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(c) Pester Lloyd / 01 - 2013   BILDUNG 04.01.2013

 

Akademische Streichliste

Regierung in Ungarn macht Studieren zum Privileg Wohlhabender

Die ungarische Regierung hat eine Liste mit den Studiengängen veröffentlicht, die ab dem kommenden Studienjahr 2013/14 nicht mehr staatlich subventioniert werden und daher durch Studiengebühren und / oder Studienkredite einschl. vertraglichem Bleibezwang für das Doppelte der Studienzeit bezahlt werden müssen. Die Auflistung offenbart den Willen der Orbán-Regierung, der ärmeren Mehrheit der Bevölkerung den Zugang zu leitenden Funktionen in Staat und Wirtschaft dauerhaft zu verwehren.

Wem gehört die Zukunft? fragten vor dem Jahreswechsel demonstrierende Studenten.
Nun hat die Regierunge geantwortet: Euch nicht!

Das Bildungsstaatssekretariat im Ministerium für "Humanressourcen) sieht in den nachfolgenden Studiengängen keine prioritäre nationalwirtschaftliche Bedeutung: Andragogik (lebenslanges Lernen, Erwachsenenbildung), Volkswirtschaft, Human Ressources / Personalmanagement (der Studiengang, nicht das Ministerium), Wirtschaftsanalytik, Business Management, Betriebswirtschaft, Öffentlicher Dienst (Anmerkung: hierfür gibt es eine eigene, regierungsgesteuerte, neue Uni, in der "geeignete" Bewerber aufgenommen und mit staatlichen Stipendien bestückt werden, die ents. Loyalität vorausetzen, was eine kostenlose Ausbildung obsolet macht), Internationales Management, Buchhaltung und Finanzcontrolling, Tourismus & Gastronomie, alle Jura-Studiengänge, Soziologie, Kommunikations- und Medienwissenschaften, Internationale Studien (Außenpolitik).

Was Studienbereiche wie Kunst, Musik, Medizin etc. betrifft, so gibt es dort schon heute Studiengebühren. Die ungeliebten "liberal verseuchten" Bereiche wie Philosophie, Sozialwissenschaften etc. werden über Fakultätskürzungen und Hochschulschließungen begrenzt werden, an denen die zuständige Staatssekretärin, Rózsa Hoffmann, von Anfang an keinerlei Zweifel ließ. Um die Proteste im Rahmen zu halten, wird man damit noch etwas warten. Im Fokus der staatlichen Förderung stehen nun ausschließlich noch die Ingenieurswissenschaften (als Personalzulieferung für Audi, Mercedes und Co.) und die Naturwissenschaften, die jedoch häufig schon über indirekte N.C.´s (begrenzte Zahl von Studienplätzen) und entspr. Aufnahmehürden eingeschränkt sind.

Neben der von der streng ständisch orientierten Orbán-Regierung angestrebten, allgemeinen Reduzierung der Akademikerquote und dem Ziel der Einsparung von Budgetmitteln, sollen, so lässt es die Auswahl erahnen, die nicht unwesentliche Bereiche Jura (Richter, Anwälte, Staatsanwälte), aber auch die zukünftige Wirtschaftselite aus finanziell gehobenen Kreisen rekrutiert werden, die eher weniger zu regierungskritischen Ansichten und Tätigkeiten neigen.

Die nun fälligen Gebühren von 400 bis 800.- EUR pro Semester mögen dem westlichen Beobachter nicht als übermäßig erscheinen, rechnet man jedoch die in der Hauptstadt recht hohen Lebenshaltungskosten hinzu und bedenkt die katastrophale Einkommenslage bei Studentenjobs sowie die oft sehr hohe Verschuldung der Familien, wird deutlich, dass eine Gebühr von 800.- EUR im Halbjahr für den Großteil der Abiturienten das Studieren unmöglich machen wird und damit auch die freie Entfaltung der Person, ein Grundrecht.

 

Für die frei zugänglichen, aber auch die gebührenpflichtigen Studiengänge fehlen noch immer auch die Zugangsbedingungen, sprich die erforderliche Punktzahl bei den verbindlichen Aufnahmetests (bisher 240) und die Definition, wie diese erreicht werden (was auch ein leicht manipulierbares Steuerinstrument darstellt). Dies wurde den Studierenden von Minister Balog für "nach Weihnachten" zugesagt.

Mit dem heutigen Stand ist zu konstatieren, dass die vielstimmigen Proteste der Studierenden, Abiturienten und Lehrkräfte kein Umdenken der Regierung und ein Ergebnis gebracht haben, dass auch nur annähernd das Wort "freie Bildung" verdient und eine Perspektive als Wissensgesellschaft eröffnet. Die Verschärfung der sozialen Ungerechtigkeit, die Bildungs-Segregation nach "Standeszugehörigkeit" erreicht mit der Hochschulpolitik, nach der Steuerpolitik und anderen Klientelmaßnahmen, einen neuen Höhepunkt.

Über die weiteren Aspekte der Hochschulreform und die Forderungen der Protestierer finden Sie hier einen Grundsatzartikel

Updates zu den Studentenprotesten hier

red.

 

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