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(c) Pester Lloyd / 23 - 2013   WIRTSCHAFT 03.06.2013

 

Déjà vu économique

Ungarn schrumpfte Defizit auf Kosten der Wirtschaft, Investitionen -8,7%

Nicht nur auf sozialem Gebiet zahlt Ungarn ein (zu) hohen Preis für das Ende des Defizitverfahrens bei der EU. Auch die gesamtökonomischen Aussichten auf ein nachhaltiges, stabiles Wachstum bleiben schlecht, denn der rigide Sparkurs, den die Regierung der öffentlichen Hand verordnete, um dem EU-Verfahren zu entkommen, blutet die Wirtschaft nach und nach aus. Anstatt an der Bürokratie, spart man an den Investitionen. Orbáns neue Gulaschwirtschaft erinnert an erst kürzlich gescheiterte Systeme. - und an deren Ende.

Index der Investitionsentwicklung. Er zeigt, das der kleine Auwärtstrend nach der Krise 2008/09 abgewürgt worden ist und sich das Volumen mittlerweile wieder auf dem der Hochzeit der Lehman-Krise befindet.

Die aktuellen Zahlen zum Wirtschaftswachstum (+0,7% im ersten Quartal 2013 gegenüber Q4 2012, aber noch -0,9% zum Vorjahr), täuschen nur Leichtgläubige über die wahren Zustände in der ungarischen Wirtschaft. Denn nur die niedrigen Basisdaten und eine handvoll neue Werkbänke ausländischer Multis brachten einigen Errfolg, strukturell geht es weiter bergab. Das Investitionsvolumen der ungarischen Wirtschaft fiel in den ersten drei Monaten des Jahres um weitere 8,7% gegenüber Q1 2012, auch gegenüber dem vierten Quartal 2012 gab es einen Rückgang, saisonbereinigt von 3,8%.

Das erste Mal seit zweieinhalb Jahren fiel dabei auch der Indikator für die Investitionen im Fertigungsbereich (-13,2%), wo Ungarn dank Daimler, Bosch, Audi & Co. und all die anderen, die man mit "Strategischen Kooperationsvereinbarungen" umgarnt, bisher noch glänzen konnte. Doch viele der "ausländischen Multis" haben die letzte Runde ihrer Großinvestitionen fürs erste abgeschlossen, ihr Anteil am Gesamtvolumen steigt aber dennoch weiter. Diese Entwicklung geht kaum mit dem "auf eigenen Beinen stehen" der "vielversprechendsten Ökonomie Europas" zusammen, von der Orbán in seinen Eigenlobreden stets fabuliert.

Energieversorger stellen Investitionen nahezu ein

Einen starken Rückgang erlebte - einmal mehr - der Bausektor, wo 19,2% weniger investiert wurde als vor einem Jahr, obwohl der Output zuletzt nach Jahren des Rückganges leicht anstieg. Ungefähr gleich schwach waren die Investitionen im Immobilienentwicklungsbereich (-19,7%), die vor allem vom Büro- und Handelssektor getrieben werden, der in Ungarn nicht gerade gehegt wird. Der Energiesektor, der durch staatliche Übernahmen, sozial irreführende,
gesetzliche Preisdiktate und weiter angehobene Sonderabgaben auf Gewinne gekennzeichnet ist, investierte 30,5% weniger als vor einem Jahr. Die Statistiker registrierten nahezu Stillstand beim Netzausbau und das trotz enormen Bedarfs, wie die häufigen Stromausfälle bei eher normalen Unwettern belegen. Dies ist eine direkte Auswirkung der Politik Orbáns. Trotz einiger Großanschaffungen der Bahn und der Öffentlichen Verkehrsbetriebe fiel auch der Transportsektor zurück, um 4,7%, d.h. der private Bereich baut ab oder verharrt im stand by.

Öffentliche Hand investiert in Massenbeschäftigung, vernachlässigt aber Bildung und Gesundheit

Die Investitionen in den Bildungs- und Gesundheitssektor spiegeln - trotz häufiger Kofinanzierung durch EU-Mittel - das mangelende Engagement des Staates, die Rückgänge hier lagen bei 14,8 bzw. 20,2%. In rund einem Drittel der gemessenen Branchen gab es Zuwächse, meist wegen großer Einzelaufträge, auch diese fast immer durch EU-Millionen getragen oder wegen der niedrigen vorjährigen Basisdaten. So stiegen die Investitionen im Wasser- und Müllmanagement, vor allem durch den Bau neuer Aufbereitungsanlagen um 38,7%. Die Nationalen Beschäftigungsprogramme sorgen im Bereich der Investitionen in der "öffentlichen Verwaltung", der Verteidiung und der "sozialen Sicherheit" für ein Plus von 34,7% und sind hauptsächlich auf Deichbau und andere Flutschutzmaßnahmen zurückzuführen.

Dabei handelt es sich zwar um wichtige Schutzmaßnahmen, jedoch nicht um mittelfristig mehrwerterzeugende Investitonen im eigentlichen Sinne, zumal durch diese Investitionen auch keine adäquat bezahlten Arbeitsplätze geschaffen werden, schließlich wird für die Közmunka der gesetzliche Mindestlohn außer Kraft gesetzt. Ein einziges Projekt zur Öl- und Gasgewinnung in Südungarn führte zu einem statistischen Anstieg der "Mineninvestitionen" um sagenhafte 81,2%. So ähnlich war es im Bereich des Eigenheimbaus. Allein der Bau von 500 Armenwohnungen seitens des Staates brachte die Quartalszahlen in diesem Sektor zweistellig nach oben.

Orbáns Staatskapitalismus bekommt die passende Befehlsstruktur

Vor allem die heimische, mittelständische Wirtschaft ist von Aufträgen der öffentlichen Hand abhängig, umso mehr, da das ungarische "System" so ausgelegt ist, dass die meisten EU-Subventionen über staatliche Behörden oder staatsnahe Betriebe "absorbiert" werden, von denen private Unternehmen meist nur nachgereiht profitieren können. Durch die Übernahme der
Entscheidungskompetenzen für EU-Subventionen durch das Amt des Ministerpräsidenten (von der Nationalen Entwicklungsagentur beim gleichnamigen Ministerium) bekommt der "staatskapitalistische" Zentralismus unter Orbán auch die entsprechende Befehlsstruktur. Diese äußert sich schon heute in Aufträge an Unternehmen mit dubiosen Hintergründen im off-shore-Bereich und in der Konzentration von EU-Mitteln auf Prestige-Projekte wie Stadien und andere - zwar repräsantative - aber für die Gesamtökonomie weitgehend undynamische Projekte.

Ungarische Unternehmen "evakuieren" ihr Betriebskapital

Gänzlich absurd wird die Investitionspolitik, wenn man den Regierungsjubel über die Rekorde bei ausländischen "Direktinvestitionen" betrachtet. Hier meldet die Nationalbank gerade Zahlen von über 10 Mrd. EUR, die im letzten Jahr in Ungarn investiert worden sein sollen. Das wären rund 10% des BIP. Dass darin auch der Kauf von Anleihen (also neue Schulden) seitens ausländischer Fonds, die Rekapitalisierung von Banken und der Kauf von Aktien durch Ausländer enthalten ist, wird einfach verschwiegen, weil die Nationalbank - wie auch bei ihren monetären Entscheidungen - der Meinung ist, dass man das Volk nicht weiter mit verwirrenden Details belästigen sollte. Dass der Kapitalabfluss im Vorjahr mit rund 8 Mrd. EUR fast die gleiche Größenordnung erreichte, getragen von Banken, die Geld abzogen, vor allem aber von ungarischen Unternehmen, die ihr Heil lieber im benachbarten Ausland suchen als im
Orbánschen "Sonnenschein"-Staat, auch das wird nicht weiter publiziert. Dabei geht es nicht nur um die Erschließung neuer Geschäftsfelder, sondern viel eher um das Evakuieren von Werten wegen weitgehenden Vertrauensverlustes.

Staatsunternehmen und Haushalt als wechselseitige Blutspender

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Geringe Investitionen der privaten Wirtschaft und falsche Investitionsschwerpunkte der öffentlichen Hand aber bedeuten einen latenten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, der sich nicht sofort, aber in ein paar Jahren bitter rächen muss, zumal er mit den Beschneidungen in der Bildungspolitik auch bereits auf die nächsten Generationen konzipiert wurde. Je größer der Anteil des Staates an der Nationalökonomie, umso größer wird die Gefahr, dass Gelder für dort notwendige und sinnvolle Investitionen durch Korrekturen am Budget gekürzt und Gewinne für das Stopfen von Budgetlöchern abgezogen werden.

Die Unternehmen unter Staatskontrolle (hier einige Beispiele) müssen so nach und nach ausbluten und die von ihnen abhängigen privaten Betriebe mit in den Abgrund stürzen. Umgekehrt: geht es dem Staatsbudget gut, besteht die Gefahr, dass die Regierung - und ihre sie tragenden Schichten - Gewinne der Staatsunternehmen dem öffentlichen Geldkreislauf - also auch dem Bürger - vorenthalten und über "Aufträge" umverteilen. Diese "Verschwendung" von Ressourcen ist überall Gang und Gäbe, wo der Staat Kapitalismus spielt, es macht aber einen Unterschied, ob es sich um einen Nebenschaden oder das Handlungsprinzip handelt.

Déjà vu: Totale Kontrolle bei maximaler Intransparenz

 

Der real existierende Sozialismus in Ungarn, der DDR und anderswo haben diese gesellschaftliche Insolvenz, inkl. Machtwechsel bereits vorexerziert, es sprechen wenig Argumente dafür, dieses System zu wiederholen, nur weil der bisher gelebte oligopole Neoliberalismus im ehemaligen Ostblock ebenfalls gescheitert ist. Zwischen einer sinnvoll regulierten, sozialen Marktwirtschaft und der improvisierten "Wunderwirtschaft", diesem Gulaschkapitalismus, der sich in Ungarn gerade abspielt, liegen Welten. Doch die Ambitionen der Orbán-Regierung sprechen eine klare Sprache: möglichst totale Kontrolle über strategische Wirtschaftszweige (Energie, Finanzen, Bau, Kommunale Versorgung) bei gleichzeitig maximaler Intransparenz gegenüber dem Souverän, Klientelwirtschaft in der Förder- und Subventionspolitik und der Einzelhandel dient zusätzlich als Parteikasse und Versorgungsbank für die Nomenklatura, die das Volk politisch unter Kontrolle hält: das ungarische Déjà vu, das uns in der Politik schon ereilte, ist somit auch in der Ökonomie perfekt und historisch Interessierte wissen auch, wie es weitergeht...

cs.sz.

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