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(c) Pester Lloyd / 10 - 2013   POLITIK 07.03.2013

 

Angriff der Demokratiefeinde...

Regierungspartei in Ungarn macht Minidemo zur Staatsaffäre

Die Regierungspartei Fidesz nahm die Belagerung ihres Hauptquartiers in Budapest am Donnerstag zum Anlass, um Ex-Premier Bajnai von der oppositionellen Wahlallianz "Gemeinsam 2014" als dafür verantwortlich und sich selbst als Opfer einer "inakzeptablen Aggression" darzustellen. Fidesz behauptet Sachbeschädigungen und Körperverletzung, die Polizei weiß von nichts. Nun marschieren die Gegentruppen auf und wollen die "Demokratie verteidigen".

Der mittägliche Sturm im Wasserglas von einigen Bürgerrechtsaktivisten, aus Protest gegen den Fidesz-Angriff auf Verfassung und Verfassungsgericht, weitet sich zur mittleren Staatsaffäre aus, die "Angegriffenen" scheinen für die Vorlage fast dankbar zu sein: "Wenn Bajnai uns vorher Bescheid gegeben hätte, wäre seinen Anhängern ohne Zögern Einlass in unsere Parteizentralge gewährt worden." hieß es in einem Statement der Partei. Denn, "wir hören uns jede Meinung an, doch die Meinungsfreiheit und die Freiheit zur Gewalt sind nicht das gleiche." Und weiter: "Ungarn braucht keine intensive, antidemokratische Hasskampagne, welche die Linke dem Land aufdrängt". Im Gegenteil, "das Volk" habe 2010 "nach acht Jahren des Chaos und der Teilung für Ruhe, Gemeinschaft und Sicherheit gestimmt."

Fidesz-Sprecherin Selmeczi und ein Kollege in der Verbalschlacht gegen die “Bajnai-Truppen”

"Bajnais Truppen", so eine andere Aussendung aus der Parteizentrale, hätten einen "Schaden von einer halben Million Forint" (ca. 1.600 EUR) angerichtet, sie hätten "Scheiben zerbrochen und eine Tür beschädigt." und "körperliche Gewalt gegen Frauen und Männer, die in der Parteizentrale arbeiten, angewendet." Für diese Aussagen, dem Duktus nach ein Opus von Fidesz-Sprecherin Selmeczi, gibt es bisher keine unabhängige Bestätigung. Nach den Schilderungen der Medien vor Ort überkeltterten lediglich einige ein Tor bzw. einen Zaun und besetzten die Zufahrt. Die Polizei bestätigte, dass ein Mann beim Versuch das Gebäude zu betreten, verhaftet wurde. Er sei auf freiem Fuß angezeigt worden. Die anderen Beteiligten hätten sich bei Eintreffen der Polizei freiwillig entfernt. Von Sachschäden oder gar tätlichen Angriffen sagte die Polizei kein Wort.

Wie zu sehen, ist die Demokratie durch die Demonstranten schwer gefährdet...

Fidesz-Vizechef Kósa, Bürgermeister von Debrecen, sattelte noch etwas drauf und sagte, dass die "Bajnai-Garden" diesen Angriff gestartet hätten. Eine Anspielung auf die radikal-militanten "ungarischen" Garden, die seit Jahren in Ungarn ihr Unwesen treiben und offenbar eine Wortwahl, die den Bürgern Angst machen soll. Kósa belehrte die Demonstranten, dass in einem Rechtsstaat, die Meinung oder die rechtsstaatlichen Instrumente, die einzigen Waffen der Wahl sein dürften. Die Bemerkung ist besonders zynisch, protestierten die Demonstranten doch genau gegen den Abbau von Grundrechten und den Kompetenzen des Verfassungserichtes.

Fidesz brachte indes bisher keine Beweise, dass Bajnais Organisation etwas mit der Aktion zu tun hatte. Ein Parteisprecher berichtete, dass "Parteikollegen gesagt hätten, dass die Demonstranten ihre Anweisungen auf Smartphones bekommen hätten, der Absender sei Gemeinsam 2014 gewesen." Wie diese "Kollegen" das herausgefunden haben wollen, diese Info blieb der Fidesz-Sprecher Kocsis schuldig. Es gab, wie immer bei solchen Anlässen, auch erste Stimmen, die Ermittlungen der Antiterroreinheit und des Geheimdienstes über die "Drahtzieher" verlangten. Es wird dann nicht wundern, dass "gewisse Kreise" dahinter stecken.

Facebook-Kommentatoren reagieren auf ihre Weise auf die neueste Budapester Operette:
Der Diktator und seine “agressiven Feinde”...

Man konnte nun von 3 rückwärts zählen, wann sich Großimam Zsolt Bayer und seine "Friedensmärschler" ins Geschehen einschalten und zur "Rettung der Demokratie" aufmarschieren lassen. Auf der Webseite der halbamtlichen Pro-Regierungsorganisation schrieb einer der Macher, dass es (noch?) "keiner Gewalt bedürfe" gegen "diese Demonstranten", sondern nur einer größeren Anzahl von Gegendemonstranten, die ihre Sympathie mit Fidesz ausdrückt. Ihr Slogan sollte sein: "Für die Verfassung, für den Rechtsstaat, für die Demokratie!".

Am Nachmittag versammelten sich wiederum Demonstranten vor der Parteizentrale, gegen 15.30 Uhr waren etwa 150 Menschen vor Ort. Auch die ersten Gegendemonstranten marschierten mit einem Plakat auf, das Ex-Premier Bajnai, Bokros (der gerade eine neue Partei zu gründen gedenkt), Ex-Zentralbankchef und "off-shore-Ritter"-Simor und Kádár in einer Reihe zeigt.

 

Bajnais Plattform "Gemeinsam 2014" verneinte jede Beteiligung. "Fidesz wisse auch, dass die Sache nichts mit Bajnai oder der Organisation, die er repräsentiert, zu tun hat. Der Wähler sollte das auch wissen." Allerdings, so G2014 sei man sich auch bewusst, dass die letzten drei Jahre Fidesz-Regime viele Leute in die Verzweiflung getrieben haben, die Wut sei daher verständlich.

Dass sich Fidesz derart auf Bajnai einschießt, ist ein Hinweis darauf, wen man als größten Kontrahenten bei den in einem Jahr anstehenden Wahlen ansieht. Zwar hat die MSZP noch immer doppelt so hohe Wahlprognosen wie G2014, doch das Potential der Mitte-Links-Sammlungsbewegung wird sich mit näherrückendem Termin deutlich erhöhen. Für den 15. März (Nationalfeiertag) ist der Vollzug der Parteigründung angekündigt. Wenn alles nach Plan läuft, dürfte Bajnai als symbolischer Spitzenkandidat des gesamten links-liberalen Spektrums aufgebaut werden, Fidesz hat daher elementares Interesse, ihn zu diskreditieren.

UPDATE 08.03.: Nach dem abendlichen Aufeinandertreffen von Pro- und Contra-Regierungsdemonstranten vor der Fidesz-Zentrale, es waren in Summe etwa 300, zog ein kleiner Trupp Oppositioneller vor das Verfassungsgericht. Eine Demo gab es auch in Pécs, rund 200 Menschen protestierten auf dem Hauptplatz gegen die Aussortierung arbeitsunfähiger Bergarbeiter aus ihren Invalidenrenten und die Auskoppelung des Busverkehrs in “nahestehende” Kreise.

Für Samstag, 9.3. wurde für 15 Uhr zu einer weiteren Demo augerufen. Treffpunkt Kossuth tér, Ecke Alkotmány utca (Verfassungsstrasse)

red.

Erstmeldung vom “Sturm” auf die Fidesz-Zentrale

 

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