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(c) Pester Lloyd / 36 - 2013   POLITIK 05.09.2013

 

Schlapphüte auf Abwegen

Täter bei Romamordserie in Ungarn war V-Mann des Geheimdienstes

Das belegen jetzt vom Verteidigungsminister freigegebene Dokumente des Militärischen Geheimdienstes. Ob sich daraus das behauptete Versäumnis oder gar eine Mitschuld der damaligen Verantwortungsträger nachweisen lässt, bleibt offen. Fachliches Versagen und politischer Missbrauch der Geheimdienste sind auch im Nachwende-Ungarn an der Tagesordnung, einiges erinnert sogar sehr eindrücklich an die Stasi-Vergangenheit.

István Csontos, zweiter von links, auf der Anklagebank

Die Recherche von jetzt aus der Geheimhaltung freigegebenen Dokumenten des Militärischen Geheimdienstes, KBH, belegen, dass István Csonta, einer der kürzlich erstinstanzlich verurteilten Beteiligten an der Mordserie an Roma in den Jahren 2008/2009 ein V-Mann dieses Dienstes war. Nach den Dokumenten wurde über ihn seit 2003 eine Akte geführt, 2004 wurde er von einem Offizier des KBH "wegen seiner extremistischen Ansichten" angeworben und lieferte fortan Details aus der militanten Szene der Rechtsextremisten. Dabei soll er bei der "Aufkärung mehrerer Fälle behilflich gewesen" sein und erhielt im Jahr 2007 zumindest eine Bonuszahlung. Die Zusammenarbeit mit ihm wurde - wegen Unführbarkeit - Anfang 2009 beendet, allerdings gab es - so das Dokument - noch ein Treffen mit seinem Führungsoffizier, das im Zusammenhang mit der Mordserie gestanden haben soll.

Nach fast vierjähriger Verfahrensdauer wurden am 6. August die erstinstanzlichen Urteile zur Romamordserie 2008/2009 verkündet. Die drei Hauptangeklagten wurden wegen gemeinschaftlichen Mordes aus niederen Motiven zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, Csontos als Komplize, der als "Chauffeur" des Todestrios diente, erhielt 13 Jahre Gefaengnis. Er war auch der einzige, der ein umfassenden Geständnis ablegte. Die Vier habe bei neun Anschlägen insgesamt sechs Menschen heimtükisch ermordet, in zwei Fällen die Häuser angezündet und auf Flüchtende geschossen, darunter ein fünfähriger Junge, der in den Armen seines Vaters starb, auch auf Schlafende wurde geschossen, auch Granaten kamen zum Einsatz. Mehr zum Thema.

Leugnung und Verschwörungstheorie

Der damals zuständige Chef des Militärgeheimdienstes verneinte bis zuletzt jede Zusammenarbeit mit Csontos, erst Recht im Zusammenhang mit der Mordserie. Rechte, also der Regierung nahestehende Medien, verbreiteten aufgrund dieser Kontakte immer wieder die These, dass die Mordserie womöglich von der "sozialistischen" Regierung insgeheim gefördert, zumindest aber geduldet wurde, um eine entsprechende Stimmung gegen die politische Rechte im Wahlvolk zu entfachen, was bei dem allgemeinen Romahass in sich allerdings wenig logisch erscheint. Die jetzige Dokumentenlage scheint, nach bisher bekanntem Auswertungsstand, nicht nahe zu legen, dass der Wissensstand des KBH ausgereicht hätte, die Mordserie womöglich früher zu beenden oder ganz zu verhindern. Fragen, die in etwa an die gleich motivierte NSU-Mordserie in Deutschland erinnern und den Diensten und Ermittlungsbehörden beider Länder ein elendiges Zeugnis ausstellen.

Ein solchees Plakat prangte auch schon an der Fidesz-Parteizentrale.

Auch in einem anderen Fall, dem des Tamás Portik, wird der damaligen Regierung Kooperation mit Verbrechern vorgeworfen, Fidesz plakatiert sogar die ehemaligen Ministerpräsidenten Gyurcsány und Bajnai sowie MSZP-Chef Mesterházy in einer Reihe mit dem auch in Mordfälle verstrickten Mafiaboss Portik und nennt sie "die vereinigte Mafialinke", was insofern ein interessanter Lapsus ist, da die Existenz einer linken Mafia das Vorhandensein einer rechten bedingt, sonst wäre sie ja nur "die" Mafia.

In einem anderen Fall, der nach wie vor nicht vollständig geklärt ist, sollen ehemalige Geheimagenten eine Art Privatstasi gegründet haben und mit Hilfe alter Kontakte politische Kontrahenten ausgespäht haben, hier kam es bereits zu mehreren Gerichtsprozessen, die teils mit Verurteilungen, teils mit Freisprüchen von ehemals hochrangigen Sicherheismitarbeitern auf beamteter wie auf politischer Ebene führten.

Nicht unumstritten ist jedoch auch die Geheimniskrämerei der jetzigen Regierung, so wurde die Antiterroreinheit
TÉK mit derart vielen Vollmachten und Daten-Zugriffsrechten ausgestattet, das, wegen der gleichzeitigen Einengung der Rechenschaftspflicht, von der Einheit schon als "Orbáns Privatarmee" gesprochen wird. Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz ermöglicht dem Geheimdienst - auch ohne Anlass - die turnusmäßige Überwachung von Staatsdienern, - auch hier ist weder eine nachträgliche Information, noch eine richterliche, parlamentarische oder sonst irgendwie transparente Kontrolle vorgesehen. Das Verfassungsgericht hat dieses stasireife Gesetz zunächst suspendiert, wie üblich, dürfte es mit ein paar formalen Anpassungen aber bald wieder durchgewunken werden.

 

Regelmäßig werden die Geheimdienste von der Regierungsaprtei auch als Mittel der politischen Propaganda benutzt, in dem man ihre Ermittlungsarbeit zu tagespolitischen Anlässen anfordert. So geschehen z.B. bei den Ereignissen in Gyöngyöspata, wo der zuständige Parlamentsausschuss aber vom Geheimdienst keine tiefere Aufklärung über die Hintermänner der verfassungswidrigen Übernahme der Polizeigewalt forderte, sondern wissen wollte, "welche internationalen Kreise" hinter den dort tätigen NGO´s und der "rufschädigenden" Berichterstattung standen. Auch bei Spekulationen gegen den Forint und anderen Anlässen, rief man den Geheimdienst an.

Bereits 2011 wurde über die Gründung eines gänzlich neuen Geheimdienstes mit schwindelerregenden Vollmachten beraten, der Fortgang dieser Ambitionen ist aber: streng geheim.

Zum Umgang mit dem Erbe der “Stasiakten” in Ungarn hier mehr
http://www.pesterlloyd.net/html/1216stasidebatte23.html

red.

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