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(c) Pester Lloyd / 16 - 2012     POLITIK 20.04.2012

 

Aufruf zum Bürgerkrieg

Wie regierungsahe Medien den Neofaschisten in Ungarn zuarbeiten

Ein regierungsnaher Privatsender leistet den ungarischen Neofaschisten direkte Schützenhilfe, im der er die Realität in Gyöngyöspata so zurecht schneidet, dass die alltägliche, rassische motivierte Schikane an der dortigen Grundschule schlicht geleugnet wird. Wer anderes berichtet, wird als Lügner diffamiert. Derweil sorgt ein Tonband für Aufregung, in dem Jobbik-Funktionäre einen Bürgerkrieg zum Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung in Ungarn anstreben. Die Regierung schweigt und lobt sich selbst.

Romakinder, die bei der Eröffnungsfeier zum Schuljahresbeginn, getrennt von den anderen in der letzten Reihe sitzen und danach den Raum auch getrennt von den anderen verlassen müssen – Realität im "Musterdorf Gyöngyöspata". Der regierungsnahe Privatfernsehsender Hír-TV, der zum ("ehemaligen") Medienkonsortium (Lánchíd Rádió, Magyar Nemzet) des Entwicklungsministers und heutigen ungarischen IWF-Cheunterhändlers Tamás Fellegi gehört, trat an das Gegenteil zu beweisen und ein Bild vollkommener Eintracht zu zeichnen, das durch eine manipulative Berichterstattung eine Realität vorgaukelt, die die menschenverachtenden Zustände in der Grundschule von Gyöngyöspata bewusst negiert und obendrein Journalisten, die das Gegenteil behaupten, als Lügner diffamiert.

Den Bock zum Gärtner gemacht: Oszkár Juhász, ein Neofaschist als Bürgermeister von Gyöngyöspata

Bereits im April letzten Jahres attestiert, der in der Zwischenzeit abgeschaffte Ombudsmann für Minderheitenrechte, Ernö Kallai, erschreckenden Zustände in der Nekcsei Demeter Grundschule in Gyöngyöspata. Laut dem Bericht sind rund zwei Drittel der Romakinder Segregation ausgesetzt. Sie werden getrennt unterrichtet und dürfen sich nur in der unteren Etage aufhalten, während sich die Klassenzimmer für die „ungarischen“ Kinder in den oberen Etagen befinden.

In diesem Zusammenhang reichte die Kinderrechtsorganisation „Chance for Children Foundation“ (CFCF) im Oktober 2011 eine Klage gegen die Schule und die Kommune ein, wobei primär die räumliche Segregation, aber auch die bewusst unterschiedlich gestalteten Leistungsniveaus im Fokus stehen. Demnach gibt es für Roma rechtswidrige „kombinierte-Klassen“, in denen Kinder verschiedener Stufen zusammen lernen, das Niveau dementsprechend niedrig ist und eine individuelle Förderung verwehrt bleibt.
 
Alltägliche Grausamkeiten

Während die Vertreter der ungarisch Menschrechtsorganisation „Hungarian Civil Liberties Union“ (HCLU) die Schule im letzten September, zu Beginn des neuen Schuljahres besuchten, offenbarten sie in einem kurzen Dokumentarfilm (
hier auf youtube) die alltäglichen Ausmaße des rassistischen Umgangs mit den Roma-Schulkindern, die an die Zustände während der Apartheid erinnern. Der Schwimmunterricht wird ihnen mit der Begründung verwehrt, dass das „Wasser sonst stinkt“. Sogar die Toilettenbenutzung ist streng getrennt, weil die Romakinder angeblichen nicht in der Lage seien diese „ordnungsgemäß“ zu benutzen. Gegessen wird an getrennten Tischen, die "Magyaren" essen von Porzellantellern, die "Zigeuner" von Plastikgeschirr.
 
Die Situation durch die „Hír-TV – Brille“

In Gyöngyöspata gibt es keine Segregation – so zumindest die Message, die durch die Berichterstattung von Hír-TV vermittelt werden soll. Journalisten der britischen Tageszeitung „The Guardian“, die einen
Artikel über die Segregation in Ungarn veröffentlichten, werden kurzer Hand als „Lügner“ diffamiert. Der Sender bedient sich zudem der systematischen Unterschlagung von Informationen, wie nun durch die HCLU ans Licht gebracht wurde. Als die Dreharbeiten für den Hír-TV-Beitrag stattfanden, waren zufällig Vertreter der NGO in Gyöngyöspata vor Ort und zeigten sich empört über die selektive Berichterstattung. Sicher ist, dass mindestens ein Interview mit einem betroffenen Kinder, das beispielsweise die Situation beim Schwimmunterricht schildert der senderinternen Zensur zum Opfer gefallen ist.

Die einseitige Berichterstattung findet ihren Höhepunkt jedoch in der Wahl der Interviewpartner. Lediglich der lokale Romarepräsentant, wird befragt und bezieht sich auch auf den Kallai Bericht, dieser - so scheint es - ist aber viel zu unwichtig um in Folgenden weitere Erwähnung zu finden, vom einer persönlichen Stellungnahme Kallais ganz zu schweigen. Im Gegenzug melden eine Handvoll Dorfbewohner zu Wort, die nichts von Segregation wissen wollen und sich auf die Seite der Schule und der Kommune schlagen.
 
Science-Fiction á la Hír-TV

Nichtsdestotrotz soll dem Hír-TV-Bericht aber ein seriöses Gesicht verliehen werden, weshalb man sich die Mühe macht die Menschenrechtsorganisation HCLU zu kontaktieren. Aber leider seien diese nicht zu einer Stellungnahme bereit - soweit das suggerierte Bild. Die Hír-TV-Journalisten lassen es sich nicht nehmen persönlich das Büro der Organisation aufzusuchen, wo sie wegen verschlossener Pforten wieder unverrichteter Dinge abziehen müssen. Was der Zuschauer nicht erfährt, zum Zeitpunkt des Drehs, befindet sich das Büro bereits seit vier Monaten in einer anderen Lokalität. Aber ganz in Sinne des investigativen Journalismus lassen die Hír-TV-Reporter nicht locker und versuchen die Organisation telefonisch zu kontaktieren - leider erreichen sie nur den Anrufbeantworter. Komisch nur, dass die HCLU einen solchen noch nie hatte.
 
“Europaweit vorbildliche Romastrategie”, meint der Fidesz-Staatssekretär Balog. Bewaffnte “Feldwache” zur “Sicherung der kommunalen Beschäftigungsprogramme” in Gyöngyöspata...

Ein hysterischer Zensurversuch

Manipulierte Berichterstattung war man
bisher hauptsächlich von den öffentlich-rechtlichen Sendern gewohnt. Als die HCLU den kurzen Dokumentarfilm veröffentlichte, der ganz klar die manipulativen Praktiken von Hír-TV enthüllt, reagierte der Sender schlichtweg mit einem hysterischen Zensurversuch, der aber auch die Lesart eines indirekten Schuleingeständnisses zulässt. In einem Brief, wurde der NGO eine Urheberrechtsverletzung vorgeworfen, einhergehend mit der Aufforderung der sofortigen Zurücknahme des Videos. Als Machtdemonstration des Senders wird binnen kurzer Zeit auch das Video von dem Server Internetportals Indavideó gelöscht.

Nicht nur die Schule von Gyöngöyspata ist zum Versuchslabor gelebten, amtlichen Rassismus` geworden. Der von der "weißen" Mehrheit gewählte Jobbik-Bürgermeister nutzt das vom Staat aufgesetzte "kommunale Beschäftigungsprogramm" ausführlich für eine Art Leibeigenschaft und ein in Europa eigentlich unvorstellbares Terroregime,
wie hier ausführlich belegt. und hier um die neuen "bewaffneten Feldhüter" ergänzt.

Aufruf zum Bürgerkrieg

 

Aktueller Höhepunkt der Entwicklung: auf Antrag der Opposition (nicht der Fidesz-Regierung!) wurde ein mitgeschnittenes Gespräch zwischen rechtsextremen Parlamentsabgeordneten und lokalen Jobbik-Funktioären, u.a. dem Bürgermeister von Gyöngyöspata, Oszkár Juhász, behandelt, in dem ein "Bürgerkrieg" zur Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung in Ungarn angestrebt wird. Das Band offenbart, dass dabei gezielt die Roma zur Eskalation instrumentalisiert werden sollen, um dann "hart zuzuschlagen". Kocht die Stimmung erst hoch genug, könne man die Macht im Land übernehmen, so das Kalkül des einschlägig Bekannten Neofaschisten Juhász, der noch anfügt, dass auch Jobbik-Chef Vona diese Pläne im Visier hat. Zudem stünden dafür "ausländische Geldquellen" bereit. Juhász selbst sagt, es gibt weder ein solches Band, noch solche Aussagen von ihm.

Die Regierung schweigt zu diesem offenen Landesverrat bisher, laut Aussage von Roma-Staatssekretär Balog gibt es in Gyöngyöspata oder anderswo weder "Zwangsarbeit" noch amtlichen Rassismus, nur eine "europaweit vorbildliche Romastrategie".
Balog meinte im Interview mit dieser Zeitung auch, dass man "mit gewählten Jobbik-Bürgermeistern" verhandeln müsse und die Rolle der NGO´s kritisch zu untersuchen sei.

AL / red.
 

 

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