Stellenanmarkt
Immobilienmarkt
Geschäftskontakte
Privatanzeigen
Anzeigen ab 35.- / Monat

Hauptmenü

 

 

(c) Pester Lloyd / 09 - 2012     POLITIK   27.02.2012

 

Nationalarithmetik

Budapest spielt mit der Zukunft der Rumänien-Ungarn

Am Wochenende hielt die "Ungarische Siebenbürger Volkspartei" (EMNP) ihre erste "Nationalversammlung" also einen Parteitag ab. Sie ist die kleinere und radikalere der beiden maßgeblichen Parteien der Rumänienungarn und Lieblingskind der Orbán-Regierung, die, aus Machtkalkül die politische Spaltung vorantreibt und damit auch die parlamentarische Vertretung der Blutsbrüder in Siebenbürgen aufs Spiel setzt.

Wie wichtig die politischen Entwicklungen in Siebenbürgen für die ungarische Innenpolitik genommen werden, zeigt nicht nur der große mediale Widerhall im "Kernland", sondern auch der Umstand, dass mit Staatssekretär Zsolt Németh ein Regierungsmitglied Hauptgast des Parteitages der EMNP war. Auch ein Vertreter der neofaschistischen Jobbik ist eingeladen worden. Premier Orbán sandte eine "Videobotschaft" zum Parteitag, in dem er von alten, unerfüllten Träumen sprach, die man nicht aufgeben sollte, Träume von Autonomie als Höhepunkt einer "allkarpathischen ungarischen Staatsbürgerschaft"...

László Tökés bei seiner Grundsatzrede auf dem Parteitag

Budapest sucht die Beschützerrolle und schafft die Gefahr dazu gleich selbst

Im Zentrum des Kongresses stand die von Budapest gewollte Positionierung der "Széklerpartei" EMNP als die zentrale Vertretung der Ungarn in Rumänien. Dahinter steht eine komplexe nationalistische Strategie des Fidesz, die ethnischen Ungarn in den Nachbarländern des "Karpatenbeckens" als Teil der ungarischen Nation, wie sie die Verfassung und das neue Staatsbürgerschaftsrecht definieren, zu "integrieren".

Neben der erleichterten Vergabe der Staatsbürgerschaft, die von Bukarest nur deshalb nicht beeinsprucht wurde, weil man in Moldawien das gleiche Spielchen treibt, ist auch die Verleihung des aktiven Wahlrechtes in Ungarn vorgesehen, was nicht wenige Konflikte mit den Regierungen der Nachbarländer heraufbeschwört und das über Jahrzehnte mühsam erarbeitete Standing der Minderheitenvertreter gegenüber der jeweiligen Mehrheit verkomplizieren wird.

Für die Orbán-Partei sind diese Konflikte jedoch ein kalkuliertes Instrument, um den ethnischen Ungarn die "Vertretung" durch das Mutterland als existentielle Notwendigkeit zu verkaufen und dadurch die eigene Macht- und Wählerbasis zu vergrößern. Kurz, die Auslandsungarn sind endgültig Teil der Budapester Nationalarithmetik geworden. Dazu wird auch ohne weiteres jede europäische Normalität geleugnet, die sich, ob das den Nationalisten aller Seiten nun passt, langsam zwar, aber doch an der Zunahme von rechtlichen Garantien spürbar, ihren Weg ebnet.

Tökés: "Siebenbürgen ist uns wichtiger als Rumänien"

In Reden auf dem Kongress ging es jedoch so zu, als stünde die Rückkehr Ceaucescus bald bevor: "Wir bestehen auf unserer Heimat, unseren Traditionen und Kultur und wir werden unter keinen Umständen unsere Nation verleugnen, ... Diese Heimat (Siebenbürgen) ist uns wichtiger als Rumänien..." Ein Satz, der ihm im Wahlkampf sicher noch einige Male zurückgerufen werden wird.

Parteichef Tökés bedankte sich bei seinen Verbündeten aus Budapest, in dem er sie gegenüber Brüssel in Schutz nahm und sich - so wie es auch in Budapest gerade geschieht - auf den ungarischen EU-Kommissar László Andor einschoss, der - so der Vorwurf - die ungarischen Interessen nicht vertritt. Die EU könne keine Heimat sein, denn eine Heimat müsse eine "Allianz des gegenseitigen Dienens" sein. Während Rumänien so korrupt ist, dass es nicht einmal der Schengenzone beitreten kann, bestraft man die Menschen in Ungarn durch Vertragsverletzungsverfahren, usw., usw.

Dennoch wünschte sich Tökés eine "strategische Partnerschaft" beider Länder und empfiehlt Bukarest, seinen Zentralstaat aufzulösen, der der teure Hort der Korruption sei, weil die Menschen nicht das Gefühl hätten, dazu zu gehören. Mehr Föderalismus, so der clevere Vorschlag, käme dem Land zu Gute, da die Menschen dann selbst entscheiden könnten, wie sie leben möchten. Im übrigen sollte die EU endlich auch Bürgerinitiativen auf ethnischer Ebene akzeptieren und "Mitgliedsländer ermächtigen, sich für die Rechte von nationalen Minderheiten" einzusetzen, was immer das konkret bedeuten soll.

 

Die Delegierten verabschiedeten ein Parteiprogramm, wählten einen neuen Parteivorstand mit Ergebnissen, die auch Ceaucescu alle Ehre gemacht hätten, (der nominale Parteichef, Tibor Toró, erhielt 309 von 312 Stimmen) und beschlossen einen Aktionsplan für die kommenden Kommunal- und Parlamentswahlen. Mittlerweile verfügt die EMNP, nach eigenen Angaben, über mehr als 100 Ortsgruppen und 19 Regionalverbände. Dennoch ist die Partei weit davon entfernt, eine Massenbewegung zu sein.

Rumänienungarn seit der Wende im Parlament vertreten

Denn in den Jahren nach der Wende und bis heute war und ist die RMDSZ, die Demokratische Partei der Rumänienungarn, der wichtigste Vertreter ihrer Angelegenheiten. Sie ist im Parlament vertreten und Teil der aktuellen Regierungskoalition und gerade in der letzten Krise seit dem Rücktritt von Premier Boc wieder ein wichtiger Garant für halbwegs stabile Mehrheitsverhältnisse der bürgerlichen Koalition. Loyalität, die man für Zugeständnisse bei den Minderheitenrechten gezielt und mit wachsendem Erfolg einsetzt.

Ihr Vorsitzender, Kelemen Hunor, ist Kulturminister des Landes, er folgte kürzlich Béla Markó nach, der 18 Jahre die Geschicke des RMDSZ leitete. Beiden gelang es, die Interessen der Minderheit gegenüber den immer wieder auftauchenden Zentralisierungsschikanen aus Bukarest zu verteidigen und in vielen kleinen Kompromissen recht weitgehende kulturelle und regionale Autonomierechte zu erringen, von der Besetzung wichtiger Verwaltungsposten bis hin zur Finanzierung einer ungarischen Uni durch den Bukarester Zentralhaushalt.

Dabei nahmen sie durchaus auch die Stimmung der nationaler gesinnten Landsleute auf, trieben es aber nie soweit, die Zentralregierung in Bukarest aufs äußerste zu provozieren und den nationalistischen Kräften in den anderen Parteien Vorlagen zu liefern, wozu es ohnehin nicht viel bedarf.

Opferrolle rückwärts

Ganz anders die EMNP, die sich ganz auf die Persönlichkeit und den Ruf ihres Chefs, des Pfarrers László Tökés, stützt, der heute übrigens im EU-Parlament sitzt. Er gilt in Rumänien als Revolutionsheld, der beim Endkampf gegen die Ceaucessu-Diktatur hohen persönlichen Mut bewies. Heute ist er als zielstrebiger Separatist unterwegs, zu dessem Repertoire, auch schon einmal die offene Ausrufung der "territorialen Autonomie" in Siebenbürgen gehört.

Orbán bevorzugt ihn als Gesprächspartner und "Statthalter" so wie er in der Slowakei auch die radikalere Version der Ungarnpartei fördert und die in der Regierung tätige Most-Híd konsequent schneidet, was erstere aus dem Parlament katapultierte. Tökés bekommt aus dem Mutterland alles was er braucht, bis hin zu einem nagelneuen Medien- und Kulturzentrum, das von der ungarischen Staatslotterie mit fast einer Million Euro mitfinanziert wurde. Regelmäßig tauchen, rund um ungarische Nationalfeiertage, Präsidenten, Premiers, Minister auf. Man feiert Messen und Kundgebungen, weiht Statuen ungarischer "Helden" ein und labt sich geschichtsvergessen an  archaischen Mythen, eine Opferrolle rückwärts stets inbegriffen.

Orbán könnte sich verrechnen

Der Chef der RMDSZ, Kelemen Hunor, hat die Gefahr, die von Orbáns Nationalitätenroulette ausgeht, erkannt und warnte vor wenigen Tagen davor, dass die Politik seines Konkurrenten und die einseitige Unterstützung dafür aus Budapest, die seit der Wende ununterbrochene parlamentarische Vertretung der Rumänienungarn in Bukarest aufs Spiel setzen könnten. Zwar behielte man die lokalen Minderheitenvertreter, doch hatte sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die Präsenz im Zentrum der Macht das wichtigste Faustpfand für die Minderheitenrecht war, was im übrigen 80% der Rumänienungarn auch so einschätzen, meint Hunor, der scharf kritisierte, dass die EMNP die Bildung gemeinsamer Wahllisten ablehnt. Die RMDSZ bleibe Anwalt des Dialogs und einer friedlichen Zusammenarbeit, einige Äußerungen von Tökés jedoch bedeuteten Rechtsbruch, was man nicht akzeptieren werde.

1,2 Millionen ethnische Ungarn leben in Rumänien, rund 6,5% der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung des Landes und 12% jener Ungarns, keine Kleinigkeit also, doch sind 6,5% zu wenig, um mit zwei Parteien die 5%-Hürde zu überspringen. Hier stehen also mathematische Grundregeln im Wege, die sich möglicherweise nicht einmal von einer Zweidrittelmehrheit beeindrucken lassen und die Frage aufwerfen, ob dem Rechenmeister Orbán das eigene Schicksal bei Wahlen vielleicht nicht doch mehr am Herzen liegt als die Zukunft und die alltägliche Realität seiner Blutsbrüder im Karpatenbecken. Orbán verrechnt sich womöglich auch, weil er die praktische Vernunft seiner Landsleute in Rumänien unterschätzt.

ms. / red.

Mehr zum Thema: Sensibles Siebenbürgen

 

IN EIGENER SACHE

Der PESTER LLOYD möchte sich verbessern - Helfen Sie mit?

Liebe Leserinnen und Leser in Nah und Fern, liebe Freunde des Pester Lloyd!

Vor zweieinhalb Jahren haben wir den Pester Lloyd auf eine Online-Tageszeitung umgestellt. Ein Projekt, das sich erfolgreicher entwickelte, als wir das erwarten konnten. Um auf der Höhe der Zeit zu bleiben und noch mehr unabhängigen Journalismus aus der Mitte Europas bieten zu können, brauchen wir Ihre Hilfe...

ZUM BEITRAG