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(c) Pester Lloyd / 18 - 2012     POLITIK 30.04.2012

 

Punktsieg für Orbán - Phyrrhussieg für Ungarn

EU-Ungarn: Zahlungsfähigkeit wichtiger als Demokratie?

Wie zu erwarten, hat der ungarische Regierungschef seinen "Sieg" in Brüssel umgehend gefeiert. In einer Radiosendung am Freitag lobte er sich, dass er "alle Regierungsziele in Brüssel zum Erfolg geführt" habe und Ungarn auch hinsichtlich der sonstigen Streitpunkte "nichts zurückziehen, aussetzen oder ändern" werde. Die Pragmatik der Kommissionsentscheidung ist nachvollziehbar, ordnungspolitisch ist das Signal aus Brüssel aber verheerend. - MIT KOMMENTAR

Möglich, dass es sich wie ein Kreditantrag angehört hat...

Orbán drückte in seiner Stammsendung "180 Minuten" im Staatssender Kossuth Rádió die Hoffnung aus, nun "schnell zu einem Abschluss" mit dem IWF zu kommen. Seine Regierung erwarte vom IWF dabei "lediglich eine Erklärung, dass der IWF einspringt und Ungarn auf ein Sicherheitsnetz zählen kann, wenn es Probleme am europäischen Anleihemarkt gibt." Möglicherweise habe der IWF "aber den Eindruck, dass Ungarn tatsächlich einen Kredit wünscht." Er glaubt, sein Land könne sich selbst am Markt refinanzieren und "wird keinen Kredit vom IWF benötigen." Orbán sagte im Radio weiter, dass er nicht erwarte, dass der IWF Kreditzusagen an Bedingungen hinsichtlich der Wirtschaftspolitik knüpfen werde, das sei "reine Spekulation, schließlich ist der IWF unser Freund"...

Schneller IWF-Abschluss unwahrscheinlich

Der IWF sieht einen erfolgreichen Abschluss von Verhandlungen nicht ganz so schnell: erst Mitte Mai wird es erste offizielle Gespräche über einen Zeitplan geben, Ungarns Chefunterhändler Tamás Fellegi hofft auf einen Abschluss "noch bis Ende Juni", doch der IWF machte schon klar, dass zunächst die "vollständige Umsetzung der angekündigten Gesetzesänderungen" hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zentralbank abzuwarten ist. "Der Fonds begrüßt die von Ungarn gemachten Fortschritte mit der Europäischen Kommission, die Verhandlungen können beginnen, sobald die adäquaten Schritte zur Sicherstellung der Unabhängigkeit vollzogen wurden", so die Länderbeauftragte Ivaschenko in einem Statement.

Wie berichtet, entkräften die gemachten Anpassungen nur einen Teil der Kritik, doch die EU gab sich damit zufrieden, was bedeutet, dass auch der IWF diesen Kompromiss mittragen wird müssen. Allerdings ist zu erwarten, dass der IWF durchaus auch wirtschaftspolitische Forderungen erheben wird, die im politischen Ungarn wieder einen verbalen Freiheitskampf auslösen werden, daher ist von langen Verhandlungen auszugehen, auch ein Scheitern ist nicht auszuschließen.

Klagen beeindrucken Orbán wenig

Hinsichtlich der Doppelstrategie der EU-Kommission, die zwar den Weg für die Aufnahme von IWF-Verhandlungen frei machte, gleichzeitig Ungarn aber bei den Fragen "Justizreform" und "Datenschutz" vor den EuGh bringen wird, meinte Orbán, dass es für ihn nicht darum gehe, irgendwelche Regierungsziele in Frage zu stellen, nur der Weg, wie man diese erreiche, könne von den ursprünglichen Planungen abweichen. Hinsichtlich der Zentralbank habe man Entgegenkommen gezeigt, ansonsten werde "Ungarn nichts zurückziehen, aussetzen oder ändern". Die Frage des Rentenalters von Richtern ist keine juristische Frage, fügte er hinzu. Was er vorhabe, wenn das Gericht in Luxemburg das anders sieht, sagte Orbán nicht.

Die EU-Kommission war zu der Einsicht gekommen, dass eine mögliche weitere wirtschaftliche Destabilisierung Ungarns keiner Seite von Nutzen ist und machte deshalb den Weg für einen IWF-Kredit frei, der zu allererst die Finanzmärkte beruhigen soll. Forintkurs und CDS-Werte folgten diesem Wunsch umgehend. Die Kommission gab das finanzielle Druckmittel jedoch nur teilweise aus der Hand, da man festhielt, dass ein "erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen" nur möglich wird, wenn - zumindest hinsichtlich der Zentralbank - Budapest seine Zusagen auch einhält.

Haushaltskommissar handelt gegen seine eigenen Vorgaben

Auch das Defizitverfahren steht vor dem Aus. Die vor wenigen Wochen verhängte Teilsperre von Mitteln aus dem Kohäsionsfonds ab 2013 wird wohl Ende Mai bzw. im Juni wieder aufgehoben, die Entscheidung dazu trifft der Rat der Regierungschefs auf Empfehlung der Kommission. Hier hatte sich schon bei der "Verurteilung" Ungarns ein politische Hinterzimmerdeal angedeutet. Die Entscheidung zu Gunsten Ungarns hat ganz offensichtlich politische Gründe, denn das kürzlich abgelieferte neue Konvergenzprogramm Széll 2.0 enthält in keinster Weise die ursprünglich vom Haushaltskommissar Rehn geforderten "nachhaltigen und strukturellen Budgetsanierungsmaßnahmen", sondern nur eine Reihe von Notmaßnahmen wie Ausgabensperren sowie Subventionsstreichungen und eine Reihe neuer Steuern, die überwiegend die Bevölkerung treffen. Rehn ist mit seiner Einschätzung also hinter seine eigenen Vorgaben zurückgewichen, was man üblicherweise nur auf Druck "von oben" tut.

Zuvor erklärte auch der EU-Kommissionspräsident noch sehr deutlich, dass "alle offenen Punkte", also auch einschließlich der Bedenken der Venedig-Kommission hinsichtlich Verfassung, Mediengesetz (hier gibt es ein paar Änderungen nach einem Spruch des ung. Verfassungsgerichtes, aber immer noch viele andere offene Kritikpunkte) etc. abzuhandeln sind, bevor es ein "Go!" für den IWF geben wird. Von dieser Verknüpfung mit der "Geldfrage", die Budapest kürzlich noch offen als "Erpressung" bezeichnete, ist Brüssel wieder weitgehend abgerückt, wohlwissend, dass die EU hinsichtlich Grundrechten, Demokratie und Rechtsstaat außerhalb von Individualklagen aus diesen Ländern keine Druckmittel außer den Finanzen zur Verfügung hat.

Budapest schafft bei der Richterfrage Fakten

Budapest machte sich die Konstellation umgehend zu nutze. Im Richterstreit schaffte man gleichzeitig mit dem Entgegenkommen Brüssels Fakten. Der amtierende Präsident, László Kövér, hat in der vergangenen Woche die Entlassungsurkunden für 194 Richter unterzeichnet, die mit 1. Januar dieses Jahres die neue Altersgrenze von 62 Jahren (zuvor 70) erreicht hatten. Damit wird der Weg auch für die Neubesetzungen frei gemacht, bei denen die regierungsparteilich gleichgeschaltete Richterkammer ein wichtiges Wort mitzureden hat, was u.a. einer der Hauptkritikpunkte seitens der EU ist, die diese "Rentenreform" als Instrument ansieht, sich die Judikative gefügig zu machen.

Die EU hatte Ungarn nochmals aufgefordert, die Ablösung der Richter auszusetzen. Das könne man rückgängig machen, "wenn es einmal ein EU-Urteil" gibt, so die Regierung. Dies könnte aber sehr teuer werden und den Staat Milliarden von Forint an Nachzahlungen und Strafen einbringen, erwidern wiederum Brüsseler Rechtsexperten. Doch die ungarische Regierung hat sich dagegen bereits mit einem Gesetz abgesichert, dass die Einführung temporärer Steuern zur Begleichung von Strafen aus EU-Urteilen ermöglicht.

red.

Kommentar: Ordnungspolitisches Armutszeugnis

Aus der vergangenen Woche ist zu lernen, dass der EU, bzw. den sie leitenden nationalen Regierungen, die wirtschaftliche Stabilität bzw. die Fähigkeit eines Landes seine Zinsen zu zahlen, unter der derzeitigen Gesamtsituation wichtiger ist als der Zustand von Demokratie und Rechtsstaat und die Lebenssituation der Mehrheit der Menschen in einem Mitgliedsland.

Das ist zwar deprimierend, aber gar keine neue Feststellung. Schon in Griechenland agierte man nicht anders. Überraschend an der Volte der Kommission gegenüber Ungarn war lediglich die Gründlichkeit ihrer Selbstaufgabe gegenüber dem Rat der Regierungschefs sowie die schamlose Offenheit, mit der die EVP-Kumpanei - quasi an Europa vorbei - ihre Gesinnungsfreunde schützt, koste es die Länder und die Gemeinschaft, was immer es wolle...

Auch die sehr auffällige Diskrepanz zwischen zunächst kämpferischer Ankündigung und mehr als lascher Aktion der Kommission ist ein ordnungspolitisches Armutszeugnis der "Hüterin der Verträge". Dass sie dabei formal richtig vorgegangen ist, das Primat des Finanzmarktes über die Politik also sozusagen strukturell verankert ist, weist daraufhin, wo die eigentliche Schwäche der EU liegt, die sich nach wie vor von den Interessen der Nationalregierungen, der darin dominierenden Parteien und der sie steuernden Lobbymächte an der Nase herumführen lässt.

Das eigentliche Drama für Ungarn besteht aber darin, dass die konjunkturell, strukturell und vor allem sozial fehlgelteitete ungarische Haushalts- und Wirtschaftspolitik durch den Mangel an äußerem Druck seine zerstörerische Wirkung weiter entfalten kann. Am Ende wird Ungarn durch einen IWF-Kredit im schlimmsten Falle mit 15 Mrd. EUR mehr Schulden dastehen, ohne dass das Land befähigt sein wird, sich selbst aus selbigen zu befreien. Mangelnde fiskale und demokratische Kontrollinstanzen befördern die fehlerhaften Entwicklungen der fachlich katastrophalen Wirtschaftspolitik nur weiter, ein um “Fragen das Budget betreffend” kastriertes Verfassungsgericht kann dem Absturz nur zuschauen, so wie nun auch - aus eigener Entscheidung - die EU.

 

Orbáns Punktsieg wird so zum Phyrrhussieg für das Land und seine Menschen, zu einer Niederlage des demokratischen Europas ohnehin, das nicht einmal die Macht hat, Grundlagen der Demokratie in ihren Mitgliedsländern zu sichern und einzufordern.

Damit wird ein selbstzerstörerisches Signal an andere “Kandidaten” gegeben, nämlich, dass man die EU verhöhnen und zum Zwecke der innenpolitischen Machtsicherung straflos diffamieren kann, ihre Grundwerte außer Acht lassen, sich gleichzeitig aber an ihren Finanztöpfen gesundstoßen darf. Orbán und sein Trupp haben mit ihren EU-feindlichen Aussagen und mit ihrer subdemokratischen Politik längst die europäische Wertegemeinschaft verlassen (die ihn kritiklos schützen, tun übrigens selbiges!), es wäre nur konsequent, ganz zu gehen!

ms.

 

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