(c) Pester Lloyd / 08 - 2012 WIRTSCHAFT 20.02.2012
Alles beim Alten
Ungarns Energiestrategie ist kein Schritt nach vorn
Vergangene Woche wurde die finale Version der ungarischen "Energiestrategie 2030" veröffentlicht. Vermeintlicher Versorgungssicherheit wird alles untergeordnet,
Atomenergie behält "höchste Priorität" und wird dem Publikum als sicher und sauber verkauft. Beim Erdgas fährt man mehrgleisig und der Staat will möglichst überall
selbst mitmischen. Die Möglichkeiten der Erneuerbaren Energien werden dagegen nur punktuell genutzt.
Wie alle großen Pläne im heutigen Ungarn, strotzt auch die Energiestrategie von den
Worten "national" und "strategisch". Der Staat will in der Energiewirtschaft entscheidene
Marktanteile kontrollieren, was aus dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit zunächst einleuchten mag. Doch besteht dadurch auch die reale Gefahr des Protektionismus und der
Vernachlässigung von Innovation.
Der anmaßende Paternalismus, durch den sich diese Regierung auf vielen Politikfeldern
auszeichnet, findet auch im Energiepapier seine Fortsetzung. So heißt es etwas schwammig, dass man „Regierungsbeteiligungen und steigende Repräsentation des
öffentlichen Wohls" anstrebt, um "soziale Solidarität und nationales Interesse", gleichermaßen zu üben wie wahrzunehmen.
Murrend wird nachgeschoben, dass das dabei die "Wettbewerbsneutralität und die Regeln,
die eine demokratische Gesellschaft erfordert, beachtet.“ werden sollen. Auf Deutsch: wir wissen, was gut für das Land ist, wir machen, was wir für richtig halten, demokratische
und marktwirtschaftliche Spielregeln werden eingehalten - wenn es nicht anders geht.
Atomenergie als zentrale Wunderwaffe
Die Versorgungssicherheit wird dabei als argumentative Keule benutzt. Denn, was in
Ungarn als nationales Interesse gepriesen wird, bedeutet, dass einem einzelnen AKW in Paks mehr Fürsorge und Förderung zu Teil wird, als dem gesamten Erneuerbaren
Energiebereich. Kernenergie, der "höchste Priorität" auf Jahrzehnte eingeräumt wird, sei schließlich effektiver Klima- und Umweltschutz, lautet dazu der vorgestrige Standpunkt in
Budapest. Vermeintliche Versorgungssicherheit geht über alles, und außerdem leiste man so einen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen.
Der Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie wird dabei ausdrücklich begrüßt, weil
Ungarn glaubt, so leichter die Beibehaltung und den Ausbau der eigenen nuklearen Kapazitäten rechtfertigen zu können. Schließlich seien Engpässe zu erwarten und
außerdem kann man in Zukunft die eigene Energie gewinnbringend verkaufen, womöglich zum "regionalen Player" aufsteigen, während Deutschland Mühe haben wird, den Wind
einzufangen und die Sonne zu zähmen. Die Verlängerung der Laufzeiten der alten russischen Reaktoren und die Erweiterung um zwei weitere Blocks für ein paar Milliarden
Euro sind schon seit längerem beschlossene Sache.
Auf Unsicherheitsfaktoren, wie die einseitige Abhängigkeit (ca. 45% an der gesamten
Stromerzeugung), Folgekosten wegen des Atommülls und Bedenken zur Sicherheit des
AKW Paks wird nicht eingegangen. Der Anteil der Nuklearenergie soll „während der
nächsten Dekaden mindestens beibehalten werden“. Unnötig zu erwähnen, dass der Betreiber von Paks (MVM) ein Staatsunternehmen ist.
Mehrgleisigkeit im Erdgasgeschäft
Die Frage der Energiesicherheit wird ausführlich behandelt, schließlich stammen noch
immer 82% des verbrauchten Erdgases aus Russland und den Winter vor drei Jahren, als der Ukraine plötzlich der Hahn zugedreht wurde, hat man in Budapest noch in erschreckter
Erinnerung. Folglich tritt das Programm für einen Ausbau von Nabucco und South Stream ein, man fährt zweigleisig, auch wenn die Russen Nabucco torpedieren, wo immer es geht
und dabei ihren traditionell starken Einfluss vor allem auf die - ohnehin unsicheren - Zulieferländer nutzen. Eine Kooperation mit Gasprom zum Ausbau eines neuen
Erdgaslagers ist kürzlich geplatzt, obwohl Erstere ihre Kapazitäten in Europa verdoppeln wollen.
Dagegen ist die Diversifizierung des Gasnetzes in vollem Gange, Ungarn hat wesentlichen
Anteil daran, dass die Nord-Süd-Verbindung von der Ostsee bis zur Adria so konsequent vorangetrieben wurde, Interconnectoren zwischen Ungarn und Rumänien sowie der
Slowakei machen die Gasverteilung in Zukunft flexibler und die Belieferung in beide Richtungen möglich, auch dem zukünftig höheren Aufkommen an Flüssiggas wird so
Rechnung getragen und Ungarn erarbeitet sich durch die neue Vernetzung auch ohne Seehafen einen Zugang dazu.
Wohin die Reise geht, wird am Ende zusammengefasst: „Wir werden uns anstrengen, die
Involvierung des öffentlichen Sektors in der Energiewirtschaft zu erhöhen“. Der (freie) Markt soll weiterhin „von der Regierung mithilfe der staatlichen MVM und deren
Tochterunternehmen beeinflusst werden“. Diese staatliche Einflussnahme „kann auch weitere Autorisierungen für die MVM einschließen um ein neues staatliches
Erdgas-Handelsunternehmen zu kreieren.“ Auch bei der MOL, hat man - aus strategischen Gründen - für viel Geld einen 21,2%ige Anteil (von der russ. Surgutneftegas) erworben.
Experten rechnen mit der völligen Ausgliederung des Gashandels aus der MOL in eine Gemeinschaftsunternehmen mit der MVM.
Erneuerbare Energien als Stiefkind, nicht als Innovationsmotor
Die Erneuerbaren Energien sollen "einen hohen Anteil" am Energiemix bekommen. 20%
sollen es irgendwann sein, aber nur, weil die EU dieses Ziel propagiert, die innere Überzeugung zur Innovationskraft der Techologien wächst nur langsam. Wind- oder
Solarenergie kommen in Ungarn über lokale Größenordnungen nicht hinaus, ihnen fehlt einfach die Lobby, die sie z.B. in Spanien oder Deutschland haben. Auch die "Strategie" hat
hierzu nur allgemeine Floskeln parat, bei der Genehmigung neuer Projekte ist man in den letzten Jahren eher zurückhaltend, was nicht zuletzt auch mit dem schlechten Zustand der
Stromnetze zusammenhängt.
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Besonders betont wird die „bipolare Landwirtschaft“ (Biomasse kann je nach den
Erfordernissen des Marktes als Nahrung oder zur Energiegewinnung genutzt werden), die man dem ungarischen Landmann als flexibles Instrument an die Hand geben will, auf
fallende Preise am Agrarmarkt reagieren zu können. Diese soll „jedoch für Energiezwecke nur in strikt regulierter Art und Weise angebaut werden“, um nicht dauerhaft Flächen für
die Nahrungsmittelproduktion zu verlieren. Wie das in der Praxis aussehen wird, ist eines der vielen Geheimnisse des Strategiepapiers. Ein Großteil der Biomasse soll aus den
städtischen organischen Abfällen gewonnen werden, was, das vergaßen die Autoren, zunächst ein konsequentes Mülltrennungssystem erfordert.
Auch bei der Geothermie, der in Ungarn ein großes Potential bescheinigt wird, hält man
sich bedeckt und erklärt sie wie die Biomasse - Energiebinnenmarkt hin und Wettbewerbsgesetze her -, schlicht zu einer "Nationalen Ressource", die möglichst nur von
eigenen Unternehmen angebohrt werden sollte. Fehlt nur noch, die Sonne zum ungarischen Naturerbe zu deklarieren.
Das know how aus dem Westen benötigt man zwar, aber man will nicht ein weiteres Mal
den Fehler begehen, ganze Wirtschaftszweige in Gänze dem Ausland zu überlassen. Wären die Kommunen nicht derart finanziell ausgeblutet, böte sich hier eine Chance, sich mit
Biomasse- und / oder Geothermie-, Wind- und Solarkraftwerken zu versorgen und von dem in Ungarn dominierenden Quasi-Kartell aus Staat und internationalen Multis
unabhängig zu werden. Mit EU-Mitteln ist vieles möglich, doch die Kofinanzierung oft das Problem.
Bezüglich der Energieeffizienz macht das Programm zunächst einen durchaus vernünftigen
Eindruck. Es sollen weiterhin Gebäude, vor allem die vielen Plattenbauten, renoviert werden und die Kraftwerke und Netze modernisiert werden. Denn 40 % der verbrauchten
Energie in Ungarn wird in Gebäuden genutzt. Der Energieverbrauch einer Wohnung in Budapest ist doppelt so hoch wie in Wien. Hinsichtlich der Netze ist man jedoch auf den
Willen von E.ON und Co. angewiesen, der sich in der Vergangenheit in Grenzen hielt.
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die ungarische Regierung von Eneuerbaren
Energien nicht viel hält. Die Sache scheint den Autoren der Strategie zu kleinteilig und kompliziert, die dahinterstehende Idee zu fern und eher eine Art luxuriöses Hobby.
Dementsprechend muss man sagen, dass Ungarn kein geschlossenes, zielführendes Konzept im Bereich Erneuerbarer Energien hat, weil es keines will. Was wir im Dokument
vorfinden, ist letztlich nur dem Druck aus Brüssel geschuldet gewesen, überhaupt etwas dazu zu schreiben. Die Kernenergie soll es richten, Erdgas den Rest übernehmen. Es bleibt
also alles wie gehabt, nur der Staat will mehr von dem kontrollieren, was er letztlich kaum kontrollieren kann.
Das komplette Strategiepapier in engl. Sprache auf der Regierungswebseite: http://www.kormany.hu/en/ministry-of-national-development/news/national-energy-strategy-2030-pu blished
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red. / PK
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