(c) Pester Lloyd / 12 - 2011 FEUILLETON 22.03.2011
KOMMENTARE
Totenstille in Lauschbrünn
Zu Besuch im Geisterschloss von Lovasberény
Lovasberény, diesen 1000jährigen Marktflecken zwischen Budapest und dem Velencer See, unweit der Stadt Székesfehérvár, hatten wir vor rund zwölf Jahren
besucht und unseren Lesern darüber berichtet. Lauschbrünn im Schildgebirge hieß der Ort früher bei jenen Deutschen, die im 18. Jahrhundert hier angesiedelt
wurden, nach dem gescheiterten Aufstand ungarischer Magnaten unter Führung Fürst Rákóczis gegen Habsburg, auf Geheiß Maria Theresias.
Schon bei unseren Besuch vor nun zwölf Jahren mussten wir mit unseren Empfehlungen
kleinlaut bleiben, neben der angenehmen Landschaft war der kulturelle Mittelpunkt des Ortes, ein großräumiges, klassizistisches Schloss, nicht mehr als ein Versprechen. Der
Bürgermeister projizierte uns mit blumigen Worten die Renovierung und, dass der "Platz davor seine alte Freundlichkeit zurückgewinnen“ soll.
Mit Stolz verwies er auf die sich dafür engagierende
Cziráky-Stiftung. Der k.u.k.-Kämmerer Jósef Cziráky hatte 1730 das damals noch barocke Schloss gekauft und kümmerte sich um eine intensive Katholisierung
des Ortes, der damals noch unter protestantischem, reformiertem und jüdischem Einfluss stand. Davon zeugt auch die für den kleinen Ort überdimensionierte
und gut erhaltene katholische Kirche, einst die Schloßkirche.
Unter Moses Anton Cziráky wurde dann das Schloss im
Jahre 1808 vollendet, später hat sich der Baumeister der Ungarischen Staatsoper, Miklós Ybl, an einem Seitengebäude und in kleineren Details im Hauptgebäude verewigt. Spuren von der einstigen
stillen Pracht können heute noch an der Architektur des U-förmigen Baus sowie an dem geräumigen englischen Garten erahnt werden.
Bis vor den 22. März 1945 scheint das Leben auf
Schloss Lovasberény einigermaßen beschaulich gewesen zu sein, zumal sich der eine oder andere ungarische Verbündete in Offiziersuniform mit den deutschen
Nazis auch unter den Schlossherren befand, wie man in der kleinen Ausstellung des zwar baulich einigermaßen gesicherten, aber total unsanierten Schlosses erfahren kann.
Ein Spaziergang durch die zahlreichen einstigen Säle, Zimmer und Fluchten lösen einen
Schauer nach dem anderen aus. Und dass nicht nur wegen der Zugluft, die hier um die Ecken streicht, sondern auch wegen dieser liegengelassenen, vernachlässigten Geschichte.
Sicherlich haben die Kriege, Besatzungen und nicht zuletzt die Landwirtschaftliche Produktiongenossenschaft (LPG), die hier in den 1950er Jahren eingenistet war, ihre
Spuren hinterlassen. Dennoch ist es unverständlich, dass so ein kulturhistorisches Kleinod – einschließlich der Kapelle gegenüber - derart dem Verfall preisgegeben wird.
„Hier passiert nichts mehr“, teilte uns resigniert die
einzige Museumsaufsicht mit. Der Mann saß schon vor zwölf Jahren hier am Schlossportal und kassierte für die Besichtigung der gepflegten Ruinen ein kleines
Eintrittsgeld, dass der Cziráky-Stiftung zur weiteren Rekonstruktion des Schlosses übergeben werden soll. Da aber der letzte Spross aus der direkten Linie der
Familie und damit die Stiftungschefin Alice kürzlich starb, liegt das Schloss-Schicksal nun nur noch in den Händen der Selbstverwaltung. Die hat natürlich kein
Geld für eine teure Restaurierung, selbst für die bauliche Sicherung reicht es kaum. In Ungarn hängt alles am Tropf aus Budapest. Wahrscheinlich wohnt
kein prominenter Politiker in Lovasbéreny mehr, der seine Beziehungen spielen ließe...
Über seine weitere Verwendung ist weder von der
Selbstverwaltung, noch auf deren Homepage, wo mit dem Schloss (zwar verdeckt von großen Bäumen) für den Ort geworben wird, noch in der kleinen, informativen Ausstellung
an den unverputzten Wänden des Schlosses zu erfahren.
Gut erhalten, weil Mitte der 1990er Jahre saniert, ist der Jüdische Friedhof (im 19.
Jahrhundert gab es hier an die 2.000 Juden), der allerdings für Besucher leider nicht - so wie andernorts üblich - zugänglich, sondern nur von außen zu besichtigen ist.
Hier ist auch das Grab vom Vater eines Mannes zu
finden, der in seinem Geburtsort völlig vergessen ist: Der damals auflagenstarke Schriftsteller, Journalist und Humorist Moritz (Moses) Gottlieb Saphir wurde 8.
Februar 1795 in Lovasberény geboren und starb am 5. September 1858 in Baden bei Wien. Sein Vater war ein angesehener Kaufmann und hatte so manche
Geschäfte mit den Schlossherren am laufen. Zeitweilig war er auch in den Diensten derer von Cziráky als Rittmeister tätig. Nirgendwo ist ein Hinweis auf
diesen anderwärts bekannten Sohn dieses Ortes zu finden.
Hier mehr über Moritz Saphir: http://www.derhumorist.de/Moritz_Gottlieb_Saphir/moritz_gottlieb_saphir.html
Und dennoch empfehlen wir auch diesmal wieder, einmal von der Autobahn runter zu
fahren und sich hier umzuschauen. Schließlich bleibt die Hoffnung, dass sich unter den Interessierten möglicherweise mal ein Investor befindet, der diesem alten Bau wieder mit
paar Euro-Millionen Leben einhauchen könnte.
Ob es sich überhaupt lohnt, hier zu investieren, hängt nicht
allein von den Gegebenheiten dieses Ortes unweit der Puszta ab, sondern vor allem von der ökonomischen und damit kulturellen Gesamtsituation
in diesem Lande, aber auch von der herrschenden Athmosphäre. Eine Prognose ist schwierig, doch wahrscheinlich wird auch in weiteren zwölf Jahren der Wind durch die
Räume dieses Geisterschlosses pfeifen...
G.B.S.
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