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(c) Pester Lloyd / 18 - 2012     POLITIK 04.05.2012

 

Monster und Minister

Neuer Superminister in Ungarn, weitere Regierungsumbildung erwartet

Pfarrer Balog löst Mediziner Rétheyli im Riesenministerium ab. Nach zwei Jahren Gesetzessturm, einer neuen Verfassung und dem Präsidentenunfall ist es für die Regierung Orbán an der Zeit, sich neu zu sortieren. Etwaige "strukturelle Schwachstellen" sollen durch weitere Umbesetzungen beseitigt werden. Wir geben einen Überblick, wer geht, wer bleibt, wer kommt.

Premier Orbán und sein neuer “Superminister” Zoltán Balog.

Im Ministerium regierte nicht der Minister, sondern das Chaos

Heute, Freitag, "akzeptierte Premier Orbán das Rücktrittsgesuch von Minister Rétheyli", meldet der Regierungssprecher. Der Minister für "Nationale Ressourcen", gemeint Bildung, Soziales, Gesundheit, Kultur (Kulturelles Erbe), Sport, Miklós Rétheyli, hatte schon am Donnerstag seinen unmittelbaren Abgang als Minister in den Medien bestätigt. Sein Rückzug sei jedoch nicht von Orbán initiiert, sondern vom Minister selbst länger geplant worden, heißt es in den Medien. Der Mediziner, zuvor an der Semmelweiß-Universität tätig, galt als "Superminister", auch aufgrund seines Alters, vor allem aber mangels Fanatismus´ für den vom Fidesz umgesetzten Totalumbau der ungarischen Gesellschaft als überfordert. Insofern dürfte sein Abgang Orbán ins Konzept passen.

 

Mehrere Staatssekretäre und Stellvertreter wurden in den letzten zwei Jahren in dem Riesenministerium bereits gegangen oder schmissen hin, jene für Bildung konnte sogar - bisher - ungestraft einen Keil zwischen Fidesz und dem kleinen Bündnispartner KDNP (Christdemokraten) schlagen, denen sie selbst und auch der Minister angehören. Möglich wäre auch eine erneute Aufsplitterung des überdimensionierten Ministeriums-Monsters, das sich als praktisch unführbar herausgestellt hat. Ziel ist es in erster Linie, die Reihen für die nächsten Wahlen zu schließen und den Totalumbau auch organisatorisch umzusetzen. In vielen Ministerien regierte in den letzten Jahren nicht der Minister, sondern das reine Chaos.

Kettenhund Lázár ist zu aggressiv und zu nützlich an anderer Stelle

Als Nachfolger im Superministerium wurde daher zunächst der Fidesz-Fraktionsvorsitzende und Scharfmacher János Lázár (Foto) gehandelt, der das chaotisch werkelnde Riesenministerium auf Linie bringen und "wichtige Strukturreformen" im Sinne der Fideszschen Allmachtsbestrebungen voranbringen soll. Andererseits ist Lázár, sozusagen als parlamentarischer Kettenhund Orbáns, bisher immer sehr nützlich gewesen, verschiedene Gesetzesvorhaben mit verbal sehr aggressiven Vorstößen einzubringen, woraufhin die Regierung dann leicht abgemilderte Versionen umsetzte. Er entmachtete praktisch im Alleingang das Verfassungsgericht (Nicht das Recht, sondern der Gerechtigkeitssinn des Volkes sind wichtig...) und beleidigte in aller Öffentlichkeit Ex-Präsident Sólyom. Lázár ist gleichzeitig Bürgermeister der südungarischen Stadt Hódmezövásárhely und gilt dort als "gut vernetzt". Ein ausgesprochener Bad Boy mit Hang zur Arroganz und Größenwahn an der Spitze eines Ministeriums, das sich mit lauter "weichen", dafür umso emotionaler aufgeladenen Themen zu beschäftigen hat, hätte zum Bumerang werden können. Und einen Orbán gibt es schließlich schon.

Der Neue: Zoltán Balog - Vom unbequemen "Romaminister" zum treuen Gefolgsmann

Daher wurde auch nicht Lázar, sondern Zoltán Balog (Foto) als neuer Superminister ernannt. Der 54jährige, bisherige Staatssekretär für Soziale Integration, sprich Romafragen, hat zwar nicht die äußere Dynamik Lázárs, kann mittlerweile aber auch als treuer Diener eines seiner beiden Herren gelten. Hatte er sich zunächst als ehrlicher Makler - aufgrund der zentralen Vorgaben weitgehend erfolglos - für die Sache der Roma stark gemacht, fiel er in letzter Zeit immer mehr durch betontes Einschwenken auf Orbáns Linie auf. Vor der letzten "Rede zur Lage der Nation” durfte er sogar die Aufwärmrede halten, was, ganz wie früher, als wichtiger Hinweis seines gestiegenen Ansehens richtig interpretiert wurde.

Balog war zuvor evangelischer Pfarrer und als solcher jahrelang Leiter der deutschsprachigen Gemeinde in Budapest. Konnte er mit seinen Ideen und seinem aufrichtig scheinenden Enthusiasmus gegenüber der Roma-Problematik zunächst als Opfer des Fidesz-Appartes gelten, gegen den er sich kaum durchsetzen konnte und sozusagen
ein Alibi-Staatssekretariat leitete, hat er sich mittlerweile voll auf die Einheitsschiene der Partei begeben. Er verneint (hier in unserem Interview) unter anderem, trotz gegenteiliger Beweise, amtlich und strukturelle unterstützten Rassismus gegen die ungarischen Roma, lobte die "nationale Romastrategie", die im wesentlichen aus beaufsichtigter, unwürdiger und perspektivloser Zwangsbeschäftigung besteht, über alle Maßen, schoss sich, ganz wie die Regierungspartei auf die "Kampagnen aus dem Ausland" ein und versuchte zuletzt sogar direkt, kritische Berichterstattung u.a. in diesem Medium zu verhindern.

Romaproblem als Fall für die Exekutive

Balogs Ernennung integriert wahrscheinlich auch das Romastaatssekretariat vom Ministerium für Justiz und öffentliche Verwaltung ins Staatssekretariat für Soziales, wo es eigentlich auch hingehört hätte. Ob es wieder einen offiziellen Roma-Beauftragten geben wird oder die immensen Probleme dieser und mit dieser größten ethnischen Minderheit Ungarns nur noch Sache der Exekutive sein werden, wie wir das seit Jahr und Tag befürchten, ist offen. Doch angesichts des Verhaltens Balogs in den letzten Monaten kann man nicht einmal mehr sagen, dass sein Wechsel die Sache der Roma in Ungarn schwächen würde...

Neubesetzung könnte umständliche Rochaden auslösen

Mit der Vergabe des Superministeriums an den Fidesz-Mann, wird er die KDNP mit anderen Posten bei der Stange halten müssen, denn einige, am Ende nicht unwesentliche Prozentpunkte generiert diese Partei christlicher Eiferer doch für ihn. Denn auch die oben beschriebene Bildungsstaatsseekretärin, Rózsa Hoffmann gilt als Kandidatin für eine Ablöse bei der Kabinettsumbildung. Sie stiftete Unfrieden, was Orbán nicht gebrauchen kann, ihre intellektuelle Schlichtheit machte sie zum Gespött der Branche und brachte die Studenten gefährlich nahe an den Rand eines Aufstandes.

Außen- und Wirtschaftsministerium stehen zur Disposition

Weiterhin steht der Sessel von Außenminister János Martonyi (Foto) zur Disposition, der ursprünglich nur bis zum Ende der EU-Ratspräsidentschaft selbigen warmhalten sollte, aber als Dauerlächler nützlich blieb.

Auch das Schicksal von "Nationalwirtschaftsminister" (Wirtschaft und Finanzen) György Matolcsy, ist, trotz wiederholter Treubekundungen Orbáns, ungewiss. Diesen völlig überforderten Minister hält sich Orbán recht geschickt seit zwei Jahren als Buhmann. Schlagen die neuen Spar- und Steuermaßnahmen des Széll 2.0-Plans den Wahlungarn zu sehr aufs Gemüt und verfehlt der Haushaltszimmermann wieder die mehrfach korrigierten Vorgaben, könnte er ihn opfern, um den Unmut des Volkes zu kanalisieren. An seine Stelle würde dann Mihály Varga rücken, Wirtschaftsminister in der ersten Orbán-Regierung und derzeit als "Kanzleramtsminister" sein wichtigster Berater.

Unantastbare und Vielwisser

Felsenfest im Sattel sitzen die Minister und Geschäftsleute Pintér (Inneres), Navracsics (Justiz und öffentliche Verwaltung), Hende (Verteidigung) und Fazekas (Landwirtschaft), Vizepremier Semjén (Foto, davor Innenminister Pintér) ist offiziell auch Minister, ohne Portfeuille, aber zuständig für die "nationale Einheit" (gemeint die Auslandsungarn und den Vatikan) sowie Reichsjägermeister. Er ist ohnehin unantastbar und lässt sich notfalls mit einem Jagdschloss abspeisen, wie schon geschehen.

Ex-Entwicklungsminister Tamás Fellegi (Foto) darf sich - weiterhin im Ministerrang - als Chefunterhändler beim IWF beweisen, er fällt für eine Umbesetzung bis mindestens Ende des Jahres aus, seinen Job im Ministerium übernahm Frau Németh Lászlóné, die als gute Fachfrau gilt und nicht zuletzt auch die mittelalterliche Frauenquote etwas aufhübscht. Fellegi könnte, bei erfolgreichem IWF-Abschluss z.B. Martonyi im Außenamt beerben, für einen unfreiwilligen Ruhestand weiß der "ehemalige" Mitinhaber der größten regierungsfreundlichen Mediengruppe einfach zuviel über Orbán.

red.

 

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