Hauptmenü

 


Kleinanzeigen für
Ungarn und Osteuropa
Stellenanmarkt
Immobilienmarkt
Geschäftskontakte
Privatanzeigen
Anzeigen ab 35.- / Monat

 

(c) Pester Lloyd / 20 - 2012     RUMÄNIEN 15.05.2012

 

Spalter fordern Einheit

Ungarn reagiert panisch auf neue Regierung in Rumänien

Als wäre der Teufel selbst in Bukarest eingeritten, so reagieren ungarische Offizielle auf den kürzlichen Regierungswechsel in Rumänien. Die Partei der Rumänienungarn ist aus der Regierung geflogen und nun wird sich das "linke" Rumänien für ihre Treue zu Ex-Premier Boc rächen, schon will man erste Anzeichen dafür erkannt haben. Premier Orbán ruft zur "Einheit aller Ungarn" auf, dabei hat er die Rumänienungarn zuvor eigenhändig gespalten. Der rumänische Wahlkampf begann in Budapest.

Victor Ponta, Chef der Übergangsregierung in Rumänien, bis zu den Wahlen im November 2012

"Die Stabilität ganz Mitteleuropas" steht auf dem Spiel?

"Eine neue, linksgerichtete Regierung hat am Montag die Amtsgeschäfte in Rumänien übernommen und eine ihrer ersten Maßnahmen war die Verhinderung einer ungarischsprachigen Fakultät an der Medizinuni von Targu Mures / Marosvásárhely" zitiert die staatliche Nachrichtenagentur MTI ungarische "Regierungsvertreter", die mehr als besorgt sind, dass "das System der porportionalen Vertretung (von Minderheiten)" abgeschafft werden könnte, ein neues Wahlsystem womöglich bald nur noch persönliche Mandate, keine Parteilisten mehr kennt und ein "Minderheitenrecht ohne eine Kapitel zur kulturellen Autonomie" verabschiedet wird.

Bereits am vorigen Donnerstag warnte Außenstaatssekretär Zsolt Németh: "Es wäre ein Fehler, wenn die vielversprechenden Entwicklungen in den rumänisch-ungarischen Beziehungen zu einem Ende kämen." Dies würde nicht nur beiden Ländern schaden, sondern "die Stabilität ganz Mitteleuropas und seine Aussichten auf Wachstum und Wohlstand bedrohen." Diese "Gefahr" könne man jedoch noch abwenden, Ungarn sei "bereit dazu.".

Sogar die Sozialisten verlieren die Nerven

Dabei bekommt die ungarische Regierungspartei eine ganz unerwartbare Schützenhilfe von seiten der sonst spinnefeinden sozialistischen Opposition, die glaubt, dass ohne nationalen Akzent in Ungarn kein Staat mehr zu machen ist. Der EU-Abgeordnete der MSZP, Csaba Tabajdi, wandte sich an EP-Präsident Schulz und den Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda und klagte über "die nicht minderheitenfreundliche Politik" der neuen Regierung in Bukarest und er bediente sich dabei der gleichen Worte wie Németh, von der Gefahr für ganz Mitteleuropa. Dabei bleibt die Frage offen, von wem die Gefahr eigentlich ausging...

Teile-und-Herrsche funktioniert nur, solange einer herrscht

Was war geschehen? Die rumänische Ungarnpartei RMDSZ, die seit Jahren Teil der liberalen bis konservativen Regierungskoalitionen, zunächst unter Emil Boc, zuletzt unter Mihai Răzvan Ungureanu war, flog mit der Auf- bzw. Ablösung selbiger durch ein Misstrauensvotum aus der Regierung, mit ihr der RMDSZ-Chef Kelemen Hunor, der dort Kulturminister war. Ex-RMDSZ-Chef Béla Markó war sogar Vizepremier. Die RMDSZ war für Ex-Premier Boc ein reiner Mehrheitsbeschaffer. Er konnte sich auf die Stimmen der Rumänienungarn im Parlament verlassen, solange er sie mit ein paar Zugeständnissen bei der kulturellen und lokalen Selbstverwaltung und mit ein paar Budgetmitteln für Minderheitenprojekte bei Laune hielt.

Kelemen Hunor, Ex-Kulturminister Rumäniens und Chef der Ungarnpartei RMDSZ. Er könnte, Dank der Spaltpolitik Orbáns ganz aus dem Parlament fliegen, Zeit, rechtzeitig Schuldige zu suchen...

Dieses klassische "Teile und Herrsche"-Prinzip funktionierte über Jahre recht gut, von einigen Friktionen und beidseitigen Übertreibungen abgesehen und hielt Boc sogar noch an der Macht als seine Koalition nominell schon in der Minderheit war. Das brachte wiederum die Opposition, von liberal über nationalistisch bis links, immer mehr auf die Palme. Schon längst machte das Wort, von "den Ungarn, die uns Rumänen erpressen" die Runde und es war klar, dass die "nationale Karte" im Wahlkampf gespielt werden würde. Nun gelangte die Opposition ohne Wahlen an die Macht, die Ungarn fürchten nun - wie kommen sie nur darauf - dass man jetzt furchtbare Rache für ihre Treue gegenüber der Boc-Partei üben wird. Im Herbst wird in Rumänien gewählt.

Alle Unis müssen sparen, nur die ungarischen nicht?

Die "Bedenken" aus Ungarn sind jedoch, bei Lichte betrachtet, nichts weiter als Kassandra-Rufe, ziemlich heuchlerische zudem. Zum einen verfügt die Medizinuni von Targu Mures, die hier als Besipiel für den beginnenden Rachefeldzug herangezogen wird, schon seit langem über einen ungarischsprachigen Zweig, der als Abteilung geführt und sowohl die Ausbildung als auch Lehre und Forschung (letztere in begrenztem Umfang) in der Minderheitensprache ermöglicht. Selbst die ungarische Regierung nannte die Zustände an der Uni mehr als einmal "vorbildlich".

Die Aufwertung zur Fakultät hätte aber vor allem zur Folge, dass die Abteilungsleitung nun zur Fakultätsleitung geworden wäre, mehr Professorenstellen und Forschungsgelder beschafft werden müssten. Dazu fehlen dem Zentralhaushalt in Bukarest, der die Uni finanziert, schlicht die Mittel, zumal anderswo wegen Geldmangels Fakultäten geschlossen und zusammengelegt werden müssen. Außerdem ist die Schaffung von "Minderheitenfakultäten" per Minderheitengesetz nicht vorgesehen, woran erst ein Gericht erinnern musste. Da es auch politisch derzeit keine Notwendigkeit zu geben scheint, den Rumänienungarn Geschenke hinterher zu werfen, die man anderen Minderheiten aus gesetzlichen Gründen verweigern müsste, war die Entscheidung der Regierung von Victor Ponta eingentlich abzusehen.

Ungarn ist wieder mal das Opfer

Die weiterführenden Bedenken hinsichtlich der "proportionalen Vertretung" bei Wahlen, gar die "Streichung der kulturellen Autonomität" sind hypothetisch, denn die neue Regierung hat dazu noch gar nichts konkretes verlautbart und im übrigen auch ganz andere, wirkliche Sorgen, als die "Lage der Ungarn", schließlich ist sie für alle Bürger Rumäniens zuständig. Und was die Streichung der kulturellen Autonomie angeht, so sind es die politischen Vertreter der Rumänienungarn, die seit Jahren die Unterzeichnung des neuen Minderheitengesetzes verweigerten, weil sie sich durch Offenhaltung immer noch den einen oder anderen finanziellen, personellen oder strukturellen Vorteil erhofften. So kam das Gerede von der "Erpressung" nicht von ungefähr.

Die Einmischung durch Budapest, das prophylaktische Gejammer, strotzt dabei nur so von Heuchelei: zunächst folgt es der Linie, dass man sich fest mit einem Bündnispartner an die Macht klammert, geht dieser dann unter, ist man das Opfer. Das ist das historische Lebenslied der Ungarn, ein pawlowsch wirkender Mechanismus. Auch dem RMDSZ-Chef scheint der Machtverlust nahe zu gehen, denn er bemerkt, dass im Regierungsprogramm Pontas kein Minderheitenaspekt vorkommt, was ihn sogleich an "die dunkelste Ära des letzten Jahrhunderts" erinnert, "als unsere Existenz verleugnet wurde". Und, um noch eins draufzusetzen: "Für die Ungarn in Rumänien ist die Botschaft klar: als nationale Minderheiten seid ihr bedeutungslos, ihr existiert nicht". Dabei übersieht er jedoch, dass Ponta lediglich eine Übergangsregierung bis zu den Wahlen leitet, die das Land nur am Leben erhalten soll. Ihn dafür auf eine Stufe mit Ceaucescu zu stellen, ist ein wenig übereifrig.

Der evangelische Bischof Tökés (im Vordergrund) und sein “nationaler Schirmherr” und wichtigster politischer Sponsor, Premier Orbán

Orbán hat gezielt die Separatisten gefördert...

Dann ist festzustellen, dass die ungarische Regierung alles selbst dafür getan hat, die Vertretung der Rumänienungarn zu schwächen. Mit massivem propagandistischem Aufwand, Organistaions-Know-how aus der Budapester Fidesz-KDNP-Zentrale, Steuermitteln und Erlösen aus der staatlichen ungarischen Lotterie forcierte die Orbán-Partei, erst recht seit 2010, den Aufbau der "Ungarische Siebenbürger Volkspartei" (hier ein aufschlussreicher Bericht über den ersten Parteitag im Februar), einer streng separatistischen Organisation unter Leitung des Nationalisten-Pfarrers Lászlo Tökés, der gleichzeitig aber Mitglied des RMDSZ war. Tökés, der auch von der Aura des Helden der Anti-Ceaucescu-Revolution lebt, vertrat sozusagen dort den rechten Flügel, sprach aus Protest gegen eine tatsächlich minderheitenfeindliche Verwaltungsreform schon einmal “ethnischen Säuberungen” und rief mit seinen Anhängern schon mehrmals öffentlich "territoriale Autonomie" des Széklerlandes, jener mystisch verklärten Ungarnwiege, aus, was Bukarest mit finsterer Miene zur Kenntnis nahm, aber solange schluckte, wie sich die wirkliche RMDSZ-Führung als gemäßigt und pragmatisch heraustellte und - zumindest politisch - "käuflich" blieb. Kürzlich trat Tökés mit großem Tam-Tam aus dem RMDSZ aus.

...und damit die Vertertung der Rumänienungarn im Parlament auf Spiel gesetzt

Die Bestrebungen des Fidesz, die Rumänienungarn auf die kompromisslose Linie der Székler Separatisten und Orbáns zu bringen, hat nun dazu geführt, dass die RMDSZ, die die Vertretung der rund 1,2 Mio. ethnischen Ungarn in Rumänien beansprucht, Gefahr läuft, bei den nächsten Wahlen an der 5%-Hürde zu scheitern und überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten zu sein. Die Széklerpartei hat ohnehin keine Chance auf einen Parlamentseinzug.

Orbán hätte mit seinen spalterischen Aktivitäten seinen Landsleuten dann einen ziemlichen Bärendienst erwiesen und sein Kalkül, die Minderheiten in den Nachbarländern durch Misserfolg und Aufwiegelung der Gegenseite so zu radikalisieren, dass sie seiner reinen Lehre folgen, statt sich Vorteile durch Kompromissfähigkeit zu erarbeiten, dürfte daneben gehen (in der Slowakei steht Orbán übrigens vor dem gleichen Scherbenhaufen seiner genialen Strategie). Bald sollen die Auslandsungarn, so sie den Doppelpass annehmen, das aktive Wahlrecht für Ungarn erhalten. Sie könnten Orbán dann eine gänzlich andere Quittung ausstellen, als dieser eigentlich erwartet hatte.

Ungarn klagt bei anderen ein, was es selbst nicht bietet

Nicht zuletzt - und dieser Punkt wird in den Debattenbeiträgen der ungarischen Offiziellen immer unterschlagen - reklamiert Ungarn für die größte Minderheit im Nachbarland etwas, was es den eigenen Minderheiten verwehrt. In Ungarn gibt es nicht nur keine proportionale Vertretung der ethnischen Minderheiten im Parlament, es gibt überhaupt keine. Das häufig als "vorbildlich" gepriesene Minderheitenrecht in Ungarn ist reines Blendwerk. Es besteht aus "Selbstverwaltungen", die wirklich nur sich selbst verwalten, weil sie überhaupt keine legislativen Einflussmöglichkeiten und auch im Bereich der Lokalverwaltung nur sehr begrenzten Handlungsspielraum haben. Mit ein paar Forint für ihr örtliches Theater oder Bildungszentrum oder eine andere Einrichtung werden die Führer abgespeist. Jedes Projekt ist Gegenstand kleinlichen Gezänks, wie zuletzt wieder die Finanzierung eines slowakischen Kulturhauses bewies. Solche Gelder versickern nicht selten, ob bei den Roma oder anderen Nationalitäten, seit Jahrzehnten in diversen "familären" Strukturen, weshalb von dort auch keine kritische Einmischung zu erwarten ist.

Zementierung der Alibipolitik

Die Belange der größten ethnischen Minderheit in Ungarn, der Roma, werden von einem Staatssekretär der Regierungspartei und ein paar "Quotenroma" beim allesbeherrschenden Fidesz wahrgenommen, die man der europäischen Öffentlichkeit als authentische und engagierte Vertreter vorführt, die daheim aber die systematische Unterstellung ihres Volkes unter die Aufsicht der "Magyaren" abnicken, denn nichts anderes ist die Romastrategie in Ungarn heute, und damit eigentlich Verrat an ihren Leuten begehen. In der kommenden Legislaturperiode werden einige "Parlamentssitze für die Vertreter der ethnischen Minderheiten reserviert", die Alibipolitik wird also durch die neue Verfassung, deren Teil das neue Wahlgesetz ist, zementiert.

Der Spalter ruft nach Einheit

So als wäre nichts gewesen, spielt sich Premier Orbán nun als der große Rufer nach Einheit auf: "Ich rufe alle ungarischen politischen Organisationen, die dort (in Rumänien) operieren dazu auf, miteinander zu kooperieren." Zwar sei "politische Rivialität notwendig", aber in der "derzeitigen Situation" müssen Kooperation und "Vereinigung der Kräfte" Vorrang haben, sagte er am Montag. "Ganz Europa soll darauf achten, dass das Leben dort nicht einen plötzlichen Wechsel hin zu ethnischem Antagonismus macht." Die Reaktion Orbáns erinnert an die eitle Bockigkeit bei seinen "traumatischen" Wahlniederlagen 2002 und 2006. Er konnte noch nie verlieren und hat es auch für die Zukunft nicht mehr vor, dafür wird er sorgen. Offenbar ist im Karpatenbecken nur für einen Viktor Platz...

 

La Clemenza di Ponta

Die Rumänienungarn tragen jetzt die Konsequenzen für das Handeln ihrer politischen Führer aus Rumänien und Ungarn, die auf ihrem Rücken Machtspielchen ausgetragen haben. Eines Tage werden auch die Kernungarn diese Konsequenzen tragen müssen, aber das ist ein anderes Thema. Die neue Regierung unter Victor Ponta in Bukarest, aber auch die Parteien im Wahlkampf, können nun durch ihre Milde und Größe beweisen, dass sie politisch und ethisch reifer und europäischer sind als jene in Budapest, in dem sie eben nicht den Erwartungen der Budapester Nationenschützer und "Allkarpatenvertreter" entsprechen und bei den bevorstehenden Wahlkämpfen kleinliche Rache an den Rumänen mit ungarischen Wurzeln üben. Denn die
Gefahr von Übergriffen radikalisiserter Aktivisten ist real, manch einer wartet nur auf ein wenig Rückenwind von der Politik.

red. / ms.

 

IN EIGENER SACHE
Der PESTER LLOYD möchte sich verbessern - Helfen Sie mit? ZUM BEITRAG