(c) Pester Lloyd / 50 - 2011 FORSCHUNG 16.12.2011
Krieg – Gedächtnis – Identität
Neue Forschungen zu Mitteleuropa an der Andrássy Universität Budapest
An der Andrássy Universität in Budapest wurde 2010 eine bemerkenswerte Jungforscherinitiative gestartet. An der Fakultät für Mitteleuropäische Studien
führte eine Initiative des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung zur Einrichtung eines Doktorandenkollegs, um begabten Studentinnen und
Studenten innerhalb des PhD Programms eine forschungsgeleitete Promotion zu ermöglichen, die sich an internationalen Standards orientiert.
Um eine optimale Forschungssituation zu erzielen, wird bei jeder Ausschreibung dem
neuen Jahrgang ein Generalthema aus dem Bereich der mitteleuropäischen Geschichte vorgegeben, innerhalb dessen die geplanten Dissertationen verortet werden. Der erste
Jahrgang, der 2010 seine Arbeit aufgenommen hat, ist der Fragestellung „Krieg – Gedächtnis – Identität“ gewidmet, der zweite Jahrgang konzentriert sich auf Fragen des
„kulturellen Gedächtnisses“, der jüngste, im Herbst 2011 gestartete wiederum hat seinen Fokus unter dem Schwerpunkt „Gedächtnis und Identität“.
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Großes internationales Aufsehen erregt im Augenblick die weit fortgeschrittene
Dissertation von Georg Hoffmann, der sich mit Kriegsverbrechen in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs beschäftigt und dabei sein Augenmerk auf eine bis her nicht
bekannte „Mordzone“ entlang der heutigen österreichisch-slowenischen, österreichisch-ungarischen und österreichisch-tschechischen Grenze befasst. Sowohl
deutsche, als auch ungarische Stellen ermordeten systematisch alliierte Piloten, die bei ihren Einsätzen diesseits und jenseits der Grenzlinie abgeschossen und als Kriegsgefangene
völkerrechtswidrig gelyncht wurden. Dabei werden dramatische Spannungslinien auch innerhalb der Bevölkerung sichtbar. So sucht etwa ein ungarischer Aristokrat gefährdete
Menschen zu retten, während sein Nachbar, mit ihm vielfach verschwägert, diese Hilfsaktion denunziert und damit nicht nur die Kriegsgefangenen in den sicheren Tod,
sondern seinen Nachbar ins KZ treibt.
Konkrete Detailforschungen haben auch bisher unbekannte Massengräber und Einzelgräber
ermordeter Opfer dieser Endzeitverbrechen ans Tageslicht befördert. Erst dieser Tage wurde ein Massengrab ungarischer Juden im Raum Graz, das bislang völlig unbekannt war,
auf Grund dieser Forschungsergebnisse lokalisiert und zu einem Gedächtnisort gestaltet. Die Quellen für derartig komplexe Recherchen stammen aus den mitteleuropäischen
Archiven ebenso wie aus britischen und amerikanischen Archiven. An diesem komplexen Forschungsprojekt ist nicht nur Herr Hoffmann selbst, sondern auch Frau Nicole-Melanie
Goll beteiligt, die wiederum innerhalb des Doktoratskollegs an ihrer Dissertation über die die Kreation des „Kriegshelden“ im Ersten Weltkrieg arbeitet und deren Präsentation bei
einer internationalen Konferenz zum Ersten Weltkrieg auf ein sehr breites Echo stieß.
In diesem ausgesprochen arbeitsintensiven, aber ungeheurer kreativen Milieu sind
Studentinnen und Studenten aus Deutschland; Frankreich, Österreich, Rumänien und Ungarn zusammengeführt, die teilweise aus dem Masterstudienprogramm der Fakultät für
Mitteleuropäische Studien hervorgegangen sind. Gestützt auf unterschiedlichste Erststudien, diese reichen von Geschichte über Germanistik, Musikwissenschaft bis hin zu
politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen, haben alle ihren Sitz im Leben in einer profunden fachspezifischen und interdisziplinären kulturwissenschaftlichen
Ausbildung, die sie in ihr Doktoratsstudium miteinbringen. Exemplarisch sei dies abschließend noch am Beispiel von Frau Orsolya Lénárt gezeigt, die unter dem Titel „Das
Fremde und das Eigene“ das Bild Ungarns in Eberhard Werner Happels „Der Ungarische Kriegsroman“ analysiert.
Seit kurzem zählen Dr. Ursula Mindler und Dr. Richard Lein zum Team des
Doktoratskollegs, das von Dekan Professor Dr. Georg Kastner und Professor Dr. Dieter A. Binder geleitet wird. Dieser Tage erscheint unter dem Titel „Grenz-Setzungen im
Zusammenleben“ ein fast 500 Seiten umfassendes Buch, in dem Frau Mindler am Beispiel Felsőőr/Oberwart jüdische Geschichte in der ungarisch/österreichischen Provinz
nachzeichnet. Dieses Buch wird 2012 an der Andrássy Universität präsentiert werden.
http://www.andrassyuni.eu/
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