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(c) Pester Lloyd / 17 - 2013   POLITIK 18.04.2013

 

Beschränkte Handlungsfähigkeit

Ungarn war wieder Thema im EU-Parlament

Am Mittwoch war Ungarn einmal mehr Thema auf einer Plenarsitzung des europäischen Parlamentes in Straßburg. Die Debatte ging wie immer aus wie das Hornberger Schießen. Nach einem allgemeinen Austausch von Vorwürfen undArgumenten stellte die Runde der Parlamentarier - je nach Lager - betroffen oder erleichtert fest, dass sie eigentlich nichts tun kann und fordert Kommission und Rat auf, etwas zu tun. Der "Fall Ungarn" wird daher auf Juni verschoben.

Rede von Viviane Reding am 17.4. (engl.)
http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-13-324_en.htm#PR_metaPressRelease_bottom

Video der Plenarsitzung mit Schwerpunkt Ungarn (ansehbar bis 24.4.)
Video von der Plenarsitzung, Thema Ungarn (ansehbar bis 24.4.)

 


In der Debatte in Straßburg am Mittwoch kristallisierte Justzikommissarin Reding gegenüber den Abgeordneten vorläufig drei Punkte heraus, die sich bei der noch nicht abgeschlossenen Prüfung bereits als problematisch zu Gemeinschaftsrecht herausstellten: das Recht der obersten Justizaufsicht, Fälle beliebig Gerichten zu entziehen oder zuzuweisen, die Abwälzung von EU-Strafen auf Steuerzahler sowie die Beschränkung von Wahlwerbung auf den Staatsrundfunk. In zwei dieser Angelegenheiten hat Ungarn bereits "die notwendigen legislativen Schritte" eingeleitet, die Orbán gegenüber Barroso angekündigt hatte, allerdings lässt die Art des "Kompromisses" Zweifel an der Ernsthaftigkeit des ungarischen "Einlenkens".

In der Debatte tauschten die politischen Lager ihre bekannten Standpunkte aus, wobei die EVP-Vertreter - tweilweise - zurückhaltender in der Verteidigung ihrer Schwesterpartei agierten als zuletzt. Man mahnte an, dass alle Fragen "sachorientiert" zu lösen seien, der Luxemburger EVPler Engel führte ins Feld, dass Ungarn nicht "schlimmer ist als wir", denn auch gegen andere Länder laufen Vertragsverletzungsverfahren. Dies ließen Sozialisten, Liberale und Grüne so nicht stehen, insistierten darauf, dass die
Vorgänge in Ungarn von grundsätzlicherer Natur sind und zeigten das hier schon öfter besprochene Dilemma auf, dass es zwischen Verfahren gegen einzelne Regelverstöße und dem Artikel 7-Verfahren keine Instrumente gibt, die einem systematischen Abbau von Rechtsstaat und Demokratie in einem Mitgliedsland entgegenwirken könnten, ohne dem Land gleich die rote Karte zu zeigen.

Die Verteidigung der ungarischen Seite fiel wie immer beschwichtigend und ablenkend aus. Fidesz-Vertreter József Szájer referierte über das von Premier Orbán angestoßene
Verbot einer Nazidemo, für das er wohl irgendwie Lob erwartete, andere Vertreter der Regierungspartei wiederholten entweder die Lippenbekenntnisse von den europäischen Werten oder die Behauptung einer ideologischen, feindlichen Kampagne "gegen Ungarn".

“Ich bin gar nicht da.” Orbán “verteidigte” diesmal nicht “sein Land” vor dem EU-Parlament gegen die “linksliberale Hasskampagne”, er bevorzugte die Beerdigung Thatchers in London. Präsent war er trotzdem.

Unter den Orbán-Kritikern nehmen mittlerweile Angehörige der liberalen Fraktion die deutlichste Position ein, so wiederholte Guy Verhofstadt, Fraktionschef, dass "der klare Bruch von EU-Recht und EU-Werten" die Aktivierung eines Artikel 7-Verfahrens rechtfertige. Das Parlament sollte daher einen klaren Standpunkt zur Problematik finden und, falls die Kommission nicht zu diesem Verfahren findet, es selbst einleiten. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda sowie die Grüne Rebecca Harms stellten nochmals klar, dass es nicht um eine "Einmischung in Ungarns innere Angelegenheiten" gehe, sondern um Bürgerrechte und den Rechtsstaat, die das "Herz des europäischen Projektes" darstellten. Man verwahrt sich dagegen, dass irgendjemand eine Kampagne gegen Ungarn fahre, im Gegenteil, Ungarn solle endlich mit den Ablenkungsmanövern und der stetigen Diffamierung aufhören und sich der Sache stellen.

 

Die jüngsten Äußerungen Orbáns z.B. in Spanien und seiner Anhänger, die bereits ernsthaft den Teufel einer militärischen Intervention an die Wand malen, machen klar, dass dies niemals geschehen wird. Orbán selbst war diesmal nicht an Ort und Stelle "um mein Land zu verteidigen", er weilte als einziger Regierungschef eines Nicht-Commonwealth-Staates bei der Beerdigung von Margret Thatcher in London. Am Dienstag traf er sich mit der EVP-Fraktion zu einer Aussprache.

Im Rahmen der sehr beschränkten Handlungsmöglichkeiten des europäischen Parlamentes vertagten die europäischen Volksvertreter die Frage nach dem weiteren Umgang mit Ungarns Regierung in den Juni. Bis dahin sind das Defizitverfahren weiter behandelt, die Prüfung der Verfassungsänderungen durch die EU-Kommission sowie durch einen Parlamentsausschuss und die Venedig-Kommission abgeschlossen. Ziel ist die Verabschiedung eines Berichtes zum "Stand von Demokratie und Rechtsstaat in Ungarn", der auch Handlungsaufforderungen an Kommission und Rat der Regierungschefs (letztlich dem entscheidenden, aber auch taktierendsten Gremium) enthalten soll.

Über die aktuelle Problematik EU-Ungarn berichteten wir ausführlich in “Größtmöglicher Zaunpfahl”, darin weiterführende Links.

red.

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