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(c) Pester Lloyd / 47 - 2012   BILDUNG 19.11.2012

 

Göttliche Eingebung?

Plagiatsvorwürfe jetzt auch gegen Vizepremier von Ungarn

Nachdem bereits Pál Schmitt wegen nachgewiesenen Betruges beim Verfassen seiner Doktorarbeit als Staatspräsident zurücktreten musste, Plagiatsvorwürfe gegen den "sozialistischen" Ex-Premier Gyurcsány im Raum standen und nie ganz ausgeräumt wurden, muss sich nun auch der aktuelle Vizepremier des Kabinettes Orbán, Zsolt Semjén, mit dem Vorwurf auseinandersetzen, seine Dissertation sowie eine Diplomarbeit nicht nur mit legalen Mitteln erstellt zu haben.

Ungarns Vizepremier (rechts...) mit dem Staatschef des Vatikans, Josef Ratzinger,
bei einem Konzert ebenda.

Die Doktorarbeit aus dem Jahre 1991, verteidigt mit summa cum laude an der Katholischen Pázmány Péter Universität in Budapest, behandelt "Die Herausforderungen des "New Age" als Chancen für die Evangelisierung" und ist derzeit in allen verzeichneten Bibliotheken vergriffen. Doch der Zeitschrift HVG liegt ein Exemplar vor, anhand dessen sie rund 40% des Inhaltes als von englischen und deutschen Stellen abgeschrieben identifiziert, ohne das dafür adäquate Quellennennungen vorliegen. Genannt werden u.a. Artikel ("Der Traum vom `New Age`") von Pater Stefan Üblackner aus "Stadt Gottes - Magazin der Steyler Missionare", Texte des Religionswissenschaftlers Helmuth von Glasenapp sowie Textstellen aus der "Enzyklopädie des Okkultismus" des Briten Lewis Spence. Als verschärfend wird angegeben, dass die Übernahmen aus deutschen Texten trotz fehlender Deutschkenntnisse Semjéns geschahen, was wohl kaum mit göttlicher Eingebung erklärbar ist.

Die Doktorarbeit befasst sich vor allem mit esoterischen, spirituellen Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und anderen okkultistische Herausfoderungen für die reine katholische Lehre. Auch eine soziologische Diplomarbeit, abgegeben für die ELTE-Universität 1992 wird angeprangert, danach seien auch dort Stellen teils wörtlich oder leicht verändert aus fremdsprachigen Quellen übernommen worden, zudem sei ein Großteil der mit einem Diplom gewürdigten Arbeit von der eigenen Doktorarbeit abgeschrieben worden.

HVG weist die Plagiate, wie schon bei Ex-Präsident Schmitt, detailliert an etlichen Gegenüberstellungen von Original und "Kopie" nach. Der Beschuldigte widersprach den Anschuldigungen bisher nur kurz über eine Boluveardzeitung. Im Tabloid "Blikk" nannte er die HVG-Vorwürfe "kompletten Nonsense", denn er habe schließlich "am Ende" (im Literaturverzeichnis) alle benutzten Werke aufgeführt. Im übrigen habe er den HVG-Beitrag noch nicht gelesen. Er habe seine Thesen über Jahre mit Professoren erarbeitet und sei dabei nach den gängigen wissenschaftlichen Methoden vorgegangen.

Bildungsstaatssekretärin Rózsa Hoffmann wollte bereits “ausschließen”, dass Semjén plagieren könnte und sprach von einem “politischen Spiel”. Premier Orbáns Sprecher, Havasi, sprach von einer “unverschämten, politischen Provokation” der Zeitschrift, die rechtlicher Folgen gewahr sein müsse. Ob beide die Vorwürfe überprüft haben, ist nicht bekannt, aber in der Kürze der Zeit eher unwahrscheinlich.

Der 1962 geborene Semjén vertritt auch als Politiker (er ist Vizepremier, als Minister ohne Portfeuille für Religions- und Nationenfragen zuständig und Chef der Fidesz-Anhängsel-Partei KDNP, Präsident der Ungarischen Jagdvereinigung), eine streng ständestaatliche, klerikale Linie und führt mit der KDNP eine Gruppe religiöser Hardliner an, befindet sich damit aber auf Regierungslinie, denn Premier Orbán äußert sich regelmäßig dahingehend, dass nur eine Besinnung auf "christliche Fundamente" den Fortbestand der europäischen Zivilisation sichern könne.

 

Seine auffälligsten Aktivitäten waren bisher die Promotion und Finanzierung von Pilgerreisen für Schüler (auch staatlicher Schulen) ins “Heilige Land” und an “heilige Stätten der ungarischen Nation” u.a. im rumänischen Siebenbürgen, die Erstellung eines “Zentralregisters der Ungarn in der Welt”, die Umsetzung der vereinfachten Vergabe der Staatsbürgerschaft an Ungarn nach Blutslinie sowie eine Lockerung des Waffenrechtes. Einige Medien vermuten ihn als Kopf des Opus Dei in Ungarn, wofür der Nachweis aber fehlt. Mit Bezug auf die multiethnische slowakische Ungarnpartei Most-Híd sagte er im Parlament einmal, dass "interethnische Parteien die Vorhölle der Assimilisation" seien, weshalb eine Kooperation mit ihnen nicht in Frage komme.

Präsident Schmitt trat nach seiner Überführung übrigens nicht wegen seiner Schuld zurück, sondern weil “die gegen mich geführte” und “aus dem Ausland gesteuerte Medienkampagne” sein “Amt über Gebühr” beschädige. Er geht derzeit rechtlich gegen die Professoren vor, die ihm den Doktoritel aberkannten und plant eine neue Doktorarbeit um "seine Ehre" wiederherzustellen.

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Zum Plagiatsverdacht Gyurcsány:

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red.

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