkeit infrastruktureller Großprojekte, die überwiegend ausländischen Großkonzernen und einheimischen Seilschaften zu enormen
Gewinnen verhalfen, hin zur Förderung kleinteiliger, regionaler, lokaler Unternehmen mit nachhaltigen Entwicklungsperspektiven. Die staatliche Entwicklungsbank und weitere
Programme sollten die Kreditklemme bei den Geschäfsbanken wenigstens lindern, ein Bodenfonds die "Beackerung der eigenen Scholle" für Jungbauern fördern, die angeblich ausufernde Spekulation durch Ausländer mit ihren einheimischen Strohmännern beenden.
Natürlich geht der Anspruch, dem ungarischen Handwerk und dem Innovationsgeist auf die
Beine zu helfen, nicht ganz ohne die Gefahr von Protektionismus ab, auch die Förderung der eigenen Spezies ist wohl nicht auszuschließen. Gelänge jedoch die Stärkung eines breit
gefächerten Mittelstandes, ertrüge man diese Kolletarlschäden gern, nähme sie wenigstens hin.
Umfrage: Zwei Drittel fürchten größere Krise als 2008
Doch wie sieht die Realität heute aus? Das Forschungsinstitut Ipsos startete dazu eine
Umfrage unter 700 Klein- und Mittelunternehmen (KMU) und kommt zu dem Schluss, dass die meisten von ihnen für die Zukunft mit einer noch größeren Krise rechnen als jener,
die seit 2008 das Land verheehrt. Während noch vor einem Viertel Jahr lediglich jeder Dritte KMUler mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen rechnete, sind
es nun 64%, eine Zweidrittelmehrheit, die sich Fidesz wohl nicht gewünscht hatte. Das Lager der Optimisten hat sich von 32 auf 11% verkleinert. Das führt zwangsläufig zu einer
gefährlichen Einigelungstaktik der Unternehmer. Dreiviertel planen aufgrund des ungünstigen Umfeldes keine, über die Aufrechterhaltung der Produktionsfähigkeit
hinausführenden Investitionen. Die Manager haben ihre ganz eigene Inflationsprognose. Während die Regierung von 4-4,5% im nächsten Jahr ausgeht, rechnen die Unternehmer mit fast 10%.
Steuererleichterungen nutzen nichts bei fehlenden Umsätzen
Wo klemmt es bei der Umsetzung der hehren Regierungsziele, woher kommt dieser
Pessimismus? Liegt es, wie von Orbán und seinen Hausökonomen stur behaupten, an der "andauernden Krise im Euroraum", dem globalen Irrweg, der Abhängikeit der Real- von
einer außer Kontrolle agierenden Finanzwirtschaft? Ja, auch. Aber nicht nur. Halten wir fest: die Absenkung der Körperschaftssteuer auf 10% (vorher 19) und die Anhebung der
Steuerbasis auf Jahresgewinne bis zu 500 Mio. Forint (vorher 50) ist ein richtiger Schritt, bringt aber den Staatshaushalt in Bedrängnis, vor allem dann, wenn und weil der erhoffte
Wachstumsschub ausbleibt. Die Flat tax auf Einkommen, 16%, klingt schön, bringt aber einige Probleme mit sich, zumal die vollständige Umsetzung auf sich warten lässt.
Kosten der Arbeit sinken nicht, im Gegenteil
Neue Haushaltslöcher, die u.a. durch dieses Geschenk an die Besserverdienenden
entstanden sind, werden durch famose Übergangsregelungen notdürftig gestopft, die die Flat tax ad absurdum führen und die Kosten von Arbeit sogar verteuern, statt sie zu
verbilligen. So zahlen die Arbeitgeber ab 2012 1-1,5% Prozentpunkte mehr Sozialabgaben, damit die unteren Einkommensschichten nicht noch mehr draufzahlen müssen. Die
Berechnungsgrundlage für diese wird auch für die Mindestlohn-Angestellten auf das 1,5 fache des Mindestlohnes erhöht, der Mindestlohn selbst wiederum um 18% angehoben.
Ergebnis: die unteren Einkommen verschlechtern sich lediglich nicht weiter, der Arbeitgeber hat höhere Kosten, überlegt sich automatisch Neueinstellungen gründlicher.
Zusätzlich bedroht der Staat all jene Unternehmen mit dem Entzug öffentlicher Aufträge,
die nicht "freiwillig" zumindest bei der Hälfte der Geringverdienenden die Gehälter über den "Break even" anheben. Lohndiktat also. Freilich: die Praxis, Angestellte auf
Mindestlohn einzustellen und den Rest schwarz auszuzahlen, hat den Staat u.a. in diese Zahlungsshwierigkeiten gebracht. Andererseits war und ist es für die meisten Arbeitgeber
schlicht unleistbar, volle Gehälter zu zahlen, bei einer Steuer- und Abgabenquote weit jenseits des Bruttolohnes. Ein Teufelskreis, der bis heute nicht durchbrochen wurde, weil
sich der Staat im Überschwang seines Sendungsbewußtseins einmal wieder verhoben und verrechnet hat.
Kaum Protest gegen den Irrsinn
Mit einem für “Hunderttausende” kakulierten Arbeitsbeschaffungsprogramm für
Sozialhilfeempfänger, einer schlichten Beschäftigungstherapie ohne Job- oder Fortbildungsperspektiven macht der Staat unter dem doppelt-zynischen Motto “Wer
arbeiten kann, wird auch arbeiten” sowohl dem Mittelstand Konkurrenz (die Leute erhalten 20.000 Forint mehr als die 28.000 HUF Sozialhilfe, daraus werden dann nach
Abgaben 36.000 auf die Hand, rund die Hälfte des Nettos beim gesetzlichen Mindestlohn) und nimmt gleichzeitig ganzen Regimentern von “Humankapital” die Chance, sich für den
ersten Arbeitsmarkt irgendwie zu qualifizieren. Der Protest gegen diesen Irrsinn aus dem Arbeitgeberlager ist unverständlich winzig. Mag sein, dass die Lobby der Mittelständler
nicht über die Macht verfügt, wie die der Konzerne und Banken.
Förderungen kommen nicht im Mittelstand an
Aber wie sieht es mit den Förderpaketen des Széchenyi-Planes aus? Das Programm für die
Subventionierung von neuen Arbeitsplätzen läuft, aber auf kleiner Flamme, KMU´s nutzen das eher als eine Art zweiter Zeitarbeitsschiene. Läuft die Mindestdauer der Subvention
ab, gehen die Mitarbeiter oder landen wieder im Mindestlohn+Restschwarz-Modell. Wenn die Konjunktur nicht mitzieht, nutzt das tollste Staatshilfsprogramm nichts, auch keine
neue Erkenntnis. Die Arbeitsmarktzahlen belegen, dass der Abwärtstrend nur verlangsamt wird, von einem Aufschwung, der damit eigentlich bewirkt werden sollte, ist nichts zu sehen.
Seit Monaten werden viele PPP-Projekte ausgelöst, für viel Geld, EU-kofinanzierte
Projekte abgesagt, neue aufgesetzt, etliche Unternehmen profitieren und es gibt zum Teil wundersame Aufsteiger, von denen man vorher noch nichts gehört hatte, die nun zu
regionalen Playern geworden sind. Beschaut man sich die handelnden Personen und deren Freudneskreis genauer, erkennt man, dass sich nicht das System gewandelt hat, sondern
nur die Gruppe der Bevorzugten eine andere ist. Traurig, aber wahr. Im Falle des Innenministers, bzw. seiner "ehemaligen" Sicherheitsfirma, macht man sich nicht einmal
mehr die Mühe umständlicher Vertuschung.
Was die Förderung "innovativer, zukunftsweisender Technologien" betrifft, also vor allem
Erneuerbare Energien, Biotech etc., kann man weiterhin von einem staatlich beaufsichtigten Stillstand sprechen. Es werden zwar immer wieder Biogasanlagen, neulich
auch ein Solarpanel-Werk, eröffnet, aber die Marathon-Hürdenläufe, die Blockade und die Freunderlwirtschaft bei der Genehmigung von Windparks und ähnlich gelagerten
Projekten, haben bereits etliche potentielle Investoren abgeschreckt, wie wir aus erster Hand wissen. Erneuerbare Energie, bei denen gerade Ungarn ein enormes Potential hat,
wird hierzulande ein Stiefkind bleiben, denn die ungarische Regierung hat sich laut und deutlich für die Staatskinder MOL, MVM und die Atomkraft, also den konventionellen Weg
als "zukunftsweisend" entschieden.
Kreditklemme bleibt beklemmende Realität
Wie bei allen Mittelständlern, ist die Eigenkapitalausstattung und die Kapitalbeschaffung
das kritischste Thema. Dass sich die Kreditvergabe seit der Finanzkrise unter restriktiveren Bedingungen gestaltet, sich die Banken also nur noch "abgesicherter"
Kundschaft annehmen, ist klar. Ziemlich kontraproduktiv wirken da die Beschlüsse dieser Regierung, die den Banken höhere Steuern und Kapitalbedarf aufzwingen, zur
erleichterten Kreditvergabe in den produktiven Bereich kann man sie nicht zwingen, auch die Zinsentwicklungen beim Forint sehen für die Zukunft ungünstig aus. Wie immer man
zur Gerechtigkeitsfrage hinsichtlich der Verantwortung bei Forex-Krediten stehen mag, was hinten bei rauskommt, nutzte den KMU bisher nichts.
Minister der leeren Worte
Sowohl das neue Gesetz über die öffentliche Auftragsvergabe, die Ausschreibungen
(Chefankündiger hier Justiz- und öffentlicher Dienst-Minister Navracsics) als auch die Entlastung der Unternehmen von Bürokratie etc. um 800 Mrd. Forint im Jahr (O-Ton von
Nationalwirtschaftsminister Matolcsy) wurden bereits mehrere Male verschoben.
Was müsste geschehen?
Statt sich auf so vage wie gefährliche, chinesische oder saudi-arabische "strategische
Partnerschaften" einzulassen, empfehlen wir den Blick in Länder mit einem blühenden Mittelstand. Da der es dort auch nicht leicht hat, wären Kontakte zu potentiellen Partnern
angebracht, von denen beide profitieren könnten, auf der einen Seite durch Kostenersparnis, die Freiräume für neue Innovationen (R&D) im Heimatland schafft, auf
der anderen durch Know-how und Kapital. Die Wirtschafskammern allein schaffen das nicht, hier gäbe es, wenn es gut vorbereitet wird, noch viel mehr Kontaktnachfrage, der
Staat könnte hier helfend eingreifen, müsste dabei aber über den ideologischen Schatten springen, zu glauben, alles "allein" schaffen zu können.
Kreditbürgschaften für Kleinunternehmer können helfen, statt den lokalen
Immobilienmarkt zu pushen (Kreditablösegesetz), sollten gezielte Branchenfonds geschaffen werden, Equity-Kapital aus mehreren Quellen wird gebündelt und nach
Marktbedingungen vergeben, wobei hier der Staat die Sicherheit gibt, damit auch junge Unternehmen eine Chance bekommen. Im übrigen: all dies gibt es schon, aber
inkonsequent, fraktioniert oder schlicht zu klein dimensioniert. Eine Befreiung von Sozialbagaben für Angestellte von Gründerfirmen für die ersten 3-5 Jahre (man kann bei
entsprechender Expertise hier schnell auch Scheinfirmen erkennen und Missbrauch einschränken) sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Dies alles wäre wichtiger
gewesen als die Entlastung der 30% Besserverdiener, die ihr Geld ohnehin nur sparen oder ins Ausland tragen, wie die Zentralbank ernüchternd feststellte.
Überhaupt wäre der Dialog der Regierung mit den Betroffenen ein angemessener erster
Schritt, leider findet der bisher nur über das Finanzamt statt. Hauptsache aber, man hat eine christliche Verfassung, einen Trianon-Gedenktag, sämtliche demokratischen "Organe"
und die Medien unter Kontrolle, ein Arbeitsrecht aus dem 19. Jahrhundert, an dessen Konsistenz sogar die Arbeitgeber zweifeln und ein paar Prozesse gegen die Vorgänger
geschaffen. Für die KMU waren die ersten eineinhalb Jahre Orbán-Regierung verlorene Zeit, länger sollte er seine größten Hoffnungsträger nicht hinhalten, zumal sich die
Rahmenbedingungen für einen Aufschwung weiter verschlechtern, je länger man wartet.
red. / js. / ms.
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