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(c) Pester Lloyd / 30 - 2013   POLITIK / WIRTSCHAFT 22.07.2013

 

Notausgang zugemauert

Ungarn schmiss den IWF aus dem Land, zum dritten Mal in drei Jahren...

"Der Gouverneur der ungarischen Zentralbank, György Matolcsy, hat die Schließung des Budapester Büros des Internationalen Währungsfonds veranlasst." Mit dieser Wortwahl begingen die amtliche Nachrichtenagentur MTI und andere regierungsnahe Medien den dritten forcierten Rausschmiss des IWF aus Ungarn seit drei Jahren. In einem Brief erklärte Matolcsy der IWF-Chefin Lagarde, dass Ungarn nun alles alleine schaffe und die Aufrechterhaltung eines IWF-Büros daher "nicht notwendig" sei. Das Budapester Büro reagierte umgehend, man werde bis Oktober das Land räumen.

Was? Der IWF will eine Immobileinsteuer einführen? Das lassen wir nicht zu. So die Kampagne der Regierung. Dass praktisch jeder Häusle-Besitzer in Ungarn über kommunalen Steuern längst eine solche bezahlt, verschweigt man. Die Kommunen haben, laut offizieller ungarischer Statistik ihre Steuern im Vorjahr im Schnitt um 34% angehoben, als Kompensation für die Ausfälle der Gewerbersteuer... Ist das nicht irgendwas faul im Staate?

Gleichzeitig gedenkt die Regierung, in den nächsten Wochen darüber zu beraten, ob der im Krisenjahr 2008 ausgereichte Kredit frühzeitig ausbezahlt werden wird und wenn ja, wann, so Finanzstaatssekretär Gábor Orbán am Freitag im Rundfunk. Der Erfolg der Devisen-Anleihenausgabe im Februar habe die Regierung darin bestärkt, dass es möglich ist, die ungarischen Staatsschulden auf dem internationalen Finanzmarkt zu refinanzieren und es dazu keine Hilfe des IWF braucht, die an Bedingungen geknüpft sei, die den Grundsätzen der ungarischen Politik zuwiderlaufen.

Ende des Defizitverfahrens und Einschätzung zur Wirtschaftslage in Ungarn

Fidesz nannte hier vor allem Sozialabbau und eine ungerechte Lastenverteilung, Maßnahmen, die sie bereits selbst konsequent anwendet, allerdings anders benennt, hingegen man dem IWF in einer millionenschweren Anzeigenkampagne das Diktat von Bedingungen unterstellte, das dieser nie machte. Man würde durch die frühere Zurückzahlung außerdem Zinsen sparen, argumentiert der Staatssekretär, allerdings sind die Anleihezinsen auf dem freien Markt, wenn auch deutlich niedriger als vor ein paar Jahren, immer noch rund um das Dreifache höher als die IWF-Zinsen von rund 2%.

Die Regierungspartei ließ mitteilen, dass der Rausschmiss des IWF ein großer Sieg und der Beweis dafür sei, dass das "internationale Vertrauen" in Ungarn gestiegen ist. Parteisprecherin Selmeczi zitierte dazu den Bericht der sonst so verhassten Finanzmarktanalysten, die, zumindest was Standard & Poors betrifft, Ungarn kürzlich von der Liste der zehn meistgefährdeten Pleitekandidaten genommen habe (jetzt Platz 18). Daher müsse man sich nun nichts mehr "von dem Fonds diktieren lassen".

“In Ungarn wächst das Vertrauen in nationale Institutionen, das ist besonders wichtig, da das Vertrauen in europäische Institutionen überall nachlässt. Ohne Vertrauen gibt es ein Führungsproblem und letztlich ein Demokratieproblem", wiederholte Fidesz-Sprecherin Selmeczi die Worte ihres Regierungschefs aus einem Interview mit dem Wall Street Journal vom Vortag, in dem ihn die Zeitung all seine bereits hinreichend bekannten Lügen über Erfolge und den angeblich so gesunden Zustand seiner Wirtschaft aufzählen ließ.

Die Opposition sieht die Lage naturgemäß anders, "die ungarischen Menschen werden von der angeblich `besseren Performance` (Regierungsslogan, Anm.) Ungarns nichts merken", so ein MSZP-Sprecher, die Lebensbedingungen "der meisten verschlechtern sich von Tag zu Tag". Die Bürger zahlen die höchste Mehrwertsteuer Europas, erhalten aber gleichzeitig die kürzeste Arbeitslosenunterstützung in der EU. Hunderttausende haben wegen Perspektivlosigkeit und zu geringer Einkommen das Land verlassen, die Geburtenrate sinkt drastisch und im Lande wurden seit 2010 Hunderttausende "echte" Jobs vernichtet.

Die Regierung habe das Volk betrogen, in dem man 3000 Milliarden Forint (rund 10 Mrd. EUR) an privaten Rentenbeiträgen unter dem Slogan der Schuldenreduzierung im Haushalt verbraten habe. Die Schuldenquote des Staates liege aber noch immer bei über 80%, weil die verantwortungslose Wirtschaftspolitik dem Forintkurs derart zugesetzt habe. Dieser sei auch für die Verteuerung der Forex-Kredite zuständig, die selbst die Mittelschicht immer mehr in den finanziellen Ruin drängt, so die MSZP.

Auch Ex-Premier und Wirtschaftsexperte Bajnai spricht von einer Regierungslüge hinsichtlich der Wirtschaftslage des Landes. Ostmitteleuropa performe nur Dank Polens und der Slowakei besser, während in Ungarn die Wirtschaft bestenfalls stagniert. Bajnai nannte Orbáns Aussagen in einem Interview mit dem Wall Street Journal "Lügen", die Regierung habe ihren "Krieg gegen die Schulden" längst verloren. Der IWF-Rausschmiss sei nur eine politische Charade, immerhin habe der IWF deutlich bessere Kredit-Konditionen zu bieten als der freie Markt selbst in seinen besten Zeiten. Daher haber er als Premier 2008 auch den Kredit vereinbart.

Was die Phrasen vom "gewachsenen Vertrauen" in Ungarn und seine Regierung angeht, so brauchte man sich ja nur das Vorgehen bei der Vergabe der Tabakhandelslizenzen anschauen, die Einführung von immer neuen und höheren Steuern oder die retroaktive Anwendung neuer Gesetze. All das hätte "jeden Rest von Vertrauen" erschüttert. 500.000 Menschen hätte nicht aus Spaß das Land verlassen. Orbán hat aus Ungarn ein Land für die oberen 10% gemacht. 88% der Steuerzahler haben durch das "ungerechteste Steuersystem aller Zeiten" Einbußen hinnehmen müssen.

Die Regierung Orbán hatte dem IWF bereits kurz nach ihrem Wahlsieg 2010 die Tür gewiesen, was Premier Orbán damals mit den Worten kommentierte, dass "ich gehe, wenn die wiederkommen...". 2012 kamen sie wieder, Orbán blieb, denn er stellte fest, dass der IWF eigentlich "unsere Bank" ist, denn schließlich stellt Ungarn in der Multinationenbank auch einen Vorstandsposten. Nur wollte er nicht über einen Kredit, gar einen Notkredit verhandeln, sondern lediglich über ein "Sicherheitsnetz für den Fall, dass die Eurozone ihre Krise weiter nicht lösen kann". Auch diese Gespräche opferte man auf dem Altar des politischen Populismus in Form eines neuen magyarischen "Antikolonialismus". Durch relativ günstige Anleihezinsen (seit Monaten relativ stabil um die 5,75-6,5% für 10jährige Anleihen) selbstbewusst geworden, glaubt Ungarn nun auf einen alternativen Kreditgeber gänzlich verzichten zu können.

 

Was sich vordergründig als politisch clever darstellen mag, immerhin sind Orbáns Popularitätswerte stabil bis steigend, seine Mehrheit bisher ungefährdet, muss kaufmännisch als ziemlich gefährlich, wenn nicht äußerst dumm gelten, denn sämtliche Fachleute sind sich einig, dass die ungarische Staatsfinanzlage im Moment zwar ruhig, aber keineswegs störunanfällig ist, zumal die ungarischen Staatsschulden weder durch eine robuste Wirtschaftsleistung, noch eine auch nur annähernd vertrauenerweckende Währung gedeckt sind. Der IWF, so unbequem, ahistorisch und kritisierbar er sein mag, bietet innerhalb des heutigen Finanzierungssystems im Fall der Fälle doch immerhin eine letzte Rettung vor einer unmittelbaren Pleite, mit weitreichenden sozialen Konsequenzen für die Menschen. Die ungarische Regierung hat ihrem Volk diesen Notausgang nun zugemauert, nur ideologischer Rechthaberei wegen.

Zum Thema: Déjà vu économique

Ungarn schrumpfte Defizit auf Kosten der Wirtschaft, Investitionen -8,7%

Nicht nur auf sozialem Gebiet zahlt Ungarn ein (zu) hohen Preis für das Ende des Defizitverfahrens bei der EU. Auch die gesamtökonomischen Aussichten auf ein nachhaltiges, stabiles Wachstum bleiben schlecht, denn der rigide Sparkurs, den die Regierung der öffentlichen Hand verordnete, um dem EU-Verfahren zu entkommen, blutet die Wirtschaft nach und nach aus. Anstatt an der Bürokratie, spart man an den Investitionen. Orbáns neue Gulaschwirtschaft erinnert an erst kürzlich gescheiterte Systeme - und an deren Ende.

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red.

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