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(c) Pester Lloyd / 48 - 2011  KULTUR 01.12.2011

 

Final Cut

Die Filmförderung in Ungarn als Instrument der Zensur - Interview

"Es ist ein ganz schönes Durcheinander und alles absolut ungewiss." So lautet das Urteil des Regisseurs Bálint Márk Túri über die neue staatliche Filmförderbehörde. Wir sprachen mit ihm über die Notwendigkeit der Neuordnung, Zensurängste, das Recht des "letzten Schnitts" und die Rolle des Rambo-Produzenten in der neuen Struktur. Wird in Ungarn zukünftig nur noch "publikumsfreundlicher" Mainstream und "nationales Kulturgut" gefördert?

Ungarische Filmkünstler als Pausenclowns eines düsteren cineastischen Staatszirkus`? Szenenfoto aus dem Film “Tiki” unseres Interviewpartners Bálint Márk Túri, der bei der letzten Filmwoche präsentiert wurde. Die anderen Bilder sind Werksfotos von der Entstehung des Films.

Die staatliche ungarische Filmförderung MMKA wurde im Frühjahr hochverschuldet aufgelöst. Sie diente einem Kreis Eingeweihter jahrelang als Selbstbedienungsladen. So konnte es nicht weitergehen. Dankbar nahm die neue Regierung den Zustand der Stiftung zum Anlass, ein "neues System" zu erschaffen und alles in ihrem Sinne umzukrempeln. In Zukunft kontrolliert eine staatliche Behörde, die MNF, diesen Teil der Kulturlandschaft. Premier Orbán holte sich für die Details der neuen Struktur Starproduzent Andrew G. Vajna aus Hollywood, der Werke wie "Rambo" und "Terminator" produziert hatte.

Sein Auftrag: Transparenz der verausgabten Gelder, gleichzeitig aber auch Schaffung möglichst großer Kontrolle über die Inhalte. Filme, die gefördert werden, sollen von "nationalem Interesse" sein, wie alles im Lande. Vor kurzem konnte Vajna Vollzug melden. 2012 werden Filme, Vorführungen und Festivals für rund 5,6 Milliarden Forint (18 Mio. EUR) gefördert, aus Mitteln der staatlichen Lottogesellschaft sowie aus den Resten des heurigen Budgets. 2013 werden es dann wahrscheinlich nur noch 4 Mrd. HUF sein.

"Es ist realistisch mit dem Geld 8 bis 10 Filme im Jahr zu fördern", sagte Vajna am Dienstag auf einer Medienkonferenz in Balatonalmádi und legte nach, dass "zehn Filme, das Maximum für die Kapazitäten der ungarischen Drehbuchschreiber und Talente" sein dürfte. Er bedauerte, dass in diesem Jahr nur "1-2 Projekte" gefördert werden konnten, dafür habe man nun "ein besseres System".

Das sieht unter anderem so aus: ein Punktesystem entscheidet, welche Drehbücher Förderung erfahren, wobei die "kulturelle Message" rüberkommen muss, wie sich Vajna einmal kryptisch ausdrückte. Insider sind sich indess einig: Der Zug fährt klar in Richtung Mainstream und "Nationalkino" - und: die MNF wird sich das Recht des "final cut" also der Kontrolle über die letztendliche Version vorbehalten, was schlicht Zensur bedeutet.

Wir sprachen über dieses Thema mit dem jungen ungarischen Regisseur Bálint Márk Túri, der sich vor allem im Bereich Kurz- und Experimentalfilm ("Pogácsa", "Tiki") betätigt und nur deshalb zu einem solch offenen Gespräch bereit war, weil er ausländische Auftraggeber hat und nicht von der Gunst der heimischen Filmförderung abhängt.

Wie notwendig war die Schaffung eines neuen Systems der Filmförderung?

Sie war unvermeidbar. Auf lange Sicht hätte die MMKA nicht bestehen bleiben können. Es wurden Gelder versprochen, die nie da waren bzw. in schwarzen Löchern verschwunden sind. Produzenten haben aufgrund von Zuschussbestätigungen, die nie eingelöst wurden, Kredite bei Banken aufgenommen und mit ihrem Eigentum dafür gebürgt. Das war unverantwortlich. Die MNF hat ein klareres Konzept und Limit für die Finanzierung von Projekten und plant sogar, damals aufgenommen Kredite anteilig bei Banken und Kreditnehmern zurückzahlen. Ob das dann auch so kommt, kann man aber nicht wissen. Im Unterschied zur Stiftung MMKA ist die MNF  viel zentralisierter und autokratisch strukturiert.

Wie geht die Filmszene mit dieser Neuordnung um?

Es ist klar gewesen, dass ein neues System her musste. Osteuropäische Kollegen hatten das ungarische Filmfördersystem zwar gelobt, aber es hat nicht funktioniert. Jetzt haben wir ein zentralisierteres und geschlosseneres System, welches zwar transparenter operieren soll, aber in dem die Macher der Filmszene keine Stimme mehr haben. Die Entscheidungsgremien sind abgeschafft worden, der Staat kann jetzt allein bestimmen. Es wurden mehrere offene Briefe geschrieben und protestiert, aber alles wurde ignoriert. Es ähnelt sehr dem Újszínház-Skandal (wo eine Entscheidung aus politischen Gründen gegen den Rat von Fachleuten durchgesetzt worden ist, Anm.)

Hat man mit Vajna eine gute Entscheidung getroffen?

Er hat einen ganz anderen Hintergrund und nie etwas mit der ungarischen Filmszene am Hut gehabt. Das kann gut und schlecht sein. Immerhin hat er ungarische Mitarbeiter und Berater, die aus der ungarischen Filmszene kommen. Das Problem ist aber weniger seine Person, sondern die Tatsache, dass alle Entscheidungen in einer Hand liegen. Er tritt immer als Mittler auf und ich nehme ihm auch ab, dass er keine politische Agenda hat, sondern erfolgreiche, zuschauerfreundliche Filme produzieren will.

...also kein Ombudsmann der Regierung ist?

Hoffentlich. Der jetzige Chef der NKA (Nationale Kulturförderung, Anm. d. Red.) László L. Simon ist zum Beispiel FIDESZ-Mitglied. Er wird wohl nicht völlig von Parteipolitik unbeeinflusst agieren können.

Könnte das Vajna auch passieren?

Dass Vajna eine Marionette wird, glaube ich nicht. Ich denke eher, wenn er unliebsame Entscheidungen trifft, er vorzeitig aus dem Amt entlassen wird und ein „genehmerer“ Leiter seinen Posten übernimmt.

Er erklärte ja im Mai, dass Filmförderungen nach einem Punktekatalog vergeben werden um die Vergabe transparenter zu gestalten. Unter Anderem ist „die kulturelle Botschaft“ eines Films ein Kriterium. Was meint er damit?

Ja, das ist ein sehr weitgefasster Begriff. Ich denke das wesentliche Problem liegt wie gesagt darin, dass nach Vajna jemand auf den Posten gehoben werden könnte, der politisiert ist und mit Film eigentlich gar nichts am Hut hat. Somit kann eine „kulturelle Botschaft“ auch missbraucht werden z.B. zu Propagandazwecken.

Die neue Förderung sieht vor, dass das Recht des finalen Schnitts bei der Behörde liegen sollte. Das ließe ja einen gewissen Spielraum…

…ganz genau! Sollte es durchgesetzt werden, dass die Rechte daran bei der MNF liegen, dann führt das zu einer eindeutigen Verletzung der Rechte des Autors, des Produzenten und des Regisseurs. Das verstößt auch gegen EU-Recht. MNF will Filme für den internationalen Markt produzieren und die Menschen wieder für ungarische Filme ins Kino locken, das sind gute Ziele, aber das kann nicht gegen die künstlerischen Freiheit geschehen.

Besteht also die Gefahr von politischer Zensur?

Durchaus. Wenn die MNF sich das Vorecht herausnimmt Gelder zu verweigern, wenn der Film nicht überarbeitet wird, z.B. um gewisse Szenen herauszunehmen oder zu ändern, dann wäre das Zensur. Die MNF will Gremien die Filme sichten lassen und dann Änderungen vorschlagen. Das kann entlasten, aber birgt auch Gefahren. In Hollywood ist das auch bei privaten Produktionsfirmen durchaus üblich. In Europa gibt es selbst das nicht.

Das Beispiel Béla Tarr spricht ja auch für sich. Erst hat er sich öffentlich und auf internationaler Bühne über Ungarn aufgeregt, dann hat er alles kleinlaut zurückgenommen. (Hier unser Beitrag dazu)

Er hat schon ganz schön vom Leder gezogen. Nichtsdestotrotz wird auf Künstler aller Sparten sehr viel Druck ausgeübt. Ich kann es keinem verübeln, der dem Land den Rücken kehrt.

Wie wahrscheinlich ist es denn, dass dann auch „Auftragsfilme“ entstehen, so wie schon in der bildenden Kunst?

Das kann man nicht sagen. Das System ist so neu, es muss sich bewähren und wir können nur hoffen, dass es nicht ganz so arg schlimm wird.

Zeigt das neue System jetzt schon Schwachstellen?

Es will hauptsächlich Spielfilme fördern, die Grenze liegt da bei 70 Minuten. Alles was darunter liegt, wie Kurzfilme, wird grundsätzlich nicht gefördert. Die NKA vergibt künftig keine Gelder mehr an Filmproduktionen und der Medienrat fördert nur Filmprojekte und Dokumentationen für das Fernsehen. Förderungen aus mehren Töpfen sind auch nicht zulässig. Ich plane zum Beispiel derzeit ein Kurzfilmprojekt und dafür benötige ich einen Produzenten. Der jedoch wird Schwierigkeiten haben Gelder zu organisieren, da keiner mehr offiziell zuständig ist für diese Art Filmprojekte.

Also ist gar kein Spielraum da für experimentelle Filme und andere Formate?

Es sieht da sehr düster aus. Es scheint alles auf Mainstream-Produktionen hinauszulaufen.

Für nächsten September ist ja auch schon ein neues internationales Filmfestival geplant... (dazu hier mehr)

Wozu das gut sein soll weiß ich auch nicht. Ungarn hat schon seit 40 Jahren die etablierte "Nationale Filmwoche” im Januar und seit 12 Jahren ein internationales Filmfestival "Titanic" im April. Die Presse und das Fachpublikum haben einen strikten Jahresplan und klappern die Festivals nacheinander ab. Da kurzfristig noch eines zu organisieren macht gar keinen Sinn. Nächstes Jahr plant man die "Nationalen Festspiele" in das internationale Festival Titanic zu integrieren. Ob und wie das gehen soll, weiß keiner. Auch wollte man ein neues Filmfestival am Balaton organisieren und jetzt auch noch das in Budapest. Es ist ein ganz schönes Durcheinander und alles absolut ungewiss.

Das Gespräch führte Vivienne Kiss

 

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